23.08.2019

Öffentlich

The #sexiest #subway #station in #Munich

Mark Kammerbauer – Baumeister


“Schließlich sind wir in Bayern”

Da steigt man aus der U-Bahn aus und ist verblüfft. Eine graue Betonwand, roh, unfertig. Das kann doch nicht München sein. Eher eine jener Metropolen, von denen es heißt, sie seien weder schön noch gestaltet. Fast möchte man meinen, man sei im „Grauen Raum“ des dauerentrückten William S. Burroughs gelandet, oder in einer Romanszene von J.G. Ballard. Was ist hier geschehen? Die Wände entlang der Bahngleise sind blank, von ihrer Verkleidung befreit, bis auf den nackten Beton des U-Bahn-Tunnels. Es ist jedoch in der Tat München, und zwar die Station am (oder besser: unter dem) Sendlinger Tor. Hier kreuzen sich die U1 und U2 auf einer Etage mit der darüber liegenden Plattform der U3 und U6.

Dementsprechend ist hier viel los, zwischen den Etagen, auf dem Weg an die Oberfläche und von dort in den Underground. Das Erstaunliche aber ist: Vor dem Hintergrund der ihrer Verkleidung beraubten Betontunnelwände sticht nicht nur das übliche, geordnete Sammelsurium an wegweisenden Zeichen stärker als sonst hervor. Die Menschen, die sich vor den desolaten Betonwänden dieser Station bewegen, erscheinen unglaublich kontrastreich, plastisch und lebendig. Fast so, als würde das Fehlen des typischen Designs, für das die Münchener U-Bahnstationen bekannt sind, hier zu einem Aufblühen subterraner Vitalität führen. Das gesichtslose Ambiente lässt Gesichter verstärkt zur Geltung kommen. Was aus mehrerlei Perspektiven eigentlich eine ziemlich harte Bestandsaufnahme darstellt.

Einmal, weil die nackten Betonwände mit ihren Aussparungen, Fugen, Aufbauten, Zeichen und sonstigen Merkmalen – nicht zu vergessen, eine gute Portion an wortwörtlich unterirdischem Schmutz – einen wirklich harten und schmucklosen Eindruck hinterlässt. Vor allem aber, weil der Erhalt der Gestaltung der Münchener U-Bahnstationen einen Wert hat und keine Selbstverständlichkeit ist. Seit der Olympischen Spiele 1972 prägt sie das Bild des öffentlichen Nahverkehrs der Stadt und spiegelt mit ihren Farben und Formen den übergeordneten Gestaltungswillen der beteiligten Akteure der damaligen Zeit wider: Der Welt ein offenes, freundliches München zu präsentieren. Auch, wenn das Problem der Sauberhaltung der bunten Oberflächen als Teil eines hoch frequentierten Verkehrsraums das fröhliche Image bisweilen etwas dämpft.

So betrachtet ist der nackte Beton der Station Sendlinger Tor eine Ausnahme der Regel. (Es sei denn, die S-Bahn belässt die Stationen am Hauptbahnhof und am Marienplatz in ihrem derzeitigen Baustellen-Style.) Man kann dies wertschätzen oder insofern verkraften, ohne zu befürchten, dass die sorgsam und mit Weitblick gestalteten U-Bahn-Stationen der Stadt der nicht-, un- oder sogar anti-Gestaltung weichen müssten. Um etwa mehr wie Berlin oder eine beliebige andere Metropole zu wirken, mit zur Schau gestellter Schroffheit. Von Schroffheit aber hat man zumindest in den sozialen Medien ohnehin schon genug.

Und genau dort, wo Bilder unmittelbares soziales Feedback auslösen, hat ein Foto dieser U-Bahnstation eine wahre Lawine an Kommentaren ausgelöst. Die Überschrift “The #sexiest #subway #station in #Munich” bei Facebook spornte an und regte auf. Einige hatten ähnliche Bilder geschossen und freuten sich. Manche sinnierten über die unterirdische Zukunft (Frage: „Wird man die Stationswände neu verkleiden?“ Antwort: „Wird man, schließlich sind wir in Bayern.“) Andere vermuteten, dass jemand die Verkleidung geklaut habe, um die eigene Hausfassade zu verschönern – sozusagen ein doppeltes Fassadenlifting. Ehemalige Werkstudenten von Professor Paolo Nestler, des Schöpfers der ehemaligen Stationsgestaltung, teilten Anekdoten aus deren Entstehungszeit.

Instagram-Eldorado

Und mit einem Schlag ging es weniger um das Design oder um den Bau an sich, sondern um die Menschen, die hier posteten: Wie sie modisch geneigt seien. Ob sie bestimmte Clubs frequentierten. Wer Bunkeratmosphäre mag und wer nicht. Wer Hipster oder Yuppie, Metalhead oder Concrete Lover ist, wer mit wem wohin ging oder auch nicht, und vor allem, wozu … Das Kommentargewitter, vom Bild einer nackten Betonhöhle ausgelöst, wurde zum Streitgespräch über Jugend und Romantik. Womit medial bewiesen wäre: Der besondere, rohe, nackte Charakter dieser U-Bahnstation hat ein höchst lebendiges Ergebnis zur Folge. Gestalterische Vorschläge blieben dennoch nicht ganz aus, wie etwa ein Graffiti-Treatment der Betonwände. Und ein Plädoyer gab es für eine intentionale Gestaltung des Orts, anstelle der Baustellenromantik des aktuellen Zustands.

Es besteht nämlich die Gefahr, dass Sicherheitsbedenken angesichts aktueller gewaltsamer Vorfälle an Bahngleisen die Verantwortlichen dazu bewegen, überall gläserne Trennwände mit sogenannten Bahnsteigtüren entlang der Gleise aufzustellen. Diese würden zu einer erheblichen Veränderung der ursprünglichen gestalterischen Intention beitragen. Was tun – nackt lassen? Wiederherstellen? Neu einkleiden? Was bleibt, ist der Eindruck, dass die Menschen vor dieser grauen Leinwand besonders lebendig wirken. Anderswo mag die Gestaltung im Vordergrund zu stehen scheinen. Die Gefahr besteht jedoch, dass der Graue Raum am Sendlinger Tor aus diesem Grund eine Transformation hin zum Instagram-Eldorado erfährt. Damit könnten gläserne Schutzwände wohl doch notwendig werden, damit kein architektonischer Helmut Newton vor dem nackerten Beton unterirdisch auf die Gleise fällt.

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