Gegenwärtig nennen circa 1,8 Millionen Menschen Wien ihr Zuhause. Sie verteilen sich über die 23. Wiener Bezirke. Nicht gleichmäßig, sondern nach einem von unsichtbarer Hand und sichtbarem Mietpreisspiegel in Grüppchen, in Mustern. Homogenität wäre das falsche Wort, denn trotz Sortierung, gibt es mancherorten eine erstaunliche Mischung.
Im Zentrum liegt die historische Kernstadt in den heutigen Bezirken 1-9 und 20, um sie windet sich der Gürtel, ein ehemaliger Wehrwall. Jenseits dieser markanten Grenze finden sich die Rand- beziehungsweise Außenbezirke. Gründerzeitwohnungen und soziales Prestige in der Innenstadt, „Arbeiterviertel“ und bezahlbarere Wohnungen in einem Kranz um sie herum, Villenviertel und Neubaugelände noch weiter draußen. Steuernde Eingriffe im gewachsenen Stadtbild sind insbesondere die zahlreichen Gemeindewohnungen, die die soziale Zusammensetzung durchmischen und Projekte in ehemaligen Gewerbegebieten, etwa im Sonnwendviertel.
Entbürokratisierung von Wien?
In anderen Städten scheinen Viertel oftmals ineinander zu fließen und manche Namen haben einen besseren Klang als andere. Man dehnt die populären Distrikte, wenn es einem Geschäft plötzlich eine vielversprechende Location verschafft, versucht Grundstücke und Immobilien in hippe Bezirke zu argumentieren. In opportunistischer Absicht oder allgemeiner Übereinkunft werden neue Identitäten kreiert, man mag es den „SoHo-Effekt“ nennen. In Wien dagegen sind die nackten Bezirksnummern unbestechlich und unverrückbar. Oder sie erscheinen zumindest so. Aktuell werden Gedankenspiele zur „Entbürokratisierung“ und Zusammenlegung von Bezirken im Rathaus und anderswo angestoßen. Das wäre im Übrigen aber nicht die erste Neugestaltung, die Nazis haben in „Groß-Wien“ bis 26 gezählt.
Es wäre töricht, die Stadtentwicklung auf eine primitive Zahlenspirale zu reduzieren, denn ganz andere Faktoren bestimmen bekanntermaßen das Schicksal einer Nachbarschaft. Und doch haben viele Grätzl-Bewohner einen gewissen Stolz auf ihr Viertel. Manchmal erscheint es fast, eine Zahl repräsentiere eine Art Lifestyle, vielleicht sogar Lebensentwurf.
Die Wiener Lebensqualität gilt nicht uneingeschränkt
In den Zeitungen, Online und Print, ist immer wieder zu lesen, wie hoch die Lebensqualität in Wien sei, wie inklusiv das Stadtleben. Einschlägige Rankings sehen die Stadt regelmäßig in den Top Ten. Ich bin gerne dort zuhause, zumindest im Moment. Allerdings, diese Qualität gilt nicht überall und uneingeschränkt, und ein nicht zu unterschätzendes Segregations-Moment arbeitet auch an der Donau. Es ist an allen Planenden, verantwortliche Stadtentwicklung zu forcieren.
Das Büro Delugan Meissl Associated Architects sitzt übrigens im Vierten Bezirk, in Wieden. Einem verhältnismäßig ruhigen, eher unauffälligen Bezirk mit einer angenehmen Atmosphäre. Vielleicht ein wenig bodenständiger, als anderswo. Großstädtisch, ja, aber nicht gezwungen kosmopolitisch und hyper-urban. Es ist, glaube ich ein gutes Zuhause für ein Wiener Architekturbüro.
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