Der Eingriff ist kleinmaßstäblich, die Lage zentral. Das Thürwachterhaus liegt am Rand der Ingolstädter Altstadt, keine 50 Meter vom Taschentorturm entfernt – einem der letzten drei erhaltenen Stadttore der bayerischen Festungsstadt. Die Nachbarschaft ist geprägt von engen Gassen, kleinteiligen Baukörpern und einem Stadtraum, der sich nicht über große Gesten, sondern über Maßstäblichkeit und Dichte definiert. Hier fügt sich das Projekt von BÜRO MÜHLBAUER mit einem präzisen UmbauUmbau ist ein Begriff, der sich auf die Veränderung oder Renovierung eines bestehenden Gebäudes oder Raums bezieht. in die bestehende Struktur – und interpretiert den Typus des Stadtbauernhofs neu.

Bestand als Ressource
Der ursprüngliche Komplex bestand aus einem Wohnhaus, einem Wirtschaftsgebäude (Stadel) und einem kleinem Innenhof. Bis zuletzt war das Ensemble weitgehend in seinem historischen VolumenVolumen: Das Volumen beschreibt das Raummaß bzw. die Größe eines Körpers oder Behälters in Kubikmetern oder Litern. erhalten, allerdings in einem baulich prekären Zustand. Die Aufgabe: die Umnutzung in vier zeitgemäße Wohneinheiten – mit Respekt vor der vorhandenen Bausubstanz, aber ohne museale Rücksichtnahme.
Der Zugang zum Gelände erfolgt weiterhin über ein enges Seitengässchen. Von dort öffnet sich der kleine Hof – kein Garten, eher ein Freiraum mit Nutzcharakter, wie er für städtische Gehöfte typisch ist. Der Grundriss blieb in seiner Grundstruktur erhalten. Im Zuge der Sanierung wurde das Wohnhaus in drei separate Wohnungen unterteilt: eine Einheit im Erdgeschoss, zwei Maisonettewohnungen darüber. Insgesamt 180 Quadratmeter Wohnfläche wurden hier aufgeteilt. Die räumliche Organisation folgt dabei weniger dem Raster der ursprünglichen Nutzung als dem neuen Anspruch auf heutige Wohnstandards.
Stadel mit Betonhülle
Den interessanteren Eingriff erlaubt der ehemalige Stadel. Wo einst Heu gelagert wurde, steht nun ein dreigeschossiges Stadthaus mit 90 Quadratmetern Wohnfläche. Die äußere Kubatur blieb erhalten – das VolumenVolumen: Das Volumen beschreibt das Raummaß bzw. die Größe eines Körpers oder Behälters in Kubikmetern oder Litern. wurde jedoch vollständig neu strukturiert. Die Architekten legten eine raumhaltige Betonstruktur in den Bestand, die den neuen Ausbauumfasst alle Arbeiten, die nach der Rohbauphase durchgeführt werden müssen, damit ein Gebäude bewohnbar oder nutzbar wird. Dazu gehören beispielsweise das Verlegen von Elektro- und Sanitärinstallationen, das Verputzen der Wände und das Verlegen von Bodenbelägen. sowohl statisch trägt als auch gestalterisch definiert. Der Guss erfolgte mit handwerklich gezimmerter Brettschalung, die der Oberfläche eine robuste TexturTextur: Die Oberflächenbeschaffenheit eines Materials. verleiht – sichtbar belassen im Innenraum.
Der Kontrast zwischen Alt und Neu wird nicht gesucht, sondern gesetzt. SichtbetonSichtbeton: Ein Beton, der von außen sichtbar bleibt und dessen Oberfläche eine ästhetische Wirkung erzielt. trifft auf restauriertes Gebälk, klare Schnittstellen auf Spuren der Nutzung. Der ursprüngliche DachstuhlDachstuhl: Der Dachstuhl ist das tragende Gebälk, das das Dach trägt. wurde vom Zimmermann restauriert und freigelegt. Er überspannt nun eine offene Raumfolge, die sich vom Erdgeschoss bis unter die Firstlinie zieht. Ein zentraler Luftraum verbindet die Geschosse vertikal – Galerie, Küche und Essbereich liegen übereinander gestaffelt. Es ist eine Raumdramaturgie, die den engen Grundriss räumlich aufweitet, ohne ihn überzubelichten.
Innenhof mit Erinnerung
Der kleine Hofraum wurde ebenfalls neu geordnet. Landschaftsarchitekt Prof. Maurus Schifferli aus Bern legte die Fläche in Anlehnung an ihre ursprüngliche Nutzung als Misthaufen an – allerdings ohne historische RekonstruktionRekonstruktion bezeichnet die Wiederherstellung eines Bauwerks mit Hilfe von historischen Plänen, Fotos oder Skizzen, um es dem ursprünglichen Zustand möglichst nahe zu bringen.. Stattdessen formuliert der Hof eine präzise Referenz: eine leicht erhöhte Sitzfläche markiert die frühere Position des Haufens, flankiert von zwei heimischen Pflanzen – Kletterhortensie und Maulbeerbaum. Die Gestaltung verzichtet auf dekorative Elemente, versteht sich vielmehr als funktionaler Außenraum mit räumlicher Tiefe.
Die Verbindung zwischen Innen und Außen ist bewusst offen gehalten. Große Öffnungen im Erdgeschoss der neuen Betonstruktur richten sich zum Hof, lassen LichtLicht: Licht bezeichnet elektromagnetische Strahlung im sichtbaren Bereich des Spektrums. In der Architektur wird Licht zur Beleuchtung von Räumen oder als Gestaltungselement eingesetzt., Blick und Bewegung zwischen den Gebäudeteilen zu. Der Hof ist kein Garten im klassischen Sinn, aber ein Ort mit Aufenthaltsqualität – und als solcher integraler Bestandteil des architektonischen Konzepts.
Fazit: Umbau mit Haltung
Das Thürwachterhaus verzichtet auf gestalterischen Überschwang. Stattdessen setzt sie auf robuste Materialien, klare Strukturen und den kontrollierten Dialog zwischen Bestand und Intervention. Die Entscheidung für eine innere Betonstruktur im ehemaligen Stadel mag nicht nur konstruktiv, sondern auch wirtschaftlich motiviert gewesen sein – sie ist jedoch präzise umgesetzt und formal zurückhaltend genug, um den Charakter des Ensembles nicht zu dominieren.
Das Projekt bleibt lokal verankert, ohne provinziell zu sein. Es zeigt, dass Stadtentwicklung auch im Kleinen stattfinden kann – und dass es für den architektonischen Umgang mit dem Bestand weder Pathos noch Ikonografie braucht. Nur Haltung.
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