19.12.2016

Öffentlich

Soziologe in die Politik? Ja – trotz Stasi

Ich glaube sagen zu können, dass ich DDRomantischer Verharmlosungen unverdächtig bin. Im oft sozialbetulichen Architekturdiskurs neige ich dazu, ab und an von Marktkräften zu sprechen und davon, dass diese nicht immer zerstörerisch sein müssen. Das ist im steten Strom der architektonischen Kapitalismuskritiker nicht mehrheitsfähig.

Dies voraus geschickt, möchte ich jetzt dennoch für ein Stück Urteilsmaß plädieren bei einer Frage, bei der schnell aus politmoralisch großen Kanonen geschossen wird. Es geht um den Stadtsoziologen Andrej Holm. Der ist seit kurzem neuer Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin. Er arbeitet im Bauressort von Katrin Lompscher (Die Linke). Das Problem: Holm war bei der Stasi. Zumindest kurz. Neu ist das nicht – er hatte schon vor Jahren erklärt, vor der Wende beim Stasi-Wachregiment “Feliks Dzierzynski” eine Grundausbildung absolviert zu haben.

Das ist nicht schön und auch nicht harmlos. Bei einem Vollblut-Politiker hätte ich sogar gesagt, es diskreditiert ihn. Nur liegt der Fall hier anders. Andrej Holm ist eben kein Berufspolitiker – sondern einer der wichtigsten Stadtsoziologen unserer Tage. An der Humbold-Uni setzte er wichtige Diskursakzente und prägte den Begriff der Gentrifizierung mit. Es ist eine Seltenheit, wenn so jemand sich in die Politik verirrt. Und es ist auch keinesfalls ausgemacht, dass er reüssiert. Aber wir wollen doch, dass die Politik sich für Wissenschaftler öffnet – und zwar nicht immer nur für halbwegs studierte und vielleicht sogar promovierte Juristen. Sondern gerade auch für Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler. Gerade im Bereich der Baupolitik ist eine kulturelle Perspektiverweiterung ungemein wichtig. Da ist Holms Ernennung doch ein mutiger Schritt und ein spannendes Experiment. Eines, das wir eingehen sollten.

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