28.09.2017

Gewerbe

Bier-architektur

Bei neuen Münchner Lokalen scheint es kaum gestalterischen Spielraum zu geben. Im Spannungsfeld zwischen Bauherr (Brauerei), Nutzer (Wirt) und Architekt hat sich offenbar ein Kanon entwickelt, der – ohne die Wirtshaustradition lebendig fortzuführen – nur altbekannte Erinnerungsbilder an „Gemütlichkeitsarchitekturen“ wieder aufwärmt. Verbindliche Elemente wie getäfelte Wände, umlaufende Eckbänke und Tische mit Ahornplatten unter rustikalen Leuchten sind dabei die Standardwährung. Dazu werden an den übrig gebliebenen Wandflächen noch ein paar Devotionalien der Braukultur und alte Bilder aufgehängt, um die Geschichte der „Traditionsgaststätte“ weiterzuerzählen. Dies begrenzt, immer wiederkehrend, den gestalterischen Wortschatz für das „Glaubensbekenntnis“ einer erfolgversprechenden Biergastronomie.

Missverstandene Tradition

Noch stärker vorbestimmt wird die Ausführung, wenn es um die Wiedererrichtung eines bekannten Traditionsgasthauses inklusive seines vergangenen Mythos geht. Jeder erinnert sich dann an etwas anderes, was seinen speziellen Charakter ausgemacht hatte. Wenn es dann fertig ist, sucht jeder die Übereinstimmung mit seinen Erinnerungen und erwartet aber, dass dennoch alles irgendwie neu, zeitgemäß und anders – aber trotzdem ganz vertraut – wirkt.
Vor diesem Hintergrund sollte man den Neubau des „Donisl“ betrachten, eine der ältesten Münchner Traditionsgaststätten, direkt am Marienplatz. 1715 als „Bierwirtschaft am Markt“ eröffnet, wurde sie später nach seinem einstigen Pächter Dionysius Haertl als „der Donisl“ benannt. Im Zuge seiner langen Geschichte erlebte sie Höhen und Tiefen, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1954 an gleicher Stelle wieder aufgebaut. 2012 sollte wieder einmal ein Neuanfang gemacht werden. Da die gesamte Bausubstanz für eine umfassende Sanierung zu schlecht war, entschloss sich die Eigentümerin zu einer Neuerrichtung. Auf ausdrücklichen Wunsch der Stadtvorderen wurde die eigentlich nicht denkmalgeschützte 1950er-Jahre-Fassade zum Marienplatz mit den Fresken von Max Lacher und der Löwen-skulptur von Marlene Neubauer-Woerner erhalten und dahinter nach dem Entwurf und den Plänen von Hild und K vollständig neu gebaut.
Paradoxe Strategien.

Bereits im Wettbewerbsentwurf zeigte sich die fast paradox anmutende Strategie der Architekten: einerseits Altbekanntes 
wieder in den Neubau zu integrieren und andererseits durch die überraschende Verwendung von neuen Elementen und Analogien unterschiedlichster Herkunft eine traditionsgebundene und dabei gleichzeitig zeitgenössische Architektursprache zu entwickeln. Dazu stellten sie die Frage, ob und wie es möglich sein könnte, ein „städtisches“ Bierlokal zu entwerfen, entfernt von den Klischees einer ländlich-bayerischen Bierkultur, die zumeist die Unterlage für die Marketingkonzepte der Großbrauereien bildet.

Durch die Anknüpfung an die „Bierhallen“ und „Bierpaläste“ der Jahrhundertwende in München, bei der die damaligen Architekturgrößen wie Emanuel von Seidl (Augustiner in der Neuhauser Straße, 1898), Hans Grässel (Thomasbräu, 1892) oder Heilmann & Littmann (Hofbräuhaus, 1896 und Weisses Bräuhaus, 1903) einen neuen Typus von städtischer Bierarchitektur als Stilarchitektur (etwa im Stil der deutschen Renaissance) neu erfunden hatten, 
erschloss sich für Hild und K ein architektonischer Schatz und wertvoller Referenzraum, aus dem räumliche und stilistische Elemente verarbeitet und dadurch angeeignet werden konnten.

Drinnen draußen

Durch die Arkade vom Marienplatz betritt man den Donisl über einen Vorraum. Von dort führt eine massive einläufige Treppe direkt auf die Galerie im Obergeschoss mit den dahinterliegenden Sälen für 
geschlossene Gesellschaften und Feierlichkeiten. Sie rahmt den Wirtssaal und schafft eine heitere Innenhofatmosphäre – ein Draußen im Drinnen: Das Glasdach lässt sich bei schönem Wetter vollständig, wie bei einem Cabrio, zu den Seiten schieben, und so weckt der von Rundbogenarkaden gefasste Raum bei schönem Wetter die Erinnerung an kompakte städtische Höfe von Laubenganghäusern, wie man sie aus München – fast nebenan – von der „Alten Münze“ und vom „Eilles-Hof“ oder auch vom Arkadengarten des Salzburger „Sternbräu“ zu kennen meint.
Zum einen knüpft die Architektur an diese Referenzen an, übernimmt jedoch zum anderen die räumlich wesentlichen Elemente des früheren Donisl: Auch damals gab es die offene Treppe zur Galerie und ein Glasdach über der Mitte. Doch wo man früher zuerst in den Gastraum kam, um erst dann nach dessen Durchquerung nach oben gehen zu können, ist die räumliche Situation heute umgekehrt: Die Treppe trennt räumlich Eingangsbereich und „Gast-Hof“ und schafft so die Möglichkeit eines introvertierten Hofs mit seiner zweigeschossigen Rundbogenarchitektur, ausgerichtet auf den Schankkellner mit seinem hölzernen Bierfass.
Für den erstmaligen Gast bedarf es vielleicht etwas Überwindung, diese räumliche Schwelle zu übertreten. Wenn er aber in den fulminanten Raum gelangt, der vom Eingang noch nicht so recht einzu­sehen ist, steht er nun inmitten einer lichtdurchfluteten weißen Putzarchitektur, 
mit durchbrochenen Brüstungen, Bögen unterschiedlicher Radien, die auf scharrierten Betonstützen lagern – eine so 
noch nicht gesehene Verarbeitung von Münchner Architektur der Jahrhundertwende: gastlich, durchaus gemütlich, aber nicht „tümelnd“.

Fotos: Michael Heinrich

Mehr dazu im Baumeister 10/2017

Scroll to Top