04.02.2019

Wohnen

Unter Spannung: Sprachnot

Architektur gilt als eines der wichtigsten kulturellen Symbolsysteme unserer Gesellschaft. Die Frage, was allerdings gemeint ist, wenn von „Kultur” die Rede ist, hat sich in den letzten Jahren zunehmend in eine intellektuelle Kampfzone verwandelt, in der auch die Architektur (wieder) eine zentrale Rolle spielt. Zwischen Ethnofuturismus und Postkolonial, Technologischer Singularität und Posthumanismus, Rekonstruktionsdebatte und Identitätspolitik – es scheint, als wären wir auf der Suche nach klar definierbaren Selbstbildnissen und Wertebeschreibungen in einer sich radikal verwandelnden Gesellschaft. Architektur bewegt sich nicht nur in einem Spannungsfeld von Gebrauchswert und Kunstanspruch. Architektur selbst steht fortwährend unter Spannung – künstlerisch, sozial, politisch und technisch. Daher rührt auch die Lebendigkeit und Sprengkraft, die eine Diskussion über Architektur entfalten kann. So verstanden ist sie – womöglich im gleichen Sinn wie die Sprache – der symbolische Ausdruck eines allgemeinen menschlichen Verhaltens und Antwort auf existenzielle Erfordernisse. Aktuell jedenfalls, scheint das Technische der Architektur das Leben wieder schwer zu machen – und damit sind weder die abgedroschenen Debatten um Smart Cities oder BIM gemeint, noch jene Architektinnen und Architekten angesprochen, die ihre eigene Technophobie noch immer mit Hilfe der längst sich selbst überholten Autonomiedebatte zu verschleiern versuchen.

Die Komplexität des Technischen ist vielmehr woanders zu suchen, zumindest wenn man dem Philosophen Hans Blumenberg Glauben schenken mag. In seiner äußerst lesenswerten „Geistesgeschichte der Technik“ behauptet Blumenberg nämlich, „die Sphäre der Technizität leide unter Sprachnot“. Er diagnostiziert dem technischen Denken also eine Form der sprachlichen Armut. Diese Armut, so Blumenberg weiter, sei nicht nur ein „Phänomen, das den nüchternen Mann der Konstruktion charakterisiere“. Sie sei auch nicht nur eine Frage der Aufmerksamkeit. Sie sei – und diesen Aspekt halte ich für besonders bemerkenswert – vor allen Dingen ein Phänomen der „Sprachlosigkeit der Technik“ selbst, also ein dem Technischen implizites Unvermögen, angemessen über sich selbst zu sprechen, sein eigenes Tun gewissermaßen zu versprachlichen.

Während Künstler und Dichter auf ein regelrechtes „Arsenal an Kategorien und Metaphern“ zurückgreifen können, um ihren schöpferischen Prozess zu charakterisieren, stünde der technischen Welt keine solch mächtige Sprachlichkeit zur Verfügung. Und so kommt Blumenberg zu dem bemerkenswerten Schluss, dass „die Leute, die das Gesicht unserer Welt am stärksten bestimmen, am wenigsten zu sagen wissen, was sie tun“. Leidet die technische Kultur – wie Blumenberg uns weiß machen möchte – vielleicht deshalb unter Sprachnot, weil sie über das immer gleiche Versprechen der Optimierung, der Wirtschaftlichkeit, ja der ganzen damit einhergehenden verführerischen Effizienzrhetorik einfach nicht hinauskommt?

Man mag hier widersprechen. Doch wie immer man diese Frage beantwortet, Blumenberg benennt etwas, das zu den impliziten Widersprüchen der Architektur selbst führt: die Herausforderung, angemessen mit der Sprachgebundenheit und dem operationalisierenden Moment der Architektur gleichermaßen umzugehen, sie in einem produktiven Gleichgewicht zu halten. Er erinnert uns daran, dass Architektur ein zivilgesellschaftliches Ideal ist, dessen sozialer und ästhetischer Wert für die Gesellschaft immer wieder neu ausgehandelt und hinterfragt werden muss. Architektur ist also immer auch eine politische Forderung danach, dass Belange von gesellschaftlichem Interesse räumlich ausgehandelt werden.

Diese Kolumne stammt aus der Januarausgabe 2019. Neugierig geworden? Hier gehts zum Shop.

Vorheriger Artikel

Nächster Artikel

das könnte Ihnen auch gefallen

Scroll to Top