27.06.2019

Portrait

Vom Papierhaus zum Museum

Das Paper Loh House in Indien. Foto: Kartikeya-Shodhan


Recycelbare Unterkünfte und Kirchen nach Erdbeben, Tsunami und Hurricanes

Der japanische Architekt Shigeru Ban bewegt sich in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Bekannt wurde Ban durch seine einfachen Unterkünfte für Flüchtlinge in fast allen Krisenregionen der Welt. Gleichzeitig entwarf er monumentale Gebäude für Shiseido und Swatch sowie das Aspen Art Museum und das Centre Pompidou in Metz.

Als Shigeru Ban 2014 mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, lobte ihn die Jury für seine kreative Verwendung von Baumaterialien. Ban verwertet in unkonventioneller Weise Bambus, Papier oder Kunststoff und kombiniert diese mit außergewöhnlichem Design. Seine Projekte zeichnen sich durch eine experimentelle Herangehensweise aus, egal, ob es sich um Notunterkünfte oder einen neuen Wohnturm in New York handelt. Jedes Design von Ban ist das Ergebnis von Forschung, Prototyping und Tests.

Ban ist für die Wirtschaftlichkeit und Genialität seiner Werke bekannt, weniger für die Form seiner Gebäude. „Meine Designs lösen immer Probleme,“ sagt Ban über seine Projekte. Er stellt die Form seines Gebäudes hinter dessen Nutzen. Bans Design-Ansatz steht im krassen Gegensatz zu den Bauten von Stararchitekten wie Frank Gehry oder Zaha Hadid. Toyo Ito, ein weiterer japanischer Pritzker-Gewinner, vergleicht Ban mit den gängigen Architekten unserer Zeit: „Viele Architekten konkurrieren nur um die Schönheit der architektonischen Form. Ban repräsentiert ein neues Modell eines sozialverantwortlichen Architekten.”

„Er hat als Reaktion auf dringende Herausforderungen die Rolle des Berufs erweitert,“ erklärte die Pritzker-Jury ihre Entscheidung. Hiermit honorierte die Jury Bans humanitäre Arbeit, die 1994 mit dem Konflikt in Ruanda begann, wo er Schutzhütten für die Flüchtlinge entwarf.

Im Folgejahr entwickelte Ban das “Paper Log House” für die Opfer des Erdbebens von Kobe. Im selben Jahr gründete er das Voluntary Architects Network, um mit Einheimischen und Studenten würdevolle, kostengünstige und recycelbare Unterkünfte für die Opfer von Erdbeben, Tsunami, Tropenstürmen und Krieg in zahlreichen Regionen der Welt zu bauen.

Für Ban ist weniger die Natur der Grund für eine Katastrophe, sondern der Mensch selbst. “Nicht Erdbeben töten Menschen, sondern einstürzende Gebäude”, sagte Ban auf der TEDx-Konferenz 2013 in Tokyo. “Daher liegt die Verantwortung beim Architekten.” Jedoch sind Architekten “zu sehr damit beschäftigt, für Privilegierte zu arbeiten, Leute, die Geld und Macht haben”, erklärte Ban In Tokyo. „Durch monumentale Architektur können Macht und Geld sichtbar gemacht werden.“ Ban teilt seine Zeit zwischen lukrativen Projekten und Freiwilligenarbeit in Krisengebieten auf – also für diejenigen, die Macht und Geld haben, und für andere, für die Architektur eine Überlebensform darstellt.

Bans Notunterkünfte wirken temporär. Hiermit erfüllt Ban in den Flüchtlingsregionen eine wichtige Anforderung der örtlichen Behörden, denn diese versuchen, dauerhafte Unterkünfte auf ihrem Gebiet zu vermeiden. „Bans Arbeit mit Papier und Pappe schafft eine Ästhetik der Zeitlichkeit“, erklärt Alexander Betts, Professor am Refugee Studies Centre in Oxford. In Wirklichkeit sind Bans Konstruktionen jedoch derart beliebt, dass sie auch Jahre nach den Erdbeben weiterhin existieren, wie die beiden aus Pappe und Papier errichteten Kirchen in Taomi, Taiwan und Christchurch, Neuseeland.

