Im Münchner Stadtteil Obersendling ist ein Schulbau entstanden, der den Spagat zwischen knapper Grundstücksfläche und ambitioniertem Raumprogramm meistert. Das neue Thomas-Mann-Gymnasium von h4a Gessert + Randecker Architekten zeigt exemplarisch, wie verdichtetes Bauen im urbanen Kontext funktionieren kann, ohne dabei pädagogische Zielsetzungen zu kompromittieren.

Urbane Einbettung als Ausgangspunkt
Die Herausforderung des 2016 per VgV-Verfahren gewonnenen Wettbewerbs lag in der Flächenknappheit: Auf einem nur 1,4 Hektar großen Areal sollte ein sechszügiges Gymnasium für bis zu 1.600 Schüler mit umfangreichen Sportflächen entstehen. Der städtebauliche Ansatz ist konsequent nach innen orientiert – die Gebäudevolumen fassen das Grundstück entlang der Straßenkanten ein und schirmen den Innenbereich ab. Eine teils aus Mauer, teils aus transparentem PlexiglasPlexiglas: Plexiglas ist eine Marke für Acrylglas, einem transparenten Kunststoff, der gegenüber Glas eine höhere Schlagfestigkeit und Flexibilität hat. bestehende Umfriedung ergänzt den SchallschutzSchallschutz – Die Fähigkeit eines Gebäudes oder Raumes, Schall abzuschirmen und zu dämpfen..
Im Inneren entfaltet sich eine differenzierte Lernlandschaft, in der Schulhaus und Dreifachsporthalle einen zentralen Pausenhof flankieren. Die Architekten nutzen die begrenzte Grundfläche durch eine konsequente Stapelung der Funktionen über sechs Geschosse. Der vertikale Erschließungskern mit Atrium bildet das kommunikative Zentrum der Anlage und verbindet sämtliche Ebenen visuell miteinander.
Das Münchner Lernhausprinzip im Fokus
Als erstes städtisches Gymnasium Münchens setzt das Thomas-Mann-Gymnasium konsequent das „Münchner Lernhausprinzip“ um. Dieses pädagogische Konzept strukturiert die oberen vier Geschosse in überschaubare Lerncluster: Jeweils sechs Klassenzimmer gruppieren sich um gemeinschaftliche Foren, ergänzt durch Inklusions-, Team-, Ausweich- und Multifunktionsräume. Diese „Häuser im Haus“ schaffen innerhalb des großen Schulkomplexes menschliche Maßstäblichkeit und fördern den Zusammenhalt der Lerngruppen. Die offenen Foren sind abwechslungsreich möbliert und können über die angrenzenden Multifunktionsräume flexibel erweitert werden – ideal für alternative Lernformen und selbstgesteuertes Arbeiten.
Funktionale Verdichtung durch intelligente Raumnutzung
Die Flächenoptimierung ist durchgängiges Prinzip: Das kompakte Schulhaus bündelt neben den Lernhäusern auch Fachklassen, Mensa, Bibliothek, Schulgarten und die Aula. Zwei Lichthöfe und das zentraleZentrale: Eine Zentrale ist eine Einrichtung, die in der Sicherheitstechnik als Steuerungszentrum für verschiedene Alarmvorrichtungen fungiert. Sie empfängt und verarbeitet Signale von Überwachungseinrichtungen und löst bei Bedarf Alarm aus. Atrium versorgen die tiefen Baukörper mit TageslichtTageslicht: Natürliches Licht, das während des Tages durch die Fenster oder Oberlichter in ein Gebäude strömt.. Umlaufende Fluchtbalkone verleihen der FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt. plastische Tiefe und schaffen gleichzeitig gestalterische Freiräume im Inneren durch bereits erfüllte Brandschutzanforderungen.
