14.11.2019

Gewerbe

Unterwegs in der Krypt.bar

Wandlung eines 200 Jahre alten

Das Kellergewölbe wurde nur zufällig bei Renovierungsarbeiten im 9. Wiener Bezirk entdeckt. Heute erwartet dort fünf Meter unter der Stadt ein kryptischer Architekturort seine durstigen Nachtschwärmer. Ein hochprozentiger Besuch

Wandlung eines 200 Jahre alten, denkmalgeschützten Kellergewölbes. Hinter der Bar hängt ein gut gelauntes Wiesengemälde des Wiener Malers Alex Ruthner. Fotos: David Schreyer
Die Ziegelmauern hat man gereinigt, auf dem Boden Marmor verlegt. Sitznische aus Nussbaumholz im goldbeschichteten Stützwerk.

Zwei Shots Scotch Whisky, einen Shot Drambuie, etwas Eis, und dann mixt die Frau hinter der Bar wie eine Hochleistungssportlerin, Muckis in den Oberarmen, in einem Affentempo meinen „Rusty Nail“. Was hätte ich auch anderes bestellen sollen an diesem Ort, der von Geschichte und Patina nur so strotzt, als einen Rusty Nail? Schüttet das goldbraun schimmernde Getränk schnell, aber elegant in den Tumbler, wo bereits zwei, drei dicke Eiswürfel auf die hochprozentige Flut warten, eine Zitronenscheibe als Garnitur, fertig. Wiewohl, denke ich mir nach dem ersten Schluck, einen rostigen Nagel werde ich hier unten, historisches Gewölbe hin oder her, lange suchen.

Die Krypt.bar, einer der Places-to-be in Wien, und so was von To-be, dass die Website sogar ohne postalische Adresse auskommt, befindet sich im Keller eines denkmalgeschützten Biedermeierhauses in der Wasagasse. Der Eingang ist unscheinbar und im wahrsten Sinne des Wortes nichtssagend. Kein Schriftzug, kein Logo, nur eine Nische mit einer goldenen Glocke, die man, wenn man Durst verspürt, betätigen muss. Über eine schwebende Treppenkonstruktion, die über den alten Steinstufen errichtet wurde, die wiederum mit ordentlichem Respektabstand und dramatischer Beleuchtung als Schatten der Zeit in Szene gesetzt wurden, gelangt man, 32 Stufen mitsamt Zwischenpodest, hinab in die kryptischen Tiefen.

Die hohen und mächtig gebauchten Ziegelgewölbe sind beeindruckend. Wie mir Architekt Jonathan Lutter, Gründervater und Chef des planenden Büros KLK, am nächsten Morgen erzählen wird, kann sich bis heute niemand erklären, wie diese gemauerte Pracht hier unten zustande kam. In den wenigen noch erhaltenen Plänen findet sich kein einziger Hinweis auf die ursprüngliche Nutzung dieser zwei Geschosse unter Tag liegenden Kellergewölbe. Noch mehr, so wird sich bei diesem bereits ausgenüchterten Gespräch herausstellen, wird mich beeindrucken, dass der gesamte Innenhof des Gebäudes während der Bauarbeiten abgegraben wurde, um den bestehenden Kellerräumlichkeiten von außen dienende Flächen wie etwa Küche, Lager und Technikräume im Umfang von 150 Quadratmetern anzubauen. Im Zuge dessen wurde das Ziegelmauerwerk trockengelegt, statisch ertüchtigt, abgedichtet, gedämmt und an den Sichtflächen gereinigt und gebürstet.

Mein Rusty Nail, das Glas ist mittlerweile halbleer, steht auf einem sieben Meter langen Tresen, der dank zahlreicher Niveausprünge im Raum mal als Bar, Stehpult oder Esstisch dient. Unter dem Gewölbe werden dicke, fette Lüftungsrohre geführt, wobei sowohl Rohr als auch Hängekonstruktion in mühsamster Handarbeit flächendeckend mit luxuriös schimmernder Kompositgoldfolie belegt und mit Schellack versiegelt wurden. Am Boden wurde, ein Zitat auf die Wiener Altbautradition, in Fischgrätstäben dunkelgrüner Nero Marquina aus Italien verlegt. Der Marmor soll der hohen Erdfeuchtigkeit standhalten. Der Rusty Nail schmeckt. Und er passt zu diesem Ort, dessen Zeitschichten sehr behutsam freigelegt und inszeniert wurden, genauso gut wie ein Golden Cadillac es auch tun würde. Diese Kombination aus Rost und Gold, aus Shabby Chic und Schimmer hat Seltenheitswert in der nächtlichen Gastronomie.

Den Artikel über die Krypt.bar  finden Sie in unserer aktuellen Baumeister-Ausgabe 11/2019.

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