07.11.2017

Hotel

Bauhaus im Orient

Die Dachterrassen werden in Tel Aviv verkauft

 

Unsere Redakteurin Friederike Voigt mag den nasskalten Herbst in Deutschland so gar nicht. Deshalb war sie kürzlich in Tel Aviv – dort, wo auch noch im November die Sonne warm scheint. In der „Weißen Stadt“ am Meer, wie Tel Aviv auch genannt wird, unternahm sie einen Streifzug durch die Bauhaus-Straßen der City und damit eine inspirierende Reise in die Vergangenheit.

„Weiße Stadt am Meer“, das klingt wie ein Märchen. Ist es auch. Unweit der arabischen Gewürzmärkte befinden sich 4.000 Bauhausgebäude. Noch strahlen die meisten in ihrem Weiß und sind Anziehungspunkt für Architekturliebhaber. Das könnte sich jedoch bald ändern.

Zahlreiche jüdische Architekten – einige hatten am Bauhaus Dessau studiert – flüchteten in den 1930er-Jahren vor dem Holocaust und kamen nach Israel. Tel Aviv war damals als Gartenstadt vor den Toren der arabischen Hafenstadt Jaffa geplant. Der Flüchtlingsstrom machte aus der Gartenstadt eine rasant wachsende Großstadt. Jüdische Architekten verwirklichten ihre Bauhausträume – durch die günstige Bauweise mit Beton konnte aus der Not eine Tugend gemacht werden.

Die Dachterrassen werden in Tel Aviv verkauft, um eine Sanierung zu finanzieren. Im Gegenzug darf der Käufer noch zwei Etagen weiter bauen. Foto: Friederike Voigt
„Thermometer-Haus“ heißt das Gebäude. Die Fächer sollen Schatten spenden. Foto: Friederike Voigt
Statt Bandfenster bauten die Architekten in Tel Aviv Balkonbänder. Foto: Friederike Voigt
Kleine Fenster lassen weniger warme Luft ins Gebäude als großformatige Scheiben. Foto: Friederike Voigt
Kunst am Bau in der „Weißen Stadt“ am Meer. Foto: Friederike Voigt
Perspektivwechsel: In Tel Aviv erlebt man den Bauhaus-Stil ganz anders. Foto: Friederike Voigt
Größere Öffnungen in den Häusern müssen vor der Sonne geschützt werden. Foto: Friederike Voigt
Rundungen statt Ecken, um ein Gebäude „weicher zu zeichnen“. Foto: Friederike Voigt
An diesem Gebäude sind selbst die Fenster rund. Foto: Friederike Voigt
Mit der weißen Fassadenfarbe wollte man in den 1930er-Jahren ein Zeichen setzen. Sie steht für einen Neuanfang der Juden in Israel. Foto: Friederike Voigt

Mit Bauhaus ein politisches Zeichen setzen

Die neuen Gebäude sollten alles andere als die monumentalen Klötze der NS-Zeit verkörpern: In erster Linie durften sie strahlen. Statt vertikaler Linien, die nach dem Himmel streben, betonten sie die Horizontale. Statt spitzer Ecken runde Kanten. Statt Steil-, besser Flachdächer. Statt Symmetrie, lieber Gleichgewicht.

„Deswegen erinnern einige Bauhausgebäude mit Rundfenstern und Dachpergola in Tel Aviv auch an ein Schiff“, erklärt der Audio-Guide, den man sich im ortsansässigen Bauhaus-Center in der Dizengoffstraße 77 ausleihen kann. Für ein Schiff sei das Gleichgewicht genauso wichtig wie für ein Gebäude im Bauhausstil, erfährt man. Außerdem sei das Schiff ein Zeichen für Fortschritt – schließlich sollte Tel Aviv der Start eines neues Lebensabschnitts sein.

Einige Bauhauselemente, die in Europa funktionierten, mussten in Tel Aviv allerdings umgeschrieben werden. Die Bandfenster nach Le Corbusier mussten aufgrund des Klimas weichen und wurden durch Balkonbänder ersetzt. Ein schmaler Schlitz am unteren Rand des Balkons trägt zur Luftzirkulation bei. Auch die Flachdächer wurden als Dachterrassen umgeplant und dienen als Treffpunkt der Hausbewohner in lauen Sommernächten.

Eine Stadt im Wandel

Seit 2003 ist der weiße Stadtteil von Tel Aviv mit den vielen Bauhausgebäuden Unesco-Weltkulturerbe. Insgesamt 2.000 Häuser stehen unter Denkmalschutz. Aber weder Stadt noch Unesco finanzieren eine Sanierung, die mittlerweile bei so vielen Häusern bitter nötig wäre. Eigentümer helfen sich aus, indem sie das gemeinschaftlich genutzte Dach verkaufen – von dem Verkauf wird die Sanierung des Altbestands finanziert. Der Käufer darf im Gegenzug noch zwei weitere Dachgeschosse aufbauen. Mit Denkmalschutz hat das recht wenig zu tun. So bleibt die Stadt am Meer nie stehen, sondern zieht wie eine Karawane weiter. Aber das ist eine andere Geschichte.

Scroll to Top