Der Designer und studierte Architekt Virgil Abloh hat sich für seinen neuen Off-White Flagshipstore in Miami mit dem OMA-Ableger AMO zusammengetan. Das Ergebnis ist ein Ladenlokal mit beweglicher Fassade.
Der folgende Artikel ist bereits im September 2020 entstanden.
Kaum jemand sprengt derzeit die gängigen Kategorisierungen der Designbranche gründlicher als Virgil Abloh. Und kaum jemand ist gegenwärtig erfolgreicher. Sein Label Off-White hat es mit wenigen frappierenden Gestaltungelementen geschafft, zu einer der gefragtesten Streetwearmarken überhaupt zu werden. Gleichzeitig ist er als Creative Director von Louis Vuitton Herr über eines der wertvollsten Monogramme der Welt. Nebenher hat er noch eine Möbelkollektion mit IKEA verantwortet und als er im vergangenen Winter eine Ausstellung seiner Designobjekte aus Beton in der legendären Pariser Galerie Kreo eröffnete, standen die Fans hunderte Meter Schlange. Außerdem ist Abloh DJ und – ach ja – auch studierter Architekt. Sein Interesse am Schaffen von Rem Koolhaas reicht bereits in seine Studienzeit am Illinois Institute of Technology zurück und so verwundert es natürlich nicht, das Abloh bereits zum wiederholten Mal die Zusammenarbeit mit Koolhaas‘ Büro OMA respektive dessen Forschungsableger AMO gesucht hat. Nach der Kollaboration für seine Werkschau „Figures of Speech“ in Chicago, zu der AMO die Szenografie beisteuerte, haben die beiden Partner sich nun erneut für den Off-White Flagshipstore in Miami zusammengetan.
Innenraum wird Außenraum
Hauptthema des Entwurfs ist der veränderbare Raum – ein Motiv, mit dem sich Koolhaas und OMA immer wieder beschäftigt haben, zuletzt etwa bei der großartigen Fondation Galeries Lafayette im Pariser Marais mit seinen höhenverstellbaren Etagen. In Miami sind es nicht die Böden und Decken des Raumes, sondern die Fassade, die die zentrale Rolle übernimmt. Genauer gesagt: die Fassaden. Denn hinter der ersten Fassade aus opakem Polycarbonat ist im Erdgeschoss eine zweite, verschiebbare Fassade angeordnet. Sie erlaubt es Innen- und Außenraum je nach Bedarf neu auszutarieren. Im Alltag erscheint die zweite Fassade als eine Art Schaufenstereinbau: Zwei vitrinenartige Glasräume, die die zentrale Tür flankieren, können als Präsentationsfläche für Produkte zum Straßenraum genutzt werden. Wird die zweite Fassade in die Ladenfläche hinein verschoben, entstehen neue Raumkonstellationen, die auf ganz unterschiedliche Weise bespielt werden können. Besonders interessant ist dabei die Möglichkeit, einen Außenbereich zu schaffen, der eine halböffentliche Zone zwischen Straße und Laden bildet – eine Art offene Loggia, die die Grenze zwischen privat und öffentlich fließend werden lässt. AMO und Abloh bergreifen diesen temporären Raum als Kommunikationsangebot an die Umwelt, mit der sich der Store zur Gesellschaft öffnet. Der sprichwörtlichen Schwellenangst wird durch die Zurücknahme der Schwelle begegnet.
Brand Engagement statt Luxuserlebnis
Das tropische Klima Miamis ist natürlich prädestiniert für einen solchen multifunktionalen Außenraum. Abloh und AMO planen für ihn unterschiedliche Nutzungen: Er soll als Ausstellungsort für Kunst dienen, zum Freiluft-Laufsteg werden und als Eventspace genutzt werden. Nicht zuletzt soll er auch als Bühne für Konzerte dienen. Kurz gesagt: Abloh schafft sich hier selbst einen architektonischen Rahmen für die Gesamtheit seiner künstlerischen Aktivitäten. Je nach Platzbedarf kann dabei annähernd das gesamte Erdgeschoss des Ladenlokals zum Außenraum werden oder auch nur ein Teil der Fläche.
Der Flagshipstore in Miami ist Resultat von Ablohs anhaltender Reflexion über die Aufgaben, die die physische Verkaufsniederlassung in Zeiten des Onlinehandels übernehmen kann. Abloh und AMO definieren hier das Ladengeschäfft als modernes Logistikzentrum, das gleichzeitig seinen Kunden Raum für Interaktion und Brand Engagement zur Verfügung stellt. Die Inszenierung des Kauferlebnisses und die Betreuung des Kunden beim eigentlichen Kaufvorgang spielt keine Rolle mehr. Der Flagshipstore in Miami ist somit ein kompletter Gegenentwurf zu den kokonartigen Storedesigns der klassischen Luxusbrands, die genau auf diese Art der Shoppingerfahrung ausgerichtet sind. Abloh hat verstanden, dass seine Fans keine Betreuung, sondern Raum für Selbstinszenierung suchen – und zwar diejenigen, die sich seine Produkte leisten können ebenso, wie diejenigen die sie nur begehren. Während die Teenager sich bei den Louis Vuitton-Stores nur vor der Schaufensterfront fotografieren können, holt der Designer sie bei seinem eigenen Label in den Laden – oder zumindest in den Zwischenraum zwischen Store und Straße, wo er ihnen zukünftig Events und Aktionen anbietet, um sie am Markenerlebnis teilhaben zu lassen.
Flexibles Logistikzentrum
Als „Logistikzentrum“ besitzt das Ladenlokal Züge eines Warenlagers. Ein heller Betonboden, Wandverkleidungen aus Wellblech und die aus vielen OMA-Bauten bekannten Deckenpaneele aus Maschenstahl erzeugen einen technoid-nüchternen Raumeindruck. Die Regale und Ablagen greifen die Formensprache von Industrielagersystemen auf, sind aber aus hochglänzendem Edelstahl gefertigt und besitzen Einlegeböden aus Marmor. Alle Einrichtungsgegenstände sind leicht tragbar oder auf Rollen montiert, so dass sie mit wenigen Handgriffen umgestellt oder entfernt werden können. Farbe wird nur sparsam eingesetzt, etwa bei der Treppe an der Rückwand des Ladenlokals, die in Kobaltblau gehalten ist, bei den Umkleidekabinen, die mit moosgrünen Velours bezogen sind oder den leuchtend roten „Bold“-Bänken von Big-Game.
Zur Eröffnung wurde der Außenraum übrigens als Freiluftgalerie genutzt. Es wurden dort Ablohs Skulptur „Dollar a Gallon III“ und „Roller“, eine Arbeit von Mark Jenkins gezeigt. Abloh ist also durchaus Willens, in seinem neuen Flagshipstore auch anderen Künstlern eine Bühne zu bieten.