03.11.2015

Öffentlich

AfD: Philosoph verirrt sich in die – und in der – Politik

Alexander Gutzmer

Wie hältst Du es mit der Politik? Das ist im erweiterten Architekturdiskurs eine häufig gestellte und selten überzeugend beantwortete Frage. Die nächste Architekturbiennale wird sicher „politisch“ werden in dem Sinne, dass sie die großen gesellschaftspolitischen Verwerfungen und Probleme anprangert. Aber reicht das? Man wird abwarten müssen, welche Antworten Kurator Alejandro Aravena auf die dann selbst gestellten Fragen liefern wird.

Manchmal drängt sich die Welt der Politik aber auch ganz unvermittelt auf. Über Facebook zum Beispiel. Dort schrieb der Münchner Architekturprofessor Stephan Trüby gerade über die Publikation eines neuen Buches zum Thema „Ästhetik und Materialität“. Zunächst gab es Lob für das Buch. Dann aber wurde es politisch. Trüby:

„Heute erfuhr ich zu meinem Schock, dass der Reihenherausgeber ebendieser Reihe, der mir aus alten Tagen bekannte HfG-Karlsruhe-Mitarbeiter Marc Jongen, nunmehr Stellvertretender Sprecher und Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg sowie Mitglied der Bundesprogrammkommission der AfD ist. In einem Cicero-Essay schrieb er, wie ich ebenfalls heute lernen musste, vor nicht allzu langer Zeit Sätze wie „Wo ‚Gleichstellung’ steht, ist ‚Gleichschaltung’ nicht weit (…)“ oder „Genuin liberal zu sein, heißt heute, konservativ zu sein. Zuweilen sogar reaktionär“. Nur um das vielleicht Offensichtliche noch deutlicher zu machen: Ich distanziere mich ausdrücklich von der politischen Position des Reihenherausgebers; es gibt nur wenige Gegenwartsströmungen, die ich als noch abstoßender empfinde als AfD und Pegida.“

Es entspann sich, Facebook-üblich, eine Debatte, in der reichlich polemisiert wurde und Stephan Trüby gut damit zu tun hatte, die Debattierenden im Bereich des Sachlichen zu halten.

Was aber heißt das Ganze? Da ist ein Philosoph, enger Mitarbeiter von Peter Sloterdijk, der sich in die oft krude Welt der AfD verirrt. Er versucht dort offenbar, eine Form „konservativer Avantgarde“ zu gründen. Das ist, gelinde gesagt, ambitioniert.

Aber nehmen wir diesen Ansatz doch ruhig einmal ernst. Diese Idee eines auf drastische Weise nach vorne denkenden, eines ästhetischen, vielleicht sogar „coolen“ Konservatismus wäre ja grundsätzlich interessant. Und zumindest in Deutschland neu. Anders als in Großbritannien, wo mit Politikern wie Boris Johnson auch Humankapital für diese Art nicht langweiliges Konservativ-Sein existierte, ist es der konservativen Bewegung (also letztlich der CDU oder der CSU) hierzulande nie gelungen, ästhetisch oder intellektuell radikales Flair zu versprühen. Das war auch nie ihr Ziel.

Aber ob Jongen damit in der AfD Erfolg haben kann? Natürlich nicht. Die AfD ist eine zutiefst kleinbürgerliche Bewegung. Speziell im Verein mit den dauerbesorgten Hysterikern von Pegida sind keinerlei spannende Impulse von der Partei zu erwarten. Und bisher gab es auch keine. Die AfD repräsentiert die aufgeregten Ängste derer, die permanent in Panik vor dem Verlust ihres Farbfernsehers durch irgendeine auf Europa hereinbrechende Flut leben.

Wie aber begründet Jongen das vermeintlich revolutionäre Potenzial, das er mit der AfD heben will? In dem von Stephan Trüby erwähnten Beitrag für Cicero schreibt er: „Die bürgerliche Mitte ist heute – paradox genug – die eigentlich revolutionäre Klasse. Der Endzweck dieser Revolution ist freilich nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern die Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft und der Souveränität des Volkes gegenüber dem Lobbyismus.“ Jongen will also eine Art neue bürgerliche Phalanx gegen die Bosheiten des Kapitalismus aufbringen. Der übliche Antiamerikanismus klingt da durch. Mit dem könnte Jongen aber eher auf radikallinker Seite auf Stimmenfang gehen als im bürgerlichen Lager.

Dass die Ablehnung der USA oder des „westlichen Denkens“ zur Gründung einer bürgerlichen Bewegung nicht taugt, ist aber nur ein Denkfehler. Der größte Irrtum liegt woanders. Jongen scheint zu glauben, sein neues Bürgertum ließe sich auf der Ablehnung bestimmter Ausprägungen der globalisierten Gesellschaft gründen: „die Banken“, „die Lobbyisten“, wahrscheinlich könnte man „die Flüchtlinge“ ergänzen. Genau das funktioniert aber nicht. Ein Erfolg versprechendes Projekt des Bürgerlichen kann nicht auf Ressentiments, auf Ablehnung, auf Ängstlichkeit basieren. Es muss, um Strahlkraft zu entfalten, eine positive Vision der Zukunft formulieren. Ein liberales Bürgertum ist notwendig optimistisch. Es blickt selbstbewusst, vielleicht auch etwas arrogant oder blauäugig heiter in die Zukunft, aber sicher nicht verzagt. Das ist die Tragik der neuen rechten Bewegungen heute: Sie phantasieren viel von nationaler Stärke, offenbaren aber letztlich eine schwächliche Haltung.

Im Unterschied übrigens zu Angela Merkel. Man mag über ihre „Wir schaffen das“-Diktion im einzelnen denken, was man will. Aber eines war sie aus meiner Sicht auf jeden Fall: bürgerlich. Merkel hat die Stimme jener sich kräftig fühlenden Bürger vertreten, die durch Veränderungen nicht sofort in Panik oder kulturpessimistischen Fatalismus verfallen. Sondern die im Zweifel erst einmal an die eigene Lösungskompetenz glauben. Diese Bürger haben vielleicht eine große Klappe. Aber sie haben sie, indem sie über und mit sich selbst positiv reden – und nicht, indem sie andere herabsetzen und sich in rhetorischen Angstspiralen verfangen. Wenn es also einen Avantgarde-Konservatismus geben kann, dann wäre Angela Merkel wohl eher seine Vordenkerin als Marc Jongen.

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