17.06.2020

Event

Zu nah am Wasser gebaut

Illustration: Clemens Habicht


Wann kommt die Flut?

Immer mehr Menschen wollen nach Corona raus ins Grüne – möglichst mit Blick aufs Blaue. Projektentwickler sollten sich von der Euphorie jedoch nicht mitreißen lassen. Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Daniel Schönwitz erklärt, was die neuen europäischen Kreditvorgaben für Immobilien in Wassernähe bedeuten.

Raus aus dem Zentrum, rein ins Grüne: Nach der Corona-Pandemie zieht es gerade Familien in die Provinz – oder in die Außenbezirke. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei Immobilien mit Fluss- oder Seeblick. „Je näher man dem Wasser kommt, desto höher steigt meist der Preispegel“, schreibt das „Handelsblatt“. Makler schätzen die Aufschläge demnach auf 20 bis 25 Prozent.

Das lockt Projektentwickler in Scharen, selbst auf Flussinseln baut die Branche derzeit fleißig Immobilien. Doch Vorsicht: Wer sich von der Euphorie anstecken lässt, könnte das hinterher bitter bereuen. Denn die Begeisterung für Wohnraum in Wassernähe dürfte schon bald abebben – und zwar in ganz Europa.

Denn wegen neuer Klimaschutz-Gesetze ist absehbar, dass Kredite und Wohngebäudeversicherungen für Immobilien in Wassernähe deutlich teurer werden. Und an besonders hochwasser-gefährdeten Standorten an Flüssen und Küsten werden Banken und Assekuranzen immer öfter den Daumen senken.

Zwar sind EU-Vorgaben, denen zufolge Finanzinstitute bei Kredit- und Versicherungszusagen Klimarisiken einkalkulieren müssen, noch nicht in Kraft getreten. Aber sie werfen bereits ihre Schatten voraus. So hat die europäische Bankenaufsicht EBA vor wenigen Monaten einen „Aktionsplan nachhaltige Finanzen“ veröffentlicht, der Geldhäuser zur Vorsicht mahnt – und sie explizit auffordert, nicht auf die angekündigten Gesetze zu warten.

Ins selbe Horn stößt die deutsche Finanzaufsicht BaFin in einem aktuellen „Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“. Banken und Versicherer sollten schon jetzt genau prüfen, ob am jeweiligen Standort vermehrte Überflutungen, Stürme oder Waldbrände drohen, empfiehlt die Behörde.

Das bedeutet: Selbst Kaufinteressenten, die sich nicht von Hochwasser-Risiken und dem Anstieg des Meeresspiegels abschrecken lassen, müssen in Zukunft vielfach passen. Ohne Bankkredit können schließlich nur wenige einen Immobilienkauf stemmen. Das wird die Nachfrage spürbar dämpfen und in bestimmten Lagen sogar einbrechen lassen.

Mancher Projektentwickler dürfte sich deshalb schmerzhaft verkalkulieren. Umso wichtiger ist, die Risiken genau zu analysieren – und dabei nicht zurück, sondern nach vorne zu schauen. Denn die globale Erwärmung verändert die Situation fundamental.

So warnt die US-Nichtregierungsorganisation Climate Central in einer Studie, dass ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen weite Teile der deutschen und niederländischen Nordseeküste mindestens künftig einmal im Jahr überflutet werden. Darüber hinaus seien die Küsten Chinas, Bangladeschs, Indiens, Vietnams, Indonesiens und Thailands besonders gefährdet.

Mehr Hochwasser in Westeuropa

Doch auch im Inland droht Ungemach. Denn neben dem steigenden Meeresspiegel sorgt die Erderwärmung vielerorts für extreme Niederschläge. So ist laut einer Studie der TU Wien insbesondere in Nord- und Westeuropa mit mehr Starkregen zu rechnen. Das spricht dafür, dass Flüsse immer öfter über ihre Ufer treten – anders als in Südeuropa, wo die Niederschlagsmengen tendenziell sinken.

Sie sind skeptisch, was solche Prognosen angeht? Das ist Ihr gutes Recht. Aber bitte bedenken Sie: Für Preiseinbrüche bei Immobilien reicht es völlig, wenn Banken und Versicherungen die Szenarien für realistisch halten – und deshalb in ihre Risikomodelle einbeziehen.

Der Trend zur restriktiveren Kreditvergabe wird die Immobilienmärkte in den nächsten Jahren prägen und auch jene betreffen, die beharrlich am Klimawandel zweifeln. Wer sich an Projekte in Risikolagen wagt, sollte deshalb dem Hochwasser-Schutz besondere Aufmerksamkeit schenken – sei es bei der Landschaftsarchitektur oder bei den Immobilien selbst.

Hier lesen Sie die letzte Kolumne von Daniel Schönwitz: Mieter sind die Käufer von morgen

Daniel Schönwitz ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist und Medientrainer. Der Volkswirt lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Diese Kolumne ist Teil des Homeoffice Spezial, in dem wir aus dem Blickwinkel der Architektur über die wichtigsten Neuigkeiten zur Corona-Pandemie berichten.

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