18.06.2019

Portrait

Wir bauen für Andere

Der Skanderbeg Platz in Tirana nach seiner Umgestaltung; Foto: Filip Dujardin


Für wen wir bauen

Wir freuen uns sehr darüber, dass Reinier de Graaf, langjähriger Partner bei OMA, die Juni-Ausgabe des Baumeisters kuratiert hat. Der Titel der Ausgabe lautet „Für wen wir bauen“. Darin lässt er unterschiedliche Protagonisten wie Immobilienentwickler, Politiker, Aktivisten oder Planer zu Wort kommen und zeigt verschiedene Szenarien auf: vom Bauen für Investoren über das Bauen für den Wohlfahrstaat bis hin zum partizipativen Bauen. Die Ausgabe ist in vier Kapitel unterteilt, denen vier Gründe, weshalb Architekten bauen, zugeordnet sind: Für Ruhm, „Für Geld“, „Für Andere“, „Für Uns“

Der Titel der Ausgabe lautet dementsprechend „Für wen wir bauen“. Darin lässt er unterschiedliche Protagonisten wie Immobilienentwickler, Politiker, Aktivisten oder Planer zu Wort kommen und zeigt verschiedene Szenarien auf: vom Bauen für Investoren über das Bauen für den Wohlfahrstaat bis hin zum partizipativen Bauen. Die Ausgabe ist in vier Kapitel unterteilt, denen vier Gründe, weshalb Architekten bauen, zugeordnet sind: „Für Ruhm“, „Für Geld“, „Für Andere“, „Für Uns“. Das gesamte Heft ist dabei als Rhizom gegliedert, wodurch es vielschichtige Verlinkungen innerhalb der einzelnen Kapitel und den jeweiligen Artikeln gibt.

Für Andere

Im dritten Kapitel „Für Andere“ geht es um das Bauen für den Wohlfahrtsstaat. Dort kommt auch Tiranas Bürgermeister Erion Veliaj zu Wort, der vor allem mit ausländischen Architekturbüros zusammenarbeitet, wenn es um städtebauliche Themen geht.

Hier können Sie einen Auszug aus dem Interview mit Erion Veliaj lesen:

Alex Retegan: Seit einigen Jahren ist Tirana der Schauplatz spektakulärer Architekturprojekte. Viele dieser Projekte sind öffentlich und wurden von internationalen Architekturbüros entworfen. Warum braucht Tirana internationale Architekturbüros, und was ist der Anreiz für internationale Architekturbüros, in Tirana zu arbeiten?

Erion Veliaj: Das lässt sich zum Teil geschichtlich begründen. Ein Blick auf die Geschichte Tiranas zeigt, dass es in all seinen politischen und historischen Epochen – dem Zeitalter des Osmanischen Reichs, der italienischen Vorherrschaft und des kommunistischen Regimes – immer den Einflüssen internationaler Architektur ausgesetzt war. Osmanische Architekten entwarfen den Marktplatz, die Hamams, die Läden und die Moscheen. Zu Zeiten Mussolinis wurde das Stadtzentrum von den italienischen Architekten Florestano Di Fausto, Gherardo Bosio und Armando Brasini gestaltet. Aus dieser Zeit stammen das Regierungsviertel, das Stadion und der Skanderbeg-Platz. Mit der kommunistischen Ära kam dann der sowjetische Stil, und Chruschtschow legte den Grundstein für den neuen Kulturpalast. Danach kam die chinesische Welle, die hauptsächlich Industriearchitektur hervorbrachte. Ein internationaler Einfluss ist hier also nicht ungewöhnlich.

AR: Wie stehen Sie dazu?

EV: Für uns ist es völlig normal, dass unsere Entwicklung von außen beeinflusst wird. Sogar der Brutalismus der kommunistischen Ära stellt für uns keinen Verlust dar. Für uns ist das einfach ein weiteres Zeitalter in der Geschichte unseres Landes, auch wenn man über die architektonische Ästhetik endlos debattieren könnte. Für uns wäre es seltsam, alles alleine zu machen.

AR: Wie bringen Sie internationale Büros dazu, in Tirana zu arbeiten?

EV: Meistens sind es öffentliche Ausschreibungen und Wettbewerbe. Tirana ist kein besonders großer Markt, dafür aber sehr interessant. Was in Tirana geschieht, erhält Aufmerksamkeit, das hat sich im letzten Jahrzehnt gezeigt – zumindest was Architektur und Stadtplanung betrifft.

AR: Wie ging das alles los?

EV: Tirana hatte einen sehr guten Bürgermeister, den derzeitigen Ministerpräsidenten Edi Rama, der drei Amtsperioden regierte. Durch ihn hat sich die Stadt in ein Experimentierfeld verwandelt. Unsere gegenwärtige Regierung will das noch weiter vorantreiben. Dafür stellen wir sicher, dass nicht nur öffentliche Projekte, sondern auch private Projekte eine internationale „Bereicherung“ erfahren. Wenn ein Bauträger zum Beispiel kostengünstigen Wohnraum bauen will, können wir ihm eine entsprechende Liste mit erstklassigen internationalen Architekturbüros zur Verfügung stellen. Bei der Schaffung von kostengünstigem Wohnraum muss man nämlich nicht zwangsläufig bei der Gestaltung sparen. Auf der anderen Seite ist ein Gebäude, das von einem internationalen Architekturbüro entworfen wurde, nicht zwangsläufig ein Luxusobjekt. Die Frage lautet also nicht, ob wir aufhören oder weitermachen sollen. Stattdessen stellt sich die Frage, wie wir diese Strategie ausweiten können, denn sie zeigt eine Perspektive auf, die im Zeitalter des ungezügelten Kapitalismus der letzten zwanzig Jahren nicht mehr sichtbar war.

