21.09.2017

Portrait

AfD = mehr Rekonstruktionen

Professor Trüby, lieber Stephan, es sieht so aus, als käme die AfD in den Bundestag. Was heißt das aus architektonischer Sicht?

Wir werden von dieser Partei, die in den letzten Wochen einmal mehr ihr rechtsradikales Gesicht deutlich zu erkennen gab, sicherlich keine neuen kulturellen Impulse vernehmen, eher autoritäre Rufe nach Schließungen von nicht genehmen Theatern und Galerien. Für die Architektur bedeutet eine starke AfD vor allem noch mehr Rekonstruktionen. AfD’ler wollen keine bessere Zukunft für Deutschland und Europa, sondern eine andere deutsche Geschichte, die vom Zivilisationsbruch der Shoa und den vom deutschen Angriffskrieg verschuldeten Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs möglichst wenig wissen will.

Du engagierst Dich im Erforschen „rechter Räume“. Wo sehen wir diese Räume?

Zu sehen sind „rechte Räume“ beispielsweise dann, wenn mythische Ursprünge, Nationen, Regionen, Heimaten übercodiert werden, wenn Architektur zum “Heimatschutz” unter Ausschluss von realer oder vermeintlicher Fremdheit verkommt. Das kommt manchmal einfach nur harmlos folkloristisch daher, doch oft genug versteckt sich dahinter auch eine Blut- und Boden-Ideologie. Meistens aber sind „rechte Räume“ nicht gebaut, sondern dann zu sehen, wenn wir sie in Medien und sozialen Netzwerken lesen.

Was sind die nächsten Schritte für Deine Forschung?

Ich verfolge seit etwa zwei Jahren, seit Beginn der so genannten „Flüchtlingskrise“, die für mich viel mehr eine Krise des zivilgesellschaftlichen Umgangs mit rechtsradikalen Positionen ist, detailliert die politischen Äußerungen von vielen Architektinnen und Architekten sowie anderen kulturellen Akteuren. Diese werde ich zu gegebener Zeit im Rahmen einer größeren kulturtheoretischen Untersuchung publizieren, voraussichtlich im Vorfeld zur Europawahl 2019.

Insgesamt – was ist aus architektonischer oder stadtplanerischer Sicht von der nächsten Bundesregierung zu erwarten?

Sicherlich wird die nächste Bundeskanzlerin wieder Angela Merkel heißen. Wir werden von ihr höchstwahrscheinlich weiterhin keine direkten Aussagen zur Architektur und zu kulturellen Belangen insgesamt hören – wenn man vom jährlichen Besuch der Bayreuther Festspiele oder ihrem begeisterten Gesichtsausdruck in der Hamburger Elbphilharmonie mal absieht. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die diese kulturelle Stummheit bemängeln. Was wäre denn die Alternative? Die Forderung nach einer Kultur, die „zur Identifikation mit unserem Land anregen“ soll, wie es im Grundsatzprogramm der AfD steht? Wir brauchen keine Kultur, die sich mit Deutschland identifiziert, sondern möglichst viele Politiker und Wähler, die sich mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland identifizieren. Letzteres sehe ich bei der AfD nur teilweise gewährleistet.

In der politischen Debatte wird immer wieder das aktive Eingreifen der Politik in den Wohnungsmarkt erwartet, Stichwort Mietpreisbremsen. Der richtige Weg?

Die Wohnungssituation in Städten wie München, Stuttgart oder Frankfurt ist für viele Gering- und auch Normalverdiener unzumutbar. Niemand will doch in Innenstädten leben, in denen nur Millionäre wohnen können. Die so genannte „Mietpreisbremse“ funktioniert nicht – das Gesetz ist zu lückenhaft gebaut worden, es kann zu einfach ausgehebelt werden. Hier muss nachgebessert werden. Den Wohnungsmarkt weiterhin dem mehr oder weniger freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen, wäre gesellschaftlich grob fahrlässig und würde früher oder später zu sozialen Unruhen und zu politischem Extremismus führen.

Eine beliebte Klage arrivierter Beobachter (auch Architekten) ist es, die heutige Generation sei so unpolitisch. Kannst Du mit derlei Statements etwas anfangen?

Natürlich begegnet man im universitären Alltag zuweilen Studierenden, denen es reicht, etwas über das Aquarellieren, über Rasterfassaden, Holzbaudetails und städtebauliches Klötzchengeschiebe zu erlernen. Auch diese Leute braucht es. Aber für mich und viele meiner Studierenden ist klar, dass gute, wichtige Architektur immer in den Schnittmengen von Kunst, Ökonomie, Technik bzw. Wissenschaft und eben auch Politik entsteht. Es freut mich, dass ich bei nachwachsenden Architektengenerationen – auch hier an der TU München – nicht nur eine hohe Experimentierfreude, sondern auch eine hohe Politisierung feststelle.

Stephan Trüby ist Professor für Architektur und Kulturtheorie an der TU München.

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