15.10.2020

Event

Open House Zürich – Architektur vor Ort für alle

Schweizer Landesmuseum mit Erweiterungstrakt von Christ & Gantenbein


Büroetage wird Kapselhotel

Die Veranstaltung “Open House” in Zürich bietet Einheimischen und Fremden die Gelegenheit, die Architektur der Stadt ganz neu zu erleben: unter sachkundiger Führung – nicht selten durch die jeweiligen Architekten selbst. Claudia Fuchs hat dieses Jahr für uns teilgenommen. 

 

Am letzten Wochenende im September öffneten sich auch in diesem Jahr für die „Open House“ in Zürich die Türen von rund 80 Gebäuden – historische Bauten ebenso wie Ikonen der Moderne und aktuelle Wohn- und Bürogebäude, Museen, Schulen und Hotels, überwiegend erläutert von den Architekten selbst. Zudem gab es zahlreiche Führungen durch Parks und Stadtquartiere. Zwar unter Corona-Auflagen, mit Anmeldung und begrenzter Teilnehmerzahl, dennoch entspannt konnte man Architektur vor Ort erleben und diskutieren. Die beiden sehr gut organisierten Tage sind insbesondere auch für das breite Publikum gedacht, sie vermitteln Architektur und Baukultur als Teil der Stadt – und sind zugleich ein Update des Architekturgeschehens in Zürich. Die Projekte auf der Open House-Website geben einen guten Überblick über die breitgefächerte Architekturszene. Als virtueller Cicerone sind sie zudem ein informativer und nutzerfreundlicher Architekturführer, mit dem sich individuelle Touren auch im Nachgang zusammenstellen lassen: viele Gebäude sind öffentlich und halböffentlich – wie der Anbau des Landesmuseums von Christ & Gantenbein oder das Tanzhaus Zürich von Barozzi / Veiga  das in der Baumeister-Ausgabe 02/2019 detailliert vorgestellt wurde. Nach wie vor unbedingt sehenswert sind die baugenossenschaftlichen Projekte wie der Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite von Müller Sigrist Architekten mit einer Vielzahl von Wohntypologien über einem Tram-Depot ebenso die großen Umnutzungsprojekte wie das Toni-Areal, eine ehemaligen Molkerei, die EM2N zum Hochschulcampus transformierten, sowie derzeit im Entstehen begriffene Stadtquartiere wie Schlieren, eines der größten Entwicklungsgebiete der Region, mit den beiden Baugebieten Am Rietpark und Reitmen.

 

Sehr aufschlussreich war die Führung im Kapselhotel Green Marmot, ein Prototyp in der Zürich Hotellandschaft. Es gibt ähnliche Konzepte in anderen europäischen Großstädten, doch hier haben Weyell Berner Architekten auch hinterfragt, wie man die im japanischen Kulturraum entstandene Typologie und ihre Nutzung in die Schweiz transformieren kann. In der früheren Büroetage gibt es nun 54 Kapseln, jeweils zwei übereinandergestapelt und in drei separaten Bereichen angeordnet, im minimiertem Raumkonzept. Die Schlafboxen mit Klapptischchen sind wie der gesamte schön detaillierte Innenausbau aus heller Birke. Gepäck wie Kleidung wird in den Schließfächern im Eingangsbereich verstaut; die Gäste sollten wie in Japan nicht mit den Straßenschuhen ins Innere, doch das hat sich noch nicht ganz durchgesetzt. Könnte man sich vorstellen, in der gerade einmal Bett-breiten und knapp 1,10 Meter hohen Raumzelle – die „Doppelkapseln“ sind etwas größer – zu übernachten, die sich, aus Genehmigungsgründen, nur mit einem Vorhang anstelle einer Tür abschirmen lässt? Für Hostel- und Liegewagen-erprobte Traveller sicher eine interessante und kostengünstige Alternative direkt in der Altstadt mit ihren Restaurants und Bars.

