29.07.2022

Portrait

Olympische Spiele München 1972 – im Spiegel des Baumeisters

München
Zwei Seiten eines Magazins, mit schwarz-weißen Fotografien und Plänen des Olympiageländes für die Olympischen Spiele 1972 in München. Aus Baumeister 8/1972, Seiten 838 und 839
Aus Baumeister 8/1972, Seiten 838 und 839

Die Wettkampfstätten waren für die Baumeister-Redaktion mit dem Nahverkehr erreichbar. Die Olympischen Spiele 1972 fanden vor der Haustür des Callwey-Verlags in München statt. Im Augustheft des Jahres widmeten sich die Redakteure dem Olympiagelände. Wir haben nachgeschlagen und werfen einen Blick zurück. Den zugehörigen Auszug aus der B8/72 finden Sie hier auch.

Olympiagelände München – im Klammergriff des Mittleren Rings

Paulhans Peters, langjähriger Chefredakteur des Baumeisters, war skeptisch was die Zukunft des Münchner Olympiageländes anbelangt. „Übrig werden bleiben“, unkte er im Augustheft des Jahres 1972, „der Schuttberg, die Wege zwischen Stadion und Hallen sowie die Parkplätze. Wird das der große Erholungspark für die Bevölkerung des Münchner Nordens sein? Wohl nicht. Die Bevölkerung wird auch weiterhin mit dem Auto sonntags die Salzburger Autobahn verstopfen helfen.“ So recht Peters in Bezug auf die Wochenend-Verkehrslage der BAB 8 hatte, so falsch hat er in Bezug auf den Olympiapark gelegen. 50 Jahre nach seiner Eröffnung ist der Park eines der beliebtesten Flanierreviere der Münchner. Und er ist seit den Olympischen Spielen 1972 ein Wahrzeichen der Stadt, das man auswärtigen Besucher stolz vorführt.

Allerdings legt der Baumeister schon 1972 den Finger in eine Wunde, die selbst heute nicht verheilt ist: Nach wie vor befindet sich der Olympiagelände im Klammergriff des Mittleren Ringes und weiterer vielspuriger Ausfallstraßen. Das unterscheidet ihn grundlegend, wie Paulhans Peters konstatierte, etwa vom Englischen Garten, „der in allen Zonen transparent, durchlässig, geöffnet ist.“ Insofern ist der Olympiapark auch ein Kind seiner Zeit. Die „autogerechte Stadt“ ist ebenso wie die Ideen der CIAM-Moderne noch klar an der Olympiaplanung für die Spiele von 1972 ablesbar. Die gewaltigen Parkplatzflächen bilden noch heute ein Charakteristikum des Olympiageländes, wenn man es aus der Luft betrachtet.

Schwarz-Weiße Luftaufnahme des Olympiageländes in München. Aus Baumeister 8/1972, Seiten 840 und 841
Aus Baumeister 8/1972, Seiten 840 und 841

Stadtwanderung um das Olympiagelände

Der Baumeister näherte sich im Augustheft 1972 dem Olympiagelände ausgesprochen innovativ – indem er nicht die Bauten oder Parkanlagen besprach, sondern die Ränder des Geländes und seinen Anschluss an den umgebenden Stadtraum in Form eines Fotoessays untersuchte. In weit über 100 Fotografien dokumentiert und untersucht die Ausgabe die Anschlüsse des Olympia-Areals an seine Umgebung. Der Leser wandert mit den Fotografen rund um den ehemaligen Exerzier- und Flugplatz auf dem Oberwiesenfeld. Die Kamera fängt die gewaltigen Baumassen ein, die soeben fertiggestellt worden waren.

Die Bilder verdeutlichen den Maßstabssprung zu der existierenden Bebauung. Sie zeigen die Unterschiede zwischen der künstlich geschaffenen neuen Landschaft zu den anstoßenden Brachen und den immer noch vorstädtisch-ländlichen Gebieten in der Nachbarschaft. Die Bilder führen vor Augen, als wie tiefgreifend die Münchnerinnen und Münchner den Wandel ihrer Stadt empfunden haben müssen.

Zwei Seiten eines Magazins mit einer schwarz-weißen Fotografie von Bauten auf dem Olympiagelände für die Olympischen Spiele 1972 in München. Aus Baumeister 8/1972, Seiten 848 und 849
Aus Baumeister 8/1972, Seiten 848 und 849

Wachstum wie im Zeitraffer

Das gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass ungefähr gleichzeitig weitere Großprojekte entstanden: Die S-Bahn mit ihrem Stammstreckentunnel unter der Innenstadt und die U-Bahn, die Hochhausanlage Arabellapark und der BMW-„Vierzylinder“ entstanden parallel zum Olympiagelände. Die Großsiedlung Neuperlach war bereits auf den Reißbrettern und folgte kurz später. Helmut Dietls Erstlingswerk „Münchner Geschichten“ spielgelt die Gefühlslage der Münchner Bevölkerung zwischen Aufbruchsfieber und Existenzangst. In dieser Umbruchsphase verschwand das provinzielle München Stück für Stück.

