Bei neuen Münchner Lokalen scheint es kaum gestalterischen Spielraum zu geben. Im Spannungsfeld zwischen Bauherr (Brauerei), Nutzer (Wirt) und Architekt hat sich offenbar ein Kanon entwickelt, der – ohne die Wirtshaustradition lebendig fortzuführen – nur altbekannte Erinnerungsbilder an „Gemütlichkeitsarchitekturen“ wieder aufwärmt. Verbindliche Elemente wie getäfelte Wände, umlaufende Eckbänke und Tische mit Ahornplatten unter rustikalen Leuchten sind dabei die Standardwährung. Dazu werden an den übrig gebliebenen Wandflächen noch ein paar Devotionalien der Braukultur und alte Bilder aufgehängt, um die Geschichte der „Traditionsgaststätte“ weiterzuerzählen. Dies begrenzt, immer wiederkehrend, den gestalterischen Wortschatz für das „Glaubensbekenntnis“ einer erfolgversprechenden Biergastronomie.
Missverstandene Tradition
Noch stärker vorbestimmt wird die Ausführung, wenn es um die Wiedererrichtung eines bekannten Traditionsgasthauses inklusive seines vergangenen Mythos geht. Jeder erinnert sich dann an etwas anderes, was seinen speziellen Charakter ausgemacht hatte. Wenn es dann fertig ist, sucht jeder die Übereinstimmung mit seinen Erinnerungen und erwartet aber, dass dennoch alles irgendwie neu, zeitgemäß und anders – aber trotzdem ganz vertraut – wirkt.
Vor diesem Hintergrund sollte man den Neubau des „Donisl“ betrachten, eine der ältesten Münchner Traditionsgaststätten, direkt am Marienplatz. 1715 als „Bierwirtschaft am Markt“ eröffnet, wurde sie später nach seinem einstigen Pächter Dionysius Haertl als „der Donisl“ benannt. Im Zuge seiner langen Geschichte erlebte sie Höhen und Tiefen, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1954 an gleicher Stelle wieder aufgebaut. 2012 sollte wieder einmal ein Neuanfang gemacht werden. Da die gesamte Bausubstanz für eine umfassende Sanierung zu schlecht war, entschloss sich die Eigentümerin zu einer Neuerrichtung. Auf ausdrücklichen Wunsch der Stadtvorderen wurde die eigentlich nicht denkmalgeschützte 1950er-Jahre-Fassade zum Marienplatz mit den Fresken von Max Lacher und der Löwen-skulptur von Marlene Neubauer-Woerner erhalten und dahinter nach dem Entwurf und den Plänen von Hild und K vollständig neu gebaut.
Paradoxe Strategien.