Ehemalige Stadthalle in Zürich, Umbau durch Oxid Architektur, Foto: Claudia Fuchs

Stadthalle wird Parkhaus wird Bürogebäude

 

Bauen im Bestand und Umnutzung waren die Themen bei der ehemaligen Stadthalle, die von Oxid Architektur (ehemals Burkhalter Sumi Architekten) zum Hauptsitz von Schweiz Tourismus umgestaltet wurde. Ein Gebäude mit wechselvoller Geschichte und überraschenden Nutzungsänderungen: Im 1906 errichteten, damals größten Veranstaltungssaal der Stadt wurde 1949 eine Garage mit Werkstatt, später auch eine Autovermietung, eingebaut und dabei die Gebäudestruktur erheblich verändert. So wurde in die Halle eine zweigeschossige Stahlbetonkonstruktion eingestellt, deren Decken den großzügigen Raumeindruck der Festhalle zerstören. Erhalten war die Dachkonstruktion mit filigranen, genieteten Stahlfachwerkträgern, Oberlichtern und abgehängter gewölbter Decke, deren Malereien wieder freigelegt wurden. Für die neue Nutzung als Bürogebäude schnitten die Architekten die Decken partiell für Atrien und die Vertikalverbindungen aus, die an diesen Stellen einen Eindruck der ursprünglichen Raumhöhe bieten. Die Arbeitsplätze in den offene Büroebenen werden ergänzt durch Besprechungsräume, die als transparente Kuben im Mittelbereich platziert sind. Die messingfarbene Stahlkonstruktion der geschwungenen Rampe findet sich in anderer Form auch im Zugangsbereich wieder: ein kreisrundes Drehtor markiert die Adresse, eine Röhre führt als «Tunnel» durch das Vorderhaus.

 

Béton Brut: Hochhaus zur Palme

Das 50 Meter hohe Hochhaus zur Palme, geplant von den Architekten Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser und Rudolf Steiger und 1964 fertiggestellt, war eines der ersten Hochhäuser Zürichs. Damals wie heute überrascht die besondere Typologie ebenso wie die Expressivität und hohe Qualität des Sichtbetons: der Sockelbau mit einer Nutzungsmischung aus Tankstelle, Läden und Passagen, geprägt von acht mächtigen Stützen, darüber die windmühlenartig angeordneten zehngeschossigen Bürotürme mit Exoskelett. Zwei weitausschwingende spiralförmige Rampen erschließen die Parkdecks auf dem Sockelbau, die von luftig-skulpturalen Dächern beschattet werden. Anfänglich in Zürich kontrovers diskutiert, erhielt das Gebäude schon früh international Anerkennung. Es wurde in den vergangenen Jahren umfassend saniert und steht seit 1998 unter Denkmalschutz.

Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich von David Chipperfield Architects, Foto: Keystone/Christian Beutler

Beton puristisch: Wohnungsbau in der Langgrütstraße

 

Sichtbeton prägt in besonderer Weise auch den Wohnungsbau des Architekten Gus Wüstemann in der Langgrütstraße. Die neun Wohnungen im monolithischen Baukörper wollen zeigen, dass bezahlbarer Wohnraum auch in Zürich realisiert werden kann, dass trotz knapper Fläche großzügige Räume entstehen und sich Standards reduzieren lassen. Die unkonventionellen Grundrisse mit dem zentralen, durchgesteckten Raum und angegliederten kleineren Zimmern schaffen eine ungewöhnliche Wohnatmosphäre. Mit raumhohen Schiebetüren lässt sich der multifunktionale Wohnbereich an beiden Fassadenseiten komplett öffnen, der hybride Innen-Außenraum macht die relativ knapp dimensionierten Wohnungen großzügiger. Sichtbeton, Hartbeton und Sperrholz prägen das fast spartanisch wirkende Interieur, im Sichtbeton zeichnet sich die OSB-Schalung als haptisch reizvolle Oberflächenstruktur ab.

Auch von den kommenden Großprojekten kann man sich derzeit zumindest von außen einen Eindruck verschaffen – wie vom fast fertiggestellten Erweiterungsbau des Kunsthauses von David Chipperfield Architects, der im Herbst 2021 eröffnet wird. Dass zeitgenössische Architektur im Selbstverständnis von Zürich verankert ist, zeigt die Vielzahl an Initiativen, die sich für den lebendigen Architekturdiskurs engagieren. Bis im September 2021 die nächsten Zürcher Open House-Tage mit realen Besichtigungen locken, kann man an den virtuellen Touren und Live Talks am Open House Worldwide Festival teilnehmen, das am 14. Und 15. November online geht: https://www.openhouseworldwide.org/festival

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