Bans Pro-Bono Arbeit hilft ihm gleichzeitig auch bei der Akquise lukrativer Projekte. Laut Heidi Jacobson, Direktorin des Aspen Art Museums, war Bans soziales Engagement ausschlaggebend, um ihn mit dem Neubau des Museums zu beauftragen: “Weil die Menschen hier so philanthropisch sind, waren alle von der humanitären Arbeit so begeistert”, erklärt Jacobson. Die Eröffnungsausstellung hieß daher „Shigeru Ban: Humanitarian Architecture“.

Mit seiner humanitären Arbeit konnte Ban auch Materialien und Konstruktionssysteme testen, die außerhalb von Katastrophengebieten nicht zugelassen sind. Die Erfahrungen, die Ban mit ungewöhnlichen Baumaterialien bei seinen Flüchtlingsunterkünften sammelte, konnte er im Jahr 2000 beim Japan-Pavillon auf der Hannover Expo umsetzen, auf der „Umwelt“ das zentrale Thema war. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Architekten und Ingenieur Frei Otto konstruierte er die fast vollständig recyclebare Ausstellungshalle aus Papierrohren, Holzleitern und mit Sand gefüllten Stahlfundamenten.

Das bekannteste Gebäude von Ban ist das Centre Pompidou in Metz, das der damalige Präsident Nicolas Sarkozy im Mai 2010 eröffnete. Die Stadt Metz war bemüht, ein neues Wahrzeichen zu schaffen, ganz nach dem Prinzip der spanischen Stadt Bilbao. Dort lockt wo das von Frank Gehry entworfene Guggenheim Museum jährlich über eine Millionen Touristen an. “Der Bürgermeister suchte nach einem monumentalen Gebäude für den Tourismus”, erklärt Ban. Inspiriert durch das luftige Bambusgewebe eines chinesischen Hutes, schuf Ban eine komplizierte sechseckige Holzrasterhülle und deckte diese mit Membranen ab. Anders als Gehry beim Guggenheim Museum stellte Ban die Nutzung des Gebäudes in der Vordergrund. „Ich fand, dass das Gebäude architektonisch interessant sein musste, aber gleichzeitig auch nützlich.“ In den ersten vier Jahren hat das Museum 2,2 Millionen Besucher angezogen, womit sich das Gebäude bereits im ersten Jahr fast bezahlt gemacht hat.

Nachhaltigkeit als zentrales Element im Gebäudeentwurf

Das Centre Pompidou hat eine ingenieurstechnisch hochkomplexe Konstruktion, bei der Ban das nachwachsende Material Holz verwendete. In seinen Projekten gebraucht Ban Produkte und Materialien, die mit der Umwelt in Einklang stehen. Nach Möglichkeit verwendet er dabei erneuerbare und lokal produzierte Materialien. Ein weiteres Beispiel nachhaltiger Architektur ist das Tamedia-Bürogebäude in Zürich. Das siebenstöckige Hauptquartier des Schweizer Medienunternehmens hat Ban komplett in Holz entworfen. Die ineinandergreifenden Holzbalken kommen ohne Verbindungselemente und Leim aus.

Auch für das Konzerthaus “Seine Musicale” in Paris-Boulogne hat Ban eine komplexe Konstruktion entworfen. Diese besteht aus über 3000 Teilen aus Fichtenholz mit 2800 unterschiedlichen Kreuzungspunkten. Außerhalb des Gebäudes befindet sich ein 45 m hohes Metallsegel, das mit 800 m² Photovoltaikzellen bestückt ist. Das “Sonnensegel” folgt dem Lauf der Sonne: Es fährt auf einer 100 Meter langen Schiene und produziert dabei Strom und schützt gleichzeitig die Glasfassade vor direkter Sonneinstrahlung. Im Sommer erhöht das Segel den thermischen Komfort im Gebäudeinnern und verringert den Kühlbedarf.

Im Sommer wird in Biel (Kanton Bern) der neue Swatch-Firmensitz eröffnet. Wie bereits beim Centre Pompidou hat Ban bei der Hülle des neuen Swatch-Gebäudes die Holzkonstruktion mit einer lichtdurchlässigen ETFE-Membrane überzogen. Außerdem hat Ban Photovoltaikmodule in die Hülle integriert.

Shigeru Ban wird am 28. Oktober 2019 die Keynote zur Eröffnung der internationalen Conference on Advanced Building Skinshalten halten, die am 28. + 29. Oktober in Bern stattfindet. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.abs.green. Sie können sich hier zu der Veranstaltung anmelden.

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