Im österreichischen Pavillon auf der 19. Internationalen Architekturausstellung in Venedig stellen die Kurator Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito unter dem Titel AGENCY FOR BETTER LIVING die Wohnungsfrage in den Mittelpunkt. Der Beitrag reagiert auf die europaweit wachsende Wohnungskrise mit steigenden Mieten, fragwürdiger Immobilienpolitik, schwindendem kommunalen Wohnbau, zunehmender Touristifizierung und spekulativem Leerstand. Für einen Großteil der Bevölkerung wird das Leben in Städten zunehmend unbezahlbar – ein Umstand, zu dem die Architektur nun Stellung beziehen soll.
Wien und Rom: Zwei konträre Modelle
Die Kuratoren haben eine Installation geschaffen, die zwei gegensätzliche urbane Wohnmodelle vergleicht: Wien mit seiner jahrhundertelangen Tradition des sozialen Wohnbaus und Rom mit seinen informellen, selbstorganisierten Wohnformen. Die Ausstellung nutzt bewusst die von Josef Hoffmann konzipierte Symmetrie des Pavillons, um diese beiden Systeme gegenüberzustellen und ihre jeweiligen „Intelligenzen“ im Sinne des Biennale-Gesamtthemas „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ zu erkunden.
Wien wird als „Caring City“ dargestellt – eine Stadt, die sich in einem Top-Down-Prozess um leistbaren Wohnraum für ihre Bewohner kümmert. Rom hingegen erscheint als „Stadt der Ruinen“, in der hart erkämpfte Bottom-up-Prozesse zu informellen Wohnformen mit bemerkenswerten Formen der Selbstorganisation führen. Während das Wiener System Sicherheit schafft, bringt das römische System eine aktive und kreative Zivilgesellschaft hervor.
Die Ausstellung
Die Besucher werden durch den nun geschlossenen Durchgang in den Hof des Pavillons geleitet. Auf der einen Seite wird das System Wien präsentiert, auf der anderen das System Rom. Im Hof befindet sich eine Plattform zum Diskutieren und gegenseitigen Austausch, der „Space of negotiation“. Beide Pavillon-Teile beginnen mit Filmen, die die „mythischen“ Geschichten der Städte und deren Umgang mit Wohnen, Bodenpolitik und Stadtraum erzählen.
Der Wiener Teil der Ausstellung umfasst neun Stationen, die das System Wien aufarbeiten: Fotografien zeigen Stadt- und Gemeinschaftsräume, begleitet von Filmausschnitten aus verschiedenen Jahrzehnten. Infografiken und Diagramme verdeutlichen Fakten wie etwa die vergleichsweisen niedrigen Mieten in Wien oder die Strukturen bestimmter Gebäude. Aktuelle Entwicklungen werden anhand neuer Quartiere vorgestellt, darunter das Sonnwendviertel und das Nordbahnhofareal.
Der römische Teil zeigt Zeugnisse des Kampfes um Wohnraum an verlassenen Orten und in gescheiterten Planungen. Die Geschichte der Stadt wird aus dieser Perspektive in Form einer skulpturalen „Trajanssäule“ erzählt. Sieben zeitgenössische Beispiele verdeutlichen unterschiedliche Formen der Selbstorganisation: Unter anderem der Lago Bullicante, ein ehemaliges Fabrikgelände, das durch Grundwassereinbruch zu einem natürlichen See wurde; Ararat, eine informelle Botschaft der kurdischen Gemeinschaft; und mehrere besetzte Gebäude wie Spin Time, Porto Fluviale und Metropoliz.
Installation im Hof
Im Zentrum des Hofes befindet sich ein Plateau, das Besuchern zum Ausruhen und Diskutieren einlädt. Die Form interpretiert einen 1954 von Josef Hoffmann geplanten nierenförmigen Pool, der einst Teil des Skulpturengartens war. Der Pool wird aus losen Ziegeln rekonstruiert – dem Material, aus dem Wien und Rom gebaut wurden. Nach Ende der Biennale werden die ZiegelZiegel: Der Ziegel ist ein massives Baumaterial, das aus Ton oder Lehm gebrannt wird. Es gibt verschiedene Arten von Ziegeln, die jeweils für unterschiedliche Zwecke verwendet werden. wieder dem Kreislauf der Wohnbauproduktion zugeführt. In das Plateau sind Pflanzen eingelassen – Klimagewinner, die der prognostizierten Hitze in Wien und Rom standhalten können. Die Fläche des Plateaus entspricht mit 25 m² einer Wohneinheit im Einküchenhaus und Clusterwohnen in Wien sowie einer ehemaligen Büroeinheit in Spin Time in Rom.
Workshops und Präsentationen
Im überdachten Bereich des Hofes zeigt der Künstler Armin Linke einen fotografischen Essay, der während einer dreimonatigen Feldforschung in Wien und Rom (Dezember 2024 – Februar 2025) entstand. Die Arbeit dokumentiert Räume der Verhandlung, des Teambuildings, der Planung, Verwaltung und Selbstorganisation. In Wien fotografierte Linke etwa das Büro der Stadträtin für Wohnbau und Räume der Wohnbauförderung, in Rom sowohl die Prozesse als auch die im Pavillon dargestellten Orte.
Zwischen Ende Mai und November findet im österreichischen Pavillon ein umfangreiches Programm mit Workshops und Präsentationen statt. In diesen Veranstaltungen werden mit Besucher und Experten die Bedingungen für ein zukünftiges BETTER LIVING ausgehandelt. Themen umfassen unter anderem Theorien des besseren Wohnens, Entscheidungsfindung und Politik, Wirtschaft, Gender Planning und Feminismus sowie neue Typologien.
Die Kuratoren und das Konzept
Sabine Pollak ist Professorin für raum&designstrategien an der Kunstuniversität Linz und führt mit Roland Köb das Architekturbüro Köb&Pollak Architektur in Wien. Sie forscht zu den Themen Wohnen und Feminismus, Gemeinschaft und Urbanismus.
Michael Obrist ist einer der Gründungspartner von feld72 Architekten in Wien und Professor für Wohnbau und Entwerfen an der Technischen Universität Wien. Dort war er am Aufbau des interdisziplinären Centre for New Social Housing beteiligt.
Lorenzo Romito ist Künstler, Architekt, Kurator und Mitbegründer von Stalker (1995–). Er ist Professor für raum&designstrategien an der Kunstuniversität Linz und unterrichtet zusammen mit Giulia Fiocca Public Art an der NABA Rom.
Die Konzeption der „Agency“
Mit der AGENCY FOR BETTER LIVING wollen die Kuratoren Möglichkeiten, Räume und Regeln für ein besseres Leben für alle ausloten und zeigen, dass man etwas gegen aktuelle Entwicklungen am Wohnungsmarkt unternehmen kann. Die zentrale Fragestellung ist, wie das „System Wien“ zukunftstauglich gemacht werden kann und was es etwa von den Formen der Selbstorganisation in Rom lernen kann – und umgekehrt, wie das Caring-System von Wien eine Vorlage für zukünftige Strategien in Rom werden könnte.
Die Ausstellung wird am 9. Mai 2025 eröffnet und ist bis zum 23. November 2025 in den Giardini der Biennale zu sehen. Der österreichische Beitrag wird vom Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport in Auftrag gegeben und von zahlreichen Partnern unterstützt, darunter die Stadt Wien, die das Rahmenprogramm finanziert.
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