10.05.2018

Öffentlich

Theater um Frankfurter Puppenstube

Hui, Kulturdeutschland diskutiert über Architektur und Politik. Über Retro-Architektur und den neuen Nationalismus, genauer gesagt. In Frankfurt eröffnet die neue Altstadt, das so genannte Dom-Römer-Projekt aus 35 rekonstruierten bzw., wie es die Initiatoren nennen, „schöpferisch nachgebauten“ Häuslein. Und in den sozialen Medien herrscht unter Architekturfreunden helle Aufregung.

Es begann mit einem Text des von mir sehr geschätzten Stephan Trüby, der auch im Baumeister schreibt. Er hatte es auf die politische Gesinnung zweier Initiatoren des Frankfurter Rekonstruktionsfestivals abgesehen. In einem Text für die FAZ wies er nach, dass diese sich einer rechtsintellektuellen Szene zugehörig fühlen. Auf Facebook und Co. wurde dies schnell zu dem Vorwurf verkürzt, die neue Altstadt sei ein neofaschistisches Projekt. Es folgte die zu erwartende Aufruhr bei Altstadt-Sympathisanten und eine auch nicht sonderlich überraschende Social Media-Welle an Sympathie-Statements der Betrachterszene, inklusive Petition auf Change.org. Als Chefverteidiger des Frankfurter Retro-Projektes tritt der Architekturkritiker der Zeitung „Die Welt“, Dankwart Guratzsch auf. Unterstützt wurde er von Chefredakteur Ulf Poschardt.

Es wird beiderseits nicht an rhetorischer Heftigkeit gespart; die Aufgeregtheit ist groß. Und das hat einen Grund. Im Grunde geht es nämlich hier wie dort um die Aufrechterhaltung selbstdefinitorischer Positionen, die seit langem obsolet sind.

Da ist auf der einen Seite der Versuch, ein Bild bruchfreier wertkonservativer Bürgerlichkeit zu verteidigen. Das treibt die Initiatoren des Frankfurter Baukastenspiels um. Sie möchten zu gern glauben, dass es eine jahrhundertelange Linie bürgerlicher Kulturkontinuität gibt. Für diese soll das Dom-Römer-Projekt stehen. Eine bourgeoise Bildungsschicht imaginieren sie herbei, die in unseren Städten in Fachwerkhäuschen seit jeher den kulturbeflissenen Diskurs pflegt und ihren Goethe liest – oder die Zeitung „Die Welt“. Das alles ist aber längst nicht mehr der Fall. Das „Bürgertum“ wirkt als soziologische Analysekategorie ziemlich in die Jahre gekommen. Und natürlich begann die Krise des Bürgerlichen nicht erst dieser Tage, sondern schon mit dem (im Kern antibürgerlichen) Nationalsozialismus. Dieser stellte nun einmal einen radikalen Einschnitt für die deutsche Gesellschaft dar.

Heute gehört die Frankfurter Innenstadt Bankern und Startup-Financiers aus aller Welt, regional entwurzelten Hipstern mit Geld gewissermaßen. Für irgendeine Idee deutschen Bildungsbürgertums interessieren sie sich nullkommanull. Und für die Neualtstadt auch nicht. Die rekonstruierte Altstadt liefert rückwärtsgewandte Historien-Architektur für eine imaginierte bürgerlich-konservative Stadtelite. Aber diese Elite existiert nicht mehr.

Der Begriff der Elite bringt mich zur anderen Seite, zu den Altstadtkritikern in der deutschen Kulturszene. Wenn es eine Elite, genauer eine Diskurselite gibt, dann repräsentieren diese sie. In der Skepsis dem Frankfurter Projekt gegenüber herrscht hier Konsens.

Interessant aber: Man ist quasi Elite wider Willen. Viele Social Media-Statements über die Texte in der Welt kramten gelernte Anti-Springer-Binsen wieder hervor und sahen die Beiträge als Ausdruck eines deutsch-reaktionären Establishments. Ach wie gut fühlt es sich an, noch einmal die gemütlichen alten Fronten zu imaginieren: Dort das böse rechte Bürgertum, die „Macht“, hier wir, die Revoluzzer, die frechen Querdenker. Fast wirkt es, als wünschten manche Diskutanten sich dieselben Fronten zurück wie die Frankfurter Altstadtfans. Aber auch ihnen sei gesagt: Die Fronten gibt es nicht mehr – und das kulturelle Establishment seid Ihr selbst. Auch Stephan Trüby repräsentiert dieses. Er hat – verdientermaßen – einen prestigeträchtigen Lehrstuhl in Stuttgart inne. Sein Text erschien nicht in den Stuttgarter Nachrichten oder in einem Blog, sondern in der FAZ.

Die von ihm kritisierten Initiatoren der neuen Altstadt scheinen hingegen gesellschaftlich und ökonomisch eher randständige Figuren zu sein. Imageträchtige Professorenstellen haben sie jedenfalls nicht, in den großen Verlagshäusern oder Rundfunkanstalten spielen sie auch keine Rolle. Im diskursiven Zentrum des Landes sitzen andere. Speziell der Architekturdiskurs ist in links-progressiver Hand – und in der Altstadt-Frage wie auch bei anderen Debatten bemerkenswert einer Meinung (einer Meinung, die ich häufig teile).

Die Underdogs befinden sich heute rechts. Daraus speist sich ja die Dynamik von Kräften wie der AfD, trotz deren offensichtlicher politischer Ideenlosigkeit. Was jene Kräfte aber trotz generellen politischen Visionsmangels durchaus haben, ist eine architektonische Agenda. Stephan Trüby setzt sich mit dieser in vielen Arbeiten auseinander.

Natürlich lehnt diese Agenda den internationalen Modernismus ab. Aber der Kampf um kulturelle oder architektonische Ausdrucksformen bürgerlichen Lebens ist ihr meinem Eindruck nach ebenso fremd. Ihr geht es weniger um neobürgerliche Altstädte, sondern um abstruse Ritterburgen oder lächerliche pseudogermanische Dörfer. Für die neuen Rechten spielt das Projekt Bürgertum keine entscheidende Rolle – auch deshalb, weil ihnen die (bürgerliche) Haltung toleranter Weltoffenheit, wie sie sich etwa in der Reaktion auf die Flüchtlingswelle gezeigt hat, zutiefst unbehaglich ist. Die neuen Rechten sind nicht bürgerlich, sondern kulturell entkoppelt. Die Frankfurter Pseudo-Bürgertums-Puppenstube dürfte den meisten von ihnen reichlich egal sein.

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