23.05.2014

Portrait

Max Bill und die Autorenmoderne

„Da Form die ‘Summe aller Funktionen als harmonische Einheit‘ bedeutet und ‘Form = Kunst = Schönheit‘ ist, liegt der Schluss nahe, dass auch Kunst, als ‘Summe aller Funktionen in harmonischer Einheit‘ definiert werden kann, und deswegen als Schönheit. Dies ist, wie wir wissen, ein schwer zu erreichendes Ziel, denn die Qualität der Form, wie die Schönheit, sind relativ. Das soll uns aber nicht daran hindern, einem Idealzustand zuzustreben, in dem alle Erscheinungen, vom kleinsten Gegenstand bis zur Stadt, in gleicher Weise als ‘Summe aller Funktionen in harmonischer Einheit‘ bezeichnet werden könnten und somit zum selbstverständlichen Bestandteil des täglichen Lebens werden. Diesen Zustand dürfte man dann Kultur nennen, und dahin streben wir.“

Max Bill, der dies schrieb, begann Ende der 50er Jahre für Willy Fleckhaus, einen der wichtigsten Grafiker seiner Zeit und heute noch bekannt für die „Regenbogen-Gestaltung“ der Buchreihe „edition suhrkamp“, ein Haus in Odenthal im Bergischen Land zu entwerfen. Es ist ebenso Kind seiner Zeit wie es selbst Stil prägend für eine (Bau-)Kultur wurde, die erneut und überaus affirmativ das Industrielle und bei Bill immer auch das Mathematische als eine Art künstlerische Essenz in die Gestaltung des Alltags überführen wollte. Das Haus ist aber das Gegenteil von „fein“ oder „delikat“, es ist auf seine Art sehr grob gemacht, gleichzeitig aber äußerst präzise gedacht. Es handelt, wie es der Brutalismus seiner Zeit „erforderte“ – dessen Anhänger und laut eigenen Aussagen im Übrigen auch einzig würdiger deutscher Vertreter O.M. Ungers war – nicht von der Minimierung oder gar vom Verschwinden von Details oder Übergängen. Nein vielmehr zeugt es von deren Überhöhung (durch eigentliche Nichtüberhöhung), und sei es von heute oftmals als banal geltenden Bauteilen. Eine Attika ist eine Attika ist eine fette Attika, könnte man sagen und dabei Max Bills Versuch, die Dinge in mathematikähnliche Gleichungen zu gießen, ein wenig persiflieren. (Wohl wissend darüber hinweg sehend, dass das auf dem Bild noch fettere Attikablech selbst erst mit einer späteren Sanierung Einzug hielt.)

Und das Schöne an so Typen wie Max Bill ist ja, dass sie ihr Ding stets kompromisslos durchziehen, womit in der Reihe der insgesamt eher wenigen realisierten Bauten die kontinuierliche Weiterentwicklung einer Idee greifbar wird. Bei Bill, könnte man sagen, ist dies immer schon eine Art Anonymisierung der Dinge gewesen. Angefangen bei seinem eigenen Atelier- und Wohnhaus aus den 1930er Jahren, wo er eine nach Effekten haschende Moderne in eine Art „Autorenmoderne“ der zweiten Reihe übersetzte und mit Elementen wie dem leicht geneigten Dach mehr den anonymen denn den eigentlich baukünstlerischen Ausdruck suchte. Und wenn wir sein auch heute noch allseits geschätztes architektonisches Meisterwerk – die Hochschule für Gestaltung auf dem Ulmer Kuhberg – hier zwar erwähnen, aber doch etwas übergehen und gewissermaßen direkt auf den Zenit dieser sukzessiven Anonymisierung hinweisen, nämlich beispielsweise auf ein nahezu unscheinbares Verwaltungsgebäude mit waschechter Waschbetonfassade in Leverkusen aus dem Jahr 1961, dann sehen wir uns ganz dezidiert mit der Suche nach dem Allgemeinen, ja dem Allgemeingültigen konfrontiert. Und gleichzeitig und ganz besonders in der Rückschau zeigt sich diese Suche als eine nach dem zeitgemäßen und damit auch im besten Sinne zeitgebundenen Ausdruck. Solch ein Gebäude könnte also fast von jedem beliebigen Architekten dieser Zeit stammen und verrät erst bei genauester Betrachtung die subtile Könnerschaft Bills.

Und genau dies ist die Steilvorlage für eine wilde Spekulation: Mitten in München-Harlaching steht ein Einfamilienhaus, erbaut Mitte der 1960er Jahre als Bungalow und einige Jahre später um ein weiteres Geschoss aufgestockt. Es verwendet nahezu das identische Vokabular, die identische Grammatik und die gleichen Materialien wie Bill beim Haus Fleckhaus. Man könnte jetzt sagen, ja aber schau doch, um wie viel trickreicher ist dort das Arrangement im Grundriss und im Schnitt angelegt und überhaupt, um wie viel feiner ist die Höhenstaffelung der Kubatur dort ausgebildet. Das zeigt uns doch im Umkehrschluss, dass einer wie Bill nie in Harlaching gewesen sein kann, diesem von Kultur bisher arg verschonten Münchner Stadtteil. Ja, und doch – wüsste man nichts Genaueres und ließe sich ein bisschen von seiner (kriminellen) Phantasie treiben, dann würde man felsenfest behaupten, dass das naturgemäß ein echter Bill sein müsste. Der hatte doch damals eine Affäre mit der Frau des Bauherrn (wovon dieser erst während der Bauphase Wind bekam). Da es ihm aber noch gelang, Bills Namen rückwirkend von sämtlichen Plänen zu löschen, taucht in den städtischen Planarchiven überall nur mehr der Name des damals wie heute völlig unbekannten Münchner Architekten Paul Lambert auf. Aber dass die wahre Urheberschaft keiner (außer uns Kennern natürlich) kennt, das wäre dann die wunderbare Pointe seiner Strategie der Verallgemeinerung!

Sobald es aber jemand weiß oder man es zumindest jemandem weiß machen könnte, stünden die Sammler Schlange – denn wer kauft heute noch Kunst, sagte neulich ein bekannter Galerist. Häuser, die seien schwer im Kommen – die kosten noch nicht so astronomisch viel. Das ist mal ein Wort – in Zeiten der Immobilienblase!

Aber davon beim nächsten Mal mehr … Fortsetzung folgt …

Zitat aus Max Bill, „Form, Funktion, Schönheit“ abgedruckt in Tomás Maldondado, „Max Bill“, Buenos Aires, 1955, S. 119/120

Fotos und Illustrationen: Haus Fleckhaus Scan aus 2G 29/30 Max Bill, Barcelona 2004;  Foto Max Bill in Harlaching: Florian Fischer;  Zeichnungen und Grundrisse EG: Stefan Imhof / Fischer Multerer Architekten

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