Skyline von Melbourns CBD

Selbst nach all den Wochen in der zweitgrößten Stadt Australiens versetzt es mich immer noch regelmäßig ins Staunen, wie eine so junge Stadt so lebendig und architektonisch vielschichtig sein kann. Ein Haus, das vor 100 Jahren erbaut wurde, gilt hier schon als alt. Im Vergleich zu manch anderer Metropole dieser Welt scheint Melbourne deshalb wie gerade erst aus dem Ei geschlüpft, dennoch lässt das Straßenbild die bewegte Geschichte der Stadt erahnen.

Das Herzstück Melbournes ist das Central Business District (CBD). Auf dieser Fläche, die nur einen winzigen Teil der gesamten Stadt ausmacht, konzentriert sich das städtische Leben. Es überlagern sich alle nur vorstellbaren Nutzungen. Auf den orthogonal angeordneten Straßen, die gesäumt sind von bunten Geschäften und Cafés, herrscht zu jeder Tages- und Nachtzeit reges Treiben. Ihre architektonische Energie schöpft die Stadt ohne Zweifel aus dem, was zwischen dem Alten und dem Neuen, dem Großen und dem Kleinen passiert. So stehen hohe Wolkenkratzer dicht an dicht neben kleinen verschnörkelten Gebäuden aus der Zeit des viktorianischen Goldrausches und die großen Hauptstraßen sind durch kleine, verborgene Gassen, gennant Laneways, verbunden. Die Laneways dienten ursprünglich nur als Hintereingänge der herrschaftlichen Gebäude an den Hauptstraßen. Heute haben sich diese Hinterhöfe zu überdachten Arkaden und engen Gassen gewandelt, mit  Streetart, schrillen Galerien, niedlichen Cafés und gemütlichen Kneipen. Es passiert zwar häufig, dass man aufgrund der flachen Topografie und der rasterartigen Struktur ein wenig die Orientierung verliert, dennoch erfüllt es die Stadt mit einem geordneten und in sich geschlossenem Gefühl.

Eurekatower in Melbourne

Aktuell läuft in Fachkreisen eine hitzige Debatte über die Zukunft des CBD: Angesichts des momentan stattfindenden Baubooms, der von einer großen australischen Tageszeitung als der „biggest since gold rush“ gehandelt wird, wird stark kritisiert, dass ein übergeordneter Plan und klare Regeln zur zukünftigen Gestaltung der Melbourner City fehlen. Der aktuelle Planungsminister Matthew Guy, von Kritikern auch liebevoll „Mr. Skyscraper“ genannt, steht unter dem Verdacht, jeden Antrag zu unterzeichnen, der ihm auf den Tisch gelegt wird. Architekten und Stadtplaner weisen in Vorträgen und Zeitungsinterviews regelmäßig darauf hin, dass bei der Platzierung der Wolkenkratzer behutsamer mit der bestehenden Laneway-Struktur umgegangen werden sollte und dass die neuen High-Rise-Tower eine gewisse Porosität und Transparent aufweisen sollten. Die größte Herausforderung der stadtplanerischen Zukunft wird zweifellos die Erhaltung Melbournes reicher Mischung an historischen Gebäuden und Plätzen aus all den Jahrzehnten seiner Entstehung sein.

Umgeben ist das CBD von einem Grüngürtel aus Parks und Gärten, an die die innerstädtischen Viertel unmittelbar anschließen. Jedes dieser Viertel hat seinen ganz eigenen Charme und isoliert betrachtet würde man sie niemals der gleichen Stadt zuordnen. In der Vergangenheit teilte der Yarra River Melbourne nämlich nicht nur geografisch, sondern auch sozio-ökonomisch in zwei Teile: Der Norden war industriell und von Arbeitervierteln geprägt, im Süden wohnten nur die Reichen. Durch Gentrifizierung ist diese Grenze heute fast vollständig verschwommen, in der Architektur und dem vorherrschenden Lebensgefühl der einzelnen Stadtteile ist sie aber immernoch spürbar. Auch die Geschichte des Goldrausches ist nach wie vor überall präsent, denn die Entdeckung von Gold im Jahre 1851 brachte nie erträumten Reichtum nach Melbourne. Innerhalb weniger Jahre wurde die Stadt zu Marvellous Melbourne, einer der elegantesten und schönsten Städte der viktorianischen Ära. Ein großer Teil der Bauten aus dieser Zeit ist nach wie vor erhalten. Aber auch in der zeitgenössischen Architektur ist der Goldrausch immer noch Thema. So soll beispielsweise die vergoldete Spitze des Eureka Tower von