13.11.2015

Wohnen

Helmut Schmidt und die Architektur

Zu einem ersten Gespräch über die Fortsetzung des Regierungsbündnisses haben sich am 07.10.1980 die Delegationen von SPD und FDP im Kanzlerbungalow in Bonn getroffen. Foto: Ulrich Baumgarten / picture alliance

Das Verhältnis von Gebäude und Nutzer ist kein einfaches. Nicht immer passen Mensch und Architektur zusammen. Die Frage ist also: Wie sieht der perfekte Bewohner eines Gebäudes aus? Meine These: So wie Helmut Schmidt. Ob Kanzlerbungalow, ob Reihenhaus in Hamburg – Schmidt ist es qua eigener Aura gelungen, sehr unterschiedlichen Gebäuden Würde zu verleihen.

 

Die Persönlichkeit des gerade verstorbenen Ex-Kanzlers wurde in den vergangenen Tagen in allen Facetten ausgeleuchtet. Genau dieser Aspekt, das Verhältnis von Helmut Schmidt zur Architektur, blieb dabei allerdings ausgespart. Dabei hatte er, wenig überraschend, auch hier etwas zu sagen – und zwar durchaus Dezidiertes. In einem Round Table-Gespräch mit Louisa Hutton spricht er sich beispielsweise gegen den Neubau des Berliner Stadtschlosses aus. Auch die Elbphilharmonie kommt bei Schmidt nicht gut weg. „Ziemlich neureich“ kommt ihm der Musikbau vor.

Schmidts Haltungen wirken stellenweise etwas konservativ – aber durchweg nachvollziehbar. Er war eben kein Mensch der barocken Geste. Sondern einer, dem die Funktion wichtig war. Das Interessante aber am öffentlichen Menschen Schmidt: Anders als bei vielen Sozialdemokraten, wirkt bei ihm die demonstrative Nüchternheit nicht stillos, sondern im Gegenteil immer gekonnt. Helmut Schmidt war definitiv ein Mann mit Stil. Und das nicht nur, weil er schlicht gut aussah. Nein, die gesamte Komposition Schmidt hatte etwas auf dezente Art Elegantes und zugleich Souveränes. Natürlich war die ins Bild gesetzte Pfeife und später die öffentliche Zigarette immer auch ein Akt der Selbstinszenierung. Die Anzüge saßen, die Haare waren zwar ordentlich gekämmt, aber auch nicht ängstlich hyperkurz. Und selbstredend war auch der Elbsegler letztlich ein Stil-Statement – eines, das gemeinsam mit der politischen Klugheit und intellektuellen Weltläufigkeit Schmidts ein stimmiges Ganzes ergab.

Und dieses stimmige Ganze wirkte sich auch auf die Architektur aus, in der Schmidt lebte. Kaum ein deutscher Kanzler hat Sep Rufs Bonner Kanzlerbungalow so passend bewohnt wie Schmidt. In seinen acht Jahren dort erzeugte er in diesem vielleicht schönsten aller politischen Gebäude Nachkriegsdeutschlands ein sehr viel runderes Bild als, beispielsweise, Helmut Kohl. Letzterer wird mit den Worten zitiert, Rufs Haus sei ein „absurdes Bauwerk – im Sinne einer Wohnung eines Bundeskanzlers“. Er war ihm wohl zu minimalistisch geraten. Helmut Schmidt, der übrigens selber gern Architekt geworden wäre, hätte derlei nie formuliert.

Das Interessante aber: Die öffentliche Person Schmidt verleiht nicht nur einem Ikonenbau wie Rufs Pavillon gestalterische wie kulturelle Sinnhaftigkeit. Sondern auch einer schmucklosen Doppelhaushälfte in Hamburg-Langenhorn. Dort lebte Schmidt mit Loki seit 1961, als das Haus gerade fertig gestellt war. Nichts an diesem Backsteinbau ist beeindruckend, und die vor den recht flachen Bau gesetzte Garage müsste man architekturkritisch als missraten bezeichnen. Doch darum geht es nicht. Schmidts Präsenz in diesem Haus sagt: Hier geht es nicht ums Repräsentieren. Hier wird auf unaufgeregte Art gelebt – und viel gearbeitet. Schmidt empfing dort regelmäßig Staatsgäste. Was mag wohl Schmidts Freund Valéry Giscard d’Estaing gedacht haben, wenn er direkt aus dem Pariser Elysée-Palast dort anrückte?

Man darf allerdings annehmen: Giscard d’Estaing wird verstanden haben, dass Schmidt sein Wohnhaus ganz bewusst nicht in einen opulenteren Bau etwa an der Elbchaussee tauschte. Auch dies war eben das damals neue Deutschland – ein Land, das die pompöse Geste skeptisch sah. Gerhard Schröder hat sich ja später mit seinem Reihenhaus in Hannover an dieser Philosophie der architektonischen Anti-Symbolik orientiert. Und er ist damit bekanntlich besser gefahren als Christian Wulff, dem seine Sehnsucht nach ein wenig architektonischer Größe letztlich zum Verhängnis wurde. So etwas wäre Schmidt nie passiert. Und das, obwohl er spätestens nach seiner Kanzlerschaft mit seinen öffentlichen Auftritten sicher sehr gut verdiente.

Jetzt also steht die Langenhorner Doppenhaushälfte leer. Doch nicht lang. Schmidt entschied, dass dort, am Neubergerweg, nach seinem Ableben ein Museum eingerichtet werden soll. Ich persönlich freue mich schon, die Aura des Weltpolitikers in diesem Hamburger Normalort zu atmen.

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