Besonders innovativ ist die Mehrfachnutzung der Sporthalle: Als westlicher Abschluss des Pausenhofs beherbergt sie drei abtrennbare Hallenfelder und eine Tribüne für 200 Personen. Das absolute Highlight ist der „Käfig“ auf dem Hallendach – ein Allwettersportplatz, der bei den Schülern größte Beliebtheit genießt und in den Pausen erste Anlaufstelle für bewegungsfreudige Jugendliche ist. Erreichbar über eine großzügige Freitreppe, die zusätzlich als Tribüne fungiert, bietet dieser erhöhte Sportbereich ein besonderes Spielerlebnis mit Panoramablick. Das Untergeschoss beherbergt Kunst- und Kreativräume, die durch einen Tiefhof mit Tageslicht versorgt werden.
Freiräume mit Qualität
Trotz der hohen baulichen Dichte bietet der Campus vielfältige Freiräume: Neben dem zentralen Pausenhof finden sich mehrere Outdoorsportplätze, eine Tartan-Laufbahn, ein Beachvolleyballfeld, Weitsprung- und Kugelstoßanlagen sowie Tischtennisplatten und Outdoor-Fitnessgeräte. Die durchdachte ZonierungZonierung: Die Zonierung beschreibt die Einteilung eines Gebäudes in unterschiedliche Nutzungszonen. erlaubt unterschiedliche Aktivitäten und bietet sowohl Bewegungsraum als auch ruhigere Bereiche mit Sitzgelegenheiten für Kommunikation.
Ein außergewöhnliches Merkmal des Projekts ist die unterirdische Fahrradgarage – eine architektonische Antwort auf den ökologischen Schulweg vieler Kinder und Jugendlicher. Von der Gmunder Straße führt eine Rampe hinab in einen kunstvoll gestalteten Raum mit 450 Stellplätzen. Die österreichische Künstlerin Georgia Creimer hat diesen „Underscape“ als atmosphärisches Naturerlebnis konzipiert: Eine spektakulär grün-blaue Tunnelgestaltung schafft Assoziationen zu Wald, Wiese und Himmel. Diese unerwartete kontemplative Qualität im UntergrundUntergrund: Der Untergrund bezieht sich auf die Fläche, auf der eine Baustruktur errichtet wird. Er kann aus verschiedenen Materialien wie Beton, Erde, Gestein oder Asphalt bestehen und muss oft vor der Errichtung entsprechend bearbeitet oder vorbereitet werden. bildet einen bewussten ästhetischen Kontrapunkt zur industriell geprägten Umgebung und verwandelt den funktionalen Raum in ein tägliches Erlebnis für die Schüler.
Nachhaltiges Schulzentrum mit Quartiersbezug
Das Thomas-Mann-Gymnasium mit seinem musisch-ästhetischen Bildungsweg trägt die Titel „Umweltschule in Europa“, „MINT-freundliche“ sowie „Digitale Schule“. Die hochwertige technische Ausstattung mit interaktiven Whiteboards in allen Klassenräumen und eigenen EDV-Räumen auf jeder Ebene unterstützt den pädagogischen Anspruch.
Durch außerschulische Veranstaltungen wie Literaturabende, Konzerte und Ausstellungen übernimmt das Gymnasium eine wichtige kulturelle Funktion im Stadtteil Obersendling. Die großzügigen Sportanlagen werden auch von Vereinen genutzt und bereichern das Quartier. Mit seiner markanten Erscheinung – stellvertretender Schulleiter Akim Akodad beschreibt es als „Space-Shuttle“ im morgendlichen LichtLicht: Licht bezeichnet elektromagnetische Strahlung im sichtbaren Bereich des Spektrums. In der Architektur wird Licht zur Beleuchtung von Räumen oder als Gestaltungselement eingesetzt. – bildet der Neubau eine neue Landmarke im industriell geprägten Umfeld.
Das Thomas-Mann-Gymnasium demonstriert eindrucksvoll, wie auf begrenztem Raum ein komplexes Bildungszentrum entstehen kann, das unterschiedliche Lernformen ermöglicht und gleichzeitig eine identitätsstiftende Heimat für 1.600 Schüler schafft.
Lesen Sie hier, was die Volksschule in Au von bernardo bader architekten ausmacht.