Gefängnisbau von Schmidt Hammer Lassen besitzt große Fensterfronten.

Foto: shl architects

Der Gefängnisneubau von Schmidt Hammer Lassen in Grönland ist ein soziales und architektonisches Experiment: Anstatt massiven Festungsmauern und sterilen Zellen finden sich große Fensteröffnungen und wohnliche Atmosphäre.

Das dänische Architekturbüro Schmidt Hammer Lassen hat in Zusammenarbeit mit Friis & Moltke das Gefängnis „Ny Anstalt“ in Nuuk, der Hauptstadt von Grönland realisiert. Den Architekturwettbewerb gewannen die dänischen Architekten 2013 und 2019 wurde es fertiggestellt. Das erste Gefängnis des Inselstaates ist seit kurzem in Betrieb und stellt ein soziales und architektonisches Experiment dar. Eine Justizvollzugsanstalt mit ungewöhnlicher Offenheit — und großen Panoramafenstern für den uneingeschränkten Ausblick auf den Fjord und in die raue Landschaft Grönlands. Heimatverbundenheit statt Abschottung ist hier das Ziel.

 

Foto: Adam Mørk

Blicke über die Gefängnismauern hinweg in die Landschaft

 

Nordöstlich der Hauptstadt, am nördlichen Hang eines Berges mit Blick auf das Meer, stellt sich das Gefängnis wie ein kleines Dorf dar. Die Anlage besteht aus einer Reihe von Blöcken, die so positioniert sind, dass sie den natürlichen Konturen der felsigen Landschaft entlang der grönländischen Küste folgen. Die insgesamt fünf Baukörper sind so angeordnet, dass der Blick über die Gefängnismauern hinweg in die Landschaft aus jedem Gebäude möglich ist.

Der Gefängniskomplex sitzt auf einem Sockel aus Beton, der optisch im Hang verschwindet und die Obergeschosse scheinbar schweben lässt. Die flachen Baukörper ragen dadurch über den Sockel hinaus und öffnen sich nach allen Seiten mit großen Fensterflächen unterschiedlichster Ausführung und Anzahl. Die Gebäude sind von einer Fassade aus Cortenstahl umhüllt, die sich optisch deutlich vom Sockel absetzt. Durch die Witterung wird sich die Stahlfassade in den kommenden Jahren optisch verändern.

Das Architekturbüro Schmidt Hammer Lassen entwarf die 8.000 Quadratmeter große, dreistöckige Anlage als Cluster. Drei Wohnblöcke sowie Arbeitsplätze, Bildungs- und Sportstätten, eine Bibliothek, ein Gesundheitszentrum und eine Kapelle sind über mehrere Ebenen verteilt und über Korridore und Tunnel miteinander verbunden.

 

Foto: Adam Mørk
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Schmidt Hammer Lassen bauen 8.000 Quadratmeter für 76 Häftlinge

 

In den drei Wohneinheiten gibt es für 76 Häftlinge je 12 Quadratmeter große Hafträume, davon 40 im geschlossenen Abschnitt. Ein Panoramafenster belichtet den Gemeinschaftsbereich. Durch die stangenlosen Fenster haben die meisten Insassen in ihren Räumen einen uneingeschränkten Blick auf das Meer.

Im Gefängnis „Nuuk Correctional Facility“, so lautet der offizielle Name der Anstalt, gehört das zum Resozialisierungskonzept der Regierung. Im Gefängnisbau von Schmidt Hammer Lassen soll dementsprechend der Kontakt zur Umgebung, zur Heimat der Insassen möglichst präsent sein und so die Resozialisation unterstützen. In dem Inselstaat mit nur 56.225 Einwohnern ist die Wiedereingliederung der Straftäter in die Gesellschaft von besonderer Wichtigkeit. Viele der Insassen kommen aus Nuuk und haben hier noch Familie. Auch Werter und Häftlinge kennen sich oft schon aus der Schulzeit.

Die Architektinnen und Architekten von Schmidt Hammer Lassen wollen durch die Gestaltung der Architektur den Resozialisierungsprozess der Insassen unterstützen. Offenheit, Licht, Ausblick, Sicherheit und Flexibilität sind die Leitwerte beim Entwurf der ersten Anlage dieser Art in Grönland. Laut den Architekten wurde hier versucht mit der „Kraft des Designs, das Justizsystem zu humanisieren“.

„Unser Projekt passt zur einzigartigen und schönen Landschaft und sucht die Balance zwischen Bestrafung und Resozialisation. Die ganze Idee hinter dem Projekt ist, dem Komplex eine Qualität zu verleihen, die die Wiedereingliederung in die Gesellschaft unterstützt und physische und psychologische Gewalt eindämmt“, so Morten Schmidt von Schmidt Hammer Lassen.

Holz und helle Farben als humane Einrichtung

Im Inneren versuchte das Architekturbüro Schmidt Hammer Lassen eine wohnliche Atmosphäre zu schaffen und setzte auf schlichte, ehrliche Materialien. Hier dominieren deswegen Beton und heimisches Holz. Anstatt steriler Räume aus kalten, glatten Materialien gibt es einen hellen, freundlichen Innenbereich, eingerichtet mit gepolsterten Holzmöbeln, Holzeinbauten und offenen Wohnbereichen, alles in einer hellen Farbpalette. Die Wohntrakte sind deshalb kommunikative Zonen, ausgestattet mit offenen Wohnküchen und verbunden über vollverglaste Gänge. Und immer wird ein starker Bezug zur Natur hergestellt.

 

Foto: Adam Mørk
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Die Zellen sind Rückzugsorte und verfügen über ein eigenes Bad und einen Kühlschrank. Das mag sich anhören wie die Ausstattung eines Hotels – und doch dient es dem Zweck der Einrichtung. Denn in erster Linie geht es im grönländischen Strafvollzug um Wiedereingliederung. Selbst verurteilte Mörder und Vergewaltiger genießen hier tagsüber gewisse Freiheiten.

Dieses Konzept der „humanen Einrichtung“ ahmt den Rhythmus und die Struktur des Alltags nach. Dementsprechend sollen die Häftlinge nach ihrer Entlassung eine größere Chance auf eine erfolgreiche Reintegration in die Gesellschaft mit geringeren Rückfallraten haben. Die Architektur von Schmidt Hammer Lassen und Inneneinrichtung will diesen Prozess unterstützen.

Natürlich muss die Justizvollzugsanstalt auch den neusten Sicherheitsstandards entsprechen. Daher verfügt diese über modernste Überwachungstechnik, Schleusensysteme sowie Kameras in allen Ecken. Die technische und logistische Infrastruktur des Gefängnisses ist allerdings optisch zurückhaltend gestaltet. Außerdem haben Schmidt Hammer Lassen die Überwachung so organisiert, dass weniger Personal als üblicherweise erforderlich ist.

Das Icefjord Centre in der Stadt Ilulissat, ein Kultur- und Gemeindezentrum, ist auch in die grönländische Landschaft eingebettet. Erfahren Sie hier mehr!

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