Fragmentierung des Stadtraums

Die Städteplaner begriffen das städtische Wachstum allerdings in erster Linie als Infrastrukturaufgabe. München erhielt nicht nur einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr, sondern auch neue Straßen. Autostraßen in der Hauptsache. Der sogenannte Mittlere Ring wurde als autobahnähnliche Schnellstraße fertiggestellt. Der Autobahnring rund um die Stadt wurde fleißig vorangetrieben. All diese Baumaßnahmen förderten die Fragmentierung der Stadt.

Am Olympiagelände lässt sich das besonders beispielhaft ablesen. Die Baumeister-Redaktion thematisiert diese Stadtumbildung in ihrem Olympiaheft, anstatt die schimmernden Großbauten oder den neugestalteten Landschaftspark in den Mittelpunkt zu stellen. Und kritisiert autonome Inseln im Stadtgefüge wie das Olympiagelände deutlich. „Das Ergebnis einer solchen Planung sehen wir in der Weiterführung der Tendenz zur Funktionstrennung im heutigen Städtebau, die ja trotz aller gegenteiligen Beteuerungen an Gewicht gewinnt“, konstatiert Paulhans Peters und diagnostiziert: „Weil nämlich jeder Fachmann darauf aus ist, seinen Plan möglichst ‚sauber‘ zu realisieren, fehlen die Kompromisse zu den Nachbarn, die Schwellenbereiche, die schleifenden Übergänge.“

Zwei Seiten eines Magazins mit mehreren schwarz-weißen Fotografien zum Olympiagelände für die Olympischen Spiele 1972 in München. Aus Baumeister 8/1972, Seiten 852 und 853
Aus Baumeister 8/1972, Seiten 852 und 853

Pizza und sehr kaltes Bier

Die Fotoreportage über die Umwanderung des Olympiageländes begleiten knappe Momenteindrücke. Hier wechselt der Ton vom journalistischen ins schriftstellerische und die Architekturfachzeitschrift Baumeister wird für einige Seiten zum ambitionierten Kulturmagazin. Da skizziert der Autor seine Spazierfahrt: „Vorbei an der Pressestadt, hin zum Männerdorf, dazwischen an windiger Ecke Pizza und sehr kaltes Bier.“ Die Bilder dokumentieren die Unnahbarkeit des Olympiabezirks, die der Text beschreibt.

Den neuen Großbauten aus Beton werden vormoderne Wohn- und Industrieanlagen gegenübergestellt. Auch wenn der Autor explizit verneint, diese Bauten „als Nachahmungsvorbild“ zu zeigen oder „weil wir in die Idylle verliebt sind“, ist doch die Kritik am architektonischen Ausdruck großer Teile der Olympiaarchitektur nicht zu überhören. „Zusammensteckarchitektur“ nennt er sie. Ist hier schon der Überdruss an den Formen der Moderne durchzuhören, der sich wenig später in der Postmoderne Bahn brechen wird? Man mag es nicht ausschließen.

Und heute?

Viele von den Defiziten, die der Baumeister am Olympiagelände 1972 entdeckte, bestehen bis heute. Der Zuneigung der Münchner tut das keinen Abbruch. Sie feiern das 50. Jubiläum der Spiele und ihrer Architektur. Was Schmerzen des Wandels sind vergessen, obwohl wir uns dringend an sie erinnern sollten. Denn die Stadt steht erneut vor der Entscheidung, ihren jetzigen Charakter beizubehalten oder wieder auf Wachstum zu setzen. Die Stimmen, die neue Hochhäuser fordern, um noch mehr Gewerbe und noch mehr Einwohner unterbringen zu können, sind jedenfalls nicht zu überhören. Derweil sind alle Pläne, das Auto spürbar aus München zurückzudrängen, nach wie vor bei Politikern unbeliebt und werden vorzugsweise in eine nicht allzu nahe Zukunft vertagt. Bis sich an der Fragmentierung der Stadtlandschaft etwas ändert, könnte es noch einmal 50 Jahre dauern.

Lesen auch Sie die Texte der B8/72 und laden Sie sich den Auszug einfach hier herunter: August-Ausgabe 1972.

50 Jahre später: Im der August-Ausgabe 2022 gehen wir den Frage nach, ob großmaßstäblicher Wohnungsbau einen Lösungsansatz für die aktuellen Herausforderungen bieten kann. Mehr dazu schreibt Chefredakteur Fabian Peters im Editorial. 

Im August diesen Jahres feiert der Münchner Olympiapark sein 50-jähriges Jubiläum. Bei unseren Kolleginnen der G+L erfahren Sie mehr zur Gestaltung des Parks sowie zu den Veranstaltungen zum Jubiläum: Olympiapark München

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