21.06.2017

Öffentlich

Noch ein “Learning from…”

Typological and morphological analysis

 

Es gibt eine ganze Reihe von Architekturbüchern mit dem Titel „Learning from…“, über angebliche Lehrbeispiele, von denen man lernen soll. Seit dem Klassiker „Learning from Las Vegas“ von Robert Venturi und Denise Scott Brown haben sich die Studien über vergangene oder übergehende Phänomene der Stadtentwicklung gehäuft: Man sollte etwa von den Slums der Megacities, der vernakulären Architektur Afrikas, den alten Baumeistern Europas, den neuen rasanten Stadtentwicklungen Chinas oder Arabiens lernen. Und damit werden bis dahin problematische oder wenig geschätzte Persönlichkeiten oder Entwicklungen wieder zu Ehre gebracht.

 

 

Ein Beispiel dafür ist eine neue Publikation „Paris Haussmann. A model’s relevance“, eine zeitgenössische Interpretation der Stadtplanung des Baron George-Eugène Haussmann. Der bekannte Präfekt der Seine, der zwischen 1853 und 1870 durch seine massiven Interventionen das moderne Stadtbild von Paris auf radikale Weise definierte, genoss jahrelang keinen guten Ruf. Die Architekten der Moderne kritisierten seine repetitive, prunkvollen Fassaden und die engen Lichthöfe seiner Häuserblöcke. Die Historiker beurteilten seine Interventionen als repressive Machtdemonstration. Die Intellektuellen trauerten dem Verlust des alten, volksnahen Paris nach. Spätestens seit den 80er Jahren fing man allerdings an, das Erbe des Präfekten wieder zu schätzen. Dies führte 1991 zu einer Ausstellung im Pariser Pavillon de l’Arsenal, die der Vorzüge der Haussmann’schen Stadtplanung huldigte.

 

 

25 Jahre nach der großen Schau setzten sich die Architekten Benoit Jalon und Roberto Napolitano vom Pariser Büro LAN mit dem Ingenieur Franck Boutté noch einmal mit dem Ergebnis der umstrittenen Stadtplanung von Haussmann auseinander – diesmal aber aus einem anderen Blickwinkel. Nach einem umfassenden Studium von Dichte, städtebauliche Struktur, Verhältnis Block-Straße, Gebäudehöhen, Straßenschnitten, Grundrisstypologien und Stadtmobiliar des Haussmann’schen Paris empfehlen die Autoren die Stadt des Präfekten als Beispiel eines nachhaltigen Stadtraums. Er entspräche den Erfordernissen einer zeitgenössischen Stadt: dicht, gemischt, gut erschlossen, anpassungsfähig und charakteristisch.

„In den vielen neuen Stadtteilen, die man in den letzten 20 Jahren überall in Europa errichtet hat, reihen sich viele interessante Einzelbauten aneinander, allerdings ohne eine städtische Identität zu schaffen“, heißt es in dem einführenden Essay zur Studie. Im Gegensatz zur Heterogenität moderner Stadterweiterungen sei das Paris intra muros eine Stadt, in der die einzelne Elemente ein Stadtbild ergeben.

 

 

Das Buch gliedert sich in drei Teile: ein erster mit theoretischen Essays, ein zweiter mit einer Analyse der städtischen Morphologie von Paris, ein dritter mit einem Vergleich mit anderen Großstädten rund um die Welt, von Brasilia bis Barcelona, von New York bis Tokio, von Moskau bis Dakar. Ob der Haussman´sche Urbanismus als Vorbild für die Zukunft unserer Städte gelten kann, bleibt fraglich – schließlich wurden die Eingriffe des Präfekten unter ganz anderen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen durchgeführt. Allerdings können Architekten und Stadtplaner heute noch etwas von der unleugbaren Qualität der Pariser Stadtstruktur lernen – zuallererst für die Umplanung der unendlich problematischen Pariser Banlieues.

 

„Paris Haussmann. A model’s relevance“ von Benoit Salon, Roberto Napolitano und Franck Boutté ist über den Park Books-Verlag erhältlich.

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