30.08.2018

Wohnen

Pimp my home

Ein Tiny House mit PKW-Anhänger; Foto: Wikimedia Commons

 

Der Hipster. Er ist der Geschmacksverstärker unserer digitalen Welt, der uns unermüdlich erklärt, was gerade angesagt ist. Davon bleibt auch die Architektur nicht verschont – man denke nur an den Brutalismushype der letzten Jahre und die erfolgreiche Ausstellung „SOS Brutalismus“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt, die sich unter anderem mit dem medialen Phänomen der Brutalismusliebe auseinandersetzte.

Ein anderes architektonisches Hipsterthema sind die sogenannten „Tiny Houses“, die das „Weniger ist mehr“ auf die Wohnfläche übertragen. Die Idee dafür kommt ursprünglich aus den USA und geht auf das „Small House Movement“ und das Buch „The Not So Big House – A Blueprint For the Way We Really Live“ der britischen Architektin Sarah Susanka zurück. Letzteres hat sich laut Amazon seit 1997 fast 250.000 Mal verkauft.

 

Seit 2002 gibt es auch eine „Small House Society“, die sich als die Stimme des „Small House Movement“ versteht. Die Gruppe sieht ihre Aufgabe in der „Förderung der Erforschung, Entwicklung und Nutzung kleinerer Wohnräume, die das nachhaltige Wohnen von Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften weltweit voranbringen soll“. Dabei geht es um Themen wie Ressourcenschonung, die Reduzierung des Flächenverbrauchs und die grundsätzliche Frage, was der Mensch zum Leben wirklich benötigt – allesamt dringliche Fragen, denen sich Architektur und Stadtplanung stellen müßen.

Mittlerweile gibt es unzählige Blogs, die das Thema in Fallbeispielen dokumentieren, und ähnlich wie beim Brutalismushype verzahnen sich digitale Welt und Echtwelt. Ein Beispiel ist das „Unreal Estate House“, das der junge (und hippe) Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel 2013 im Rahmen der Schaustelle der Münchner Pinakothek der Moderne errichtete. Das Resultat war ein fünf Quadratmeter großes Haus, das mit Küche, WC und Schlafetage ausgestattet war. Ziel des Projekts war es laut Homepage der Pinakothek, armen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensmittelpunkt frei bestimmen können.

Ein weiteres Projekt von Van Bo Le-Mentzel ist die sogenannte „100-Euro-Wohnung“, ein Häuschen mit einer Grundfläche von 10 Quadratmetern, das er 2017 im Innenhof des Berliner Bauhaus-Archivs aufstellte. Gerade findet das von ihm kuratierte „Tiny Town Urania Festival“ in Berlin statt, eine Ansammlung verschiedener Tiny Houses, die alternative Wohnformen erfahrbar machen soll.

Allen drei Projekten gemein ist das Versprechen auf kostengünstiges Wohnen, ein Argument, das von den Befürwortern des Tiny House-Konzepts immer wieder vorgebracht wird, denn: Weniger Haus kostet auch weniger. Damit erinnern die Tiny Houses ungewollt an die Verkaufsstrategie der Immobilienbranche. Die bringt seit einiger Zeit Luxusapartments auf den Markt, die vor ein paar Jahrzehnten gerade so als sozialer Wohnungsbau durchgegangen wären, sieht man mal von der Ausstattung ab.

Ähnlich verhält es sich mit den Tiny Houses: Wer in bevorzugter Lage leben will, muß schrumpfen – und einfallsreich sein, wie die 100-Euro-Wohnung von Van Bo Le-Mentzel zeigt. Dort soll die eigentliche Ursache der Wohnungskrise, die teuren Grundstücke, durch die Größe und die dadurch bedingte Mobilität des Projekts gelöst werden, indem man es auf Räder stellt und vorübergehend auf einem Parkplatz unterbringt. Die Arbeit an einer Lösung der Wohnungskrise wird dadurch zum ungewollt zynischen Marketingkonzept für eine Idee, die vorsieht, weniger solvente Mieter in kleine, selbstgebastelte Hütten auf temporären Grund und Boden zu verfrachten. So etwas gibt es allerdings schon in Brasilien. Dort heißt das Ganze dann Favela.

Wer sich die Bilder auf den diversen Blogs genauer anschaut, der wird feststellen, das die Tiny Houses meistens malerisch in der Landschaft stehen, umgeben von scheinbar unberührter Natur. Vielleicht lässt sich die den Projekten innewohnende Enge dort leichter ertragen. Ob die Stadtflucht auch ein Modell für das wohnungslose Prekariat ist, für das Van Bo Le-Mentzel seine Tiny Houses entwirft, sei dahingestellt. Hip dürfte die Klientel aber auf jeden Fall sein.

 

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