14.06.2017

Wohnen

Mies van der Rohe Preis 2017

© Marcel van der Burg

 

Vor der diesjährigen Vergabe des Mies van der Rohe-Award dachten viele an das spanische Büro Barozzi Veiga, das vor zwei Jahren mit ihrer Stettiner Philharmonie den internationalen Wettbewerb gewann. Doch in diesem Jahr war alles anders. Nicht die Kulturbauten im dänischen Ribe, im französischen Ribesaltes oder im polnischen Katyn machten das Rennen, sondern die Renovierung eines Massenwohnungsbaus im einstigen Amsterdamer Problemviertel Bijlmermeer.

© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg
© Marcel van der Burg

Der Siedlung in Amsterdams Südosten liegt noch im Geist von Cornelis van Eesterens „Allgemeiner Erweiterungsplan“ von 1934, der die Charta von Athen großmaßstäblich umsetzen wollte. In den Nachkriegsjahren beharrten die Stadtplaner auf Projekten in großem und grobem Maßstab.

1965 baute man riesige Wohnkomplexe in Amsterdam-Nord und Bijlmermeer, um den vom Wirtschaftsaufschwung begünstigten Mittelstand ein Wohnparadies zu schaffen. Doch der zog bald aus dem vermeintlichen Paradies wieder aus. Denn Bijlmermeer, von Siegfried Nassuth für einhundertzehntausend Menschen geplant, erwies sich alsbald als Fehlplanung ungeheuren Ausmaßes.

Die Betonwüste Bijlmermeer entwickelte sich zusehends zum Ghetto, nachdem viele Surinamer ihre unabhängig gewordene Heimat verließen, um sich im Südosten Amsterdams anzusiedeln. Die Ghettoisierung des Viertels und die soziale Verelendung der Bewohner führte bald zu mächtigen sozialen Konflikten. Deswegen galt seit den neunziger Jahren die Devise: Rückbau und Differenzierung.

Übrig blieb unter anderem die 400 Meter lange bandartige Struktur „Kleiburg“, ein Komplex mit 500 Wohneinheiten, ein Relikt aus der modernistischen Riege. NL-architects, die bereits 2005 den Emerging Architects Prize für die unkonventionelle BasketBar in Utrechts „de Uithof“ erhielten, schlugen für Kleiburg ein völlig unspektakuläres Konzept vor: Behutsamer Umgang mit der brutalistischen Moderne.

Angesichts der Tatsache, dass die Renovierung günstiger als der Abriss sein sollte, entschied man sich für minimale Eingriffe: Entkernung der Wohneinheiten, Verlagerung der externen Aufzüge ins Gebäude und der Speicherräume aus dem Erdgeschoss ans Ende der Wohnscheiben.

Ansonsten wurden die Käufer, vergleichbar mit Alejandro Aravenas chilenischem Iquique-Projekt, dazu angehalten, ihre Wohnungen selbst zu renovieren. NL-architects entwickelten lediglich ein einheitliches Basis-Equipment bestehend aus Fenster-Tür-Kombinationen und wahlweiser Zusammenlegung von Wohnungen. Die Amsterdamer Architektur sind also lediglich die Mäeutiker der modernisierten Bandstruktur, die wirklichen Architekten sind die Bewohner selbst.

 

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