19.04.2016

Portrait

Die Grand Tour der Universitäten – Shanghai

Shanghai

Universität: Jiao Tong Universität
Ort: Shanghai, China
Abschluss: Bachelor of Architecture, 5 Jahre Regelstudienzeit
Studierende: ca. 37.500 (Universität), ca. 300 (Fakultät)
Interview mit: Zhen Zhang (30)

Endlich Frühling. Endlich Wochenende. Draußen blühen die ersten Kirschbäume, Studenten ziehen mit Bollerwagen durch die Straßen Aachens und feiern den Beginn des neuen Semesters. Alle feiern mit: Sozis, Maschis, Medis. Nur eine kleine Streitmacht hält weiter die Fahne hoch, sitzt tapfer vor ihren Rechnern und will von jeglicher Lebensfreude nichts wissen: Die Architekten. Seit Anbeginn meines Studiums stellt sich mir die eine Frage: Muss das so sein?

Als mir meine Freundin Zhen von ihrer Uni in Shanghai erzählte wurde mein Glaube an den unvermeidbaren Leidensweg der Architekturstudenten hart auf die Probe gestellt. Scheinbar, so erfuhr ich, ist Architektur doch ein Fach wie jedes andere – Ein kleiner Teil des großen Abenteuers das sich Studium nennt.

Ein Großteil der Studierenden der Jiao Tong Universität lebt auf dem Minhang Campus, unter ihnen ca. 300 Architekturstudenten. Der Campus ist wie eine kleine Stadt weit außerhalb des Zentrums von Shanghai. Hier wird geschlafen, gegessen, gefeiert und gechillt.  In 70 Wohnheimen, 6 Mensen, Museen, Bibliotheken, Shopping-, Sport- und Veranstaltungszentren jeder Art herrscht ein lebendiges Gewusel, all das in einem Maßstab, der uns Europäern gänzlich unbegreiflich scheint. Zhen studierte hier neben ihrem eigenen Fach auch Mathematik, Physik und Englisch: Nur etwa die Hälfte aller Fächer waren Fachspezifisch. Sport war Pflicht. Da die Wahlfächer auch an den anderen Fakultäten belegt werden konnten und da Zhen neben ihrem Studium auch den Chor, den Debattierclub, Konferenzen und Aufführungen besuchte, waren die meisten ihrer Freunde und Bekannte gar keine Architekten.

Das Zimmer im Studentenwohnheim teilte Zhen sich mit drei Mitbewohnern. Für umgerechnet ca. 200 € im Jahr gab es zwar keine Küche, aber ein Bett, einen Schreibtisch und ein gemeinsames Bad. In den Studentenwohnheimen herrscht strikte Geschlechtertrennung, Jungen dürfen nur zu den Mädchen, um die Computer zu installieren. Um 22 Uhr wird abgeschlossen. „Ich habe damals eine Fernsehdokumentation gedreht und musste häufig bis spät im Stadtzentrum sein; dann musste ich immer klopfen und unsere Pförtnerin Ayi von ihren Träumen aufwecken… Ayi war manchmal sehr ärgerlich.“

Singen, debattieren und Filme drehen – Sind das wirklich Fähigkeiten, die kein guter Architekt haben sollte? Wie sind aus den Universalgelehrten von damals die Fachidioten von heute geworden? Wie konnte es passieren, dass die Menschen, die die Lebensräume von morgen entwerfen werden, das Leben selbst vollkommen verlernt zu haben scheinen? Vielleicht liegt es mitunter an den versäumten Bollerwagentouren, dass es dem Architekten im Allgemeinen so schwer fällt, sich unauffällig unters Volk zu mischen.

Dieser Beitrag wird unterstützt von Graphisoft und der BAU 2017

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