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Jakob Braun arbeitet im Rahmen der Baumeister Academy bei Coop Himmelb(l)au. Hier berichtet er über seine Erfahrungen im Architekturbüro – und über die Stadt Wien.

Wien ist anders!

Zugegeben, ich bin nicht ganz neu in Wien, bin einer der vielen „Zuagroasten“, komme ursprünglich aus München und habe die letzten Jahre in verschiedenen Wiener Bezirken und WG-Konstellationen gewohnt. Das Leben in der Österreichischen Hauptstadt wirkt auf mich im Vergleich zu anderen Städten vergleichbarer Größe deutlich entschleunigt, verbunden mit einer gewissen Gelassenheit. „Wenn die Welt untergeht, braucht man sich in Wien keine Sorgen zu machen, da passiert alles ein bisschen später“   ein Satzder mir von Anfang an in Erinnerung geblieben ist. Auch wenn ich nicht mehr weiß wo ich ihn herhabe.

An das mitunter leicht „Grantige“ (das Wort „grantig“ bedeutet so viel wie „leicht gereizt“ oder „verärgert“) der Wiener gewöhnt man sich schnell und beginnt sie baldins Herz zu schliessen, genauso wie die zahlreichen Würstelstände, die gemütlichen Beisln (Kneipen) sowie die ab und zu schnippischen, aber keineswegs böse gemeinten, Kommentare der Kellner über die Bewohner des großen Nachbarstaates, die „Piefke, die nicht nur aufgrund der mittelmäßigen Siegesbilanz der heissgeliebten Österreichischen Fußballnational-mannschaft gegen die deutsche Elf recht gern das ein oder andere Mal auf die Schippe genommen werden. Aber auch diese kleinen Kontraste machen das Zusammenleben in dieser Stadt, die zum wiederholten Male zur Lebenswertesten der Welt gewählt wurde, lebenswert.

Man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht.“ – Helmut Qualtinger, ein Wiener Urgestein und berühmter Kabarettist, trifft es auf den Punkt: Immer ein bisschen unzufrieden ist er, der „echte“ Wiener. Als gebürtiger Münchner hatte ich es mit der Verständigung nicht ganz so schwer wie z.B. andere Kollegen aus dem deutschen Norden und mit den Worten „Bayern ist ja eh Österreich“ wird man dann schon auch mal auf das ein oder andere Seiterl (kleines Bier) eingeladen. Ja ich mag sie, die Wiener, und ihre Stadt mag ich auch. Aber dazu das nächste Mal mehr.


Baumeister Academy_Wien_Graphisoft

Gebaute Wolken

Als ich anfing zu studieren, war ich begeistert von der Vorstellung, dass in der Architektur „alles möglich“ ist in mancherlei Hinsicht ähnlich wie ein kleines Kind, das sich den Weltraum vorstellt und ohne fundiertes Wissen, was „Weltraum“ eigentlich ist, mittels Phantasie gewohnte Denkbahnen verlässtund „neue Welten“ aufs Papier bringt.

So saß ich im Publikum, als im Rahmen eines Vortrags von Wolf D. Prix im Kuppelsaal der Technischen Universität Wien faszinierende Ideen plötzlich konkrete Gestalt bekamen, während ich gebannt die Präsentationsfolien und die Ausführungen dazu verfolgte: „No gravity, no columns, buildings hanging in the sky.“ Dieser sehr inspirierende Vortrag war mit ausschlaggebend für meine Bewerbung bei der Baumeister Academy und Coop Himmelb(l)au, einem Architekturbüro, das die heutige gebaute Welt durch avantgardistische Projekte maßgeblich mitgestaltet und sich in einem ambitionierten und stetigen Widerstand gegen Vereinheitlichung und „architektonische Langeweile“ befindet. Dies seit vielen Jahrzehnten und mit weltweitem Erfolg. Das imponiert, natürlich. Nun darf ich ein Teil davon sein, zumindest ein kleiner, und im Rahmen meiner Möglichkeiten mitwirken beim Aufrütteln und beim Verändern. Toll, wie ich finde.

Los geht’s!

Nachdem ich das Foyer durch die massive Stahltür betreten habe, geht alles ganz schnell. Ich habe kaum Zeit, die Umgebung um mich herum wahrzunehmen, die riesigen Modelle bekannter Bauwerke, wie die EZB in Frankfurt am Main oder das International Conference Center in der chinesischen Hafenmetropole Dalian, bleiben mir spontan in Erinnerung, aber auch Konzeptmodelle der ersten Projekte von Coop Himmelblau wie „The Cloud“, mit der 1968 die Erfolgsgeschichte des Wiener Architekturbüros begann: Ein mobiler Lebensraum, ein Organismus aus Luft und Dynamik, der wohl sehr gut den Leitgedanken des Büros als Brutstätte lebhafter, fantasievoller und zukunftsorientierter Architektur verkörpert. Spannend!


Praktikum_Wien_Graphisoft

Den ersten Tag im Büro verbringe ich unter anderem damit, die Ausschreibungs-unterlagen für einen Wettbewerb, bei dem ich mitarbeiten soll, zu studieren und die Büroräumlichkeiten kennenzulernen. Als sich am Ende des ersten Tages Herr Prix persönlich ein paar Minuten Zeit nimmt, um mit mir über mein Praktikum zu reden, ist jede Anspannung vergessen und ich bin bereit für eine tolle Zeit: Zu Beginn tauche ich ein in die Welt der großen Werkstatt im Keller des Gebäudes. Hier werden sowohl einfache Konzeptmodelle als auch große Abgabemodelle gebaut.

Bereits nach einigen Tagen nehme ich an einem professionell betreuten Kurs für die Bedienung einer CNC Fräse teil, bei dem mein zuvor am Computer modelliertes Landschaftsmodell das Anschauungsobjekt ist und dann zur Erklärung für den Ablauf der 3D-Frästechniken dient. Das Zeichnen von Lageplänen und die Aufbereitung von Recherchematerial zählen genauso zu meinen Aufgaben wie das Modellieren von Geometrien am Computer.


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Über ein Monat ist seitdem vergangen und ich bin bereits angekommen in dieser kleinen Welt, die wieder etwas  anders ist, als die Stadt, die sie umgibt und trotz ihrer Besonderheit doch mit ihr harmoniert. Wie eine Luftblase, in der unermüdlich mit viel Ehrgeiz und Aufwand daran gearbeitet wird, die Welt, die uns umgibt, inspirierender und farbenfroher zu gestalten.

Die Baumeister Academy wird unterstützt von Graphisoft.

Fotos: Jakob Braun; Illustration: Coop Himmelb(l)au

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