AR: 2014 wurde das Atelier Albania als Teil der albanischen Regierung gegründet …

EV: Atelier Albania ist Teil der Verwaltungsstruktur der nationalen Planungsbehörde, die dem Ministerium für Infrastruktur und Energie unterliegt. Zu seinen Aufgaben gehört die Organisation und Durchführung von Wettbewerben. Die Einführung von Atelier Albania war zum damaligen Zeitpunkt ein eher ungewöhnliches Vorgehen, was städtebauliche Entwicklungen betrifft. Ursprünglich wurde es zur Organisation der Wettbewerbe gegründet, die als Teil des Urban-Renaissance-Programms die Stadtzentren von Albaniens wichtigsten Städten revitalisieren sollten. Im Jahr 2015 haben wir dann verschiedene Stadtbezirke zusammengelegt, um größere Verwaltungseinheiten zu schaffen. So wurde die Anzahl der Stadtbezirke von 400 auf 61 verkleinert.

AR: Können Sie die Aufgaben von Atelier Albania genauer beschreiben?

EV: Atelier Albania ist für die Ausschreibungen der Stadtentwicklungspläne der neuen Stadtbezirke zuständig. Stefano Boeri hat zum Beispiel die Ausschreibung für Tirana gewonnen. Atelier Albania wurde zum zentralen Knotenpunkt, wo alles, von der Veröffentlichung der Ausschreibung bis zu den Endpräsentationen und der Vertragsunterzeichnung, organisiert wurde. Das ist viel effizienter, als wenn alle ihr eigenes Ding machen. Durch Atelier Albania wurde die Konzipierung einer klaren Raumplanungsvision für Albanien möglich. Diese Vision berücksichtigt die Interessen aller Akteure, zum Beispiel von Bauunternehmern, Ingenieuren und Investoren. Gleichzeitig vermittelt Atelier Albania zwischen der öffentlichen Hand, den Bürgern und der Privatwirtschaft.

AR: Man könnte Atelier Albanias Leitbild auch so beschreiben, dass es versucht, die Projekte der öffentlichen Hand mit Investitionen durch die Privatwirtschaft umzusetzen.

EV: Atelier Albania betreut keine privaten Projekte, sondern ausschließlich öffentliche Projekte. Was private Projekte anbelangt, ist Atelier Albania Teil eines Ausschusses, der für bestimmte Entscheidungsfindungen zuständig ist. Im Rahmen dieser Zuständigkeiten können wir eine Kommission einsetzen, um ästhetische Aspekte und die Einhaltung der geforderten Mindeststandards bei der Errichtung der Bauwerke zu überwachen. Diese Projekte werden zwar von privaten Bauherren umgesetzt, unterliegen aber trotzdem einer öffentlichen Kontrolle.

AR: Wird Atelier Albania auch in private Wettbewerbe eingebunden?

EV: Aus rechtlichen Gründen können wir die Privatwirtschaft nicht dazu zwingen, Wettbewerbe durchzuführen. Bei privaten Projekten legen wir nur die Einhaltung der Normen fest. Oder wir können private Firmen dazu anhalten, einen renommierten Architekten zu beauftragen, um dadurch Projekte zu verwirklichen, die einer öffentlichen Debatte über gute Architektur standhalten können. Ein gutes Beispiel dafür ist Stefano Boeris Bosco Verticale. Seitdem werden ständig energieeffiziente und grüne Räume gefordert. Für die Projektgenehmigung ist das mittlerweile unerlässlich geworden.

AR: Sprechen wir über die Neugestaltung des Skanderbeg-Platzes von 51N4E, bei dem die Stadtverwaltung die Rolle des Bauherrn einnahm. Können Sie uns den Wettbewerb erläutern, der dem Projekt vorausging?

EV: Während der Amtszeit Edi Ramas als Bürgermeister von Tirana wurden mehrere internationale Wettbewerbe durchgeführt, und die Stadt begann, sich einen Namen unter den anderen europäischen Metropolen zu machen. Tiranas farbenfrohe Fassaden machten weltweit Schlagzeilen. Unsere postkommunistische Hauptstadt wurde immer bekannter. Das Projekt zur „Neustrukturierung“ des Skanderbeg-Platzes ging 2008 aus einem internationalen Architekturwettbewerb hervor. Den Wettbewerb gewann das belgische Architekturbüro 51N4E in Zusammenarbeit mit dem albanischen Künstler Anri Sala, der im Ausland lebt und deshalb eine Art Insider und Outsider zugleich ist. Das Projekt ist ein herausragendes Beispiel für Platzgestaltung. Im Winter befand sich dort ein riesiger Weihnachtsmarkt und eine Eislaufbahn. Im Frühling wurde der Platz für Beachvolleyball und Streetball mit Sand aufgefüllt. Es ist eine Art Pop-up-Platz, den man je nach Anlass zerlegen und neu zusammensetzen kann. Der Platz und seine Denkmäler erzeugen einen Gemeinschaftsraum, der von allen Bürgern genutzt werden kann.

Das gesamte Interview lesen Sie in der Juniausgabe 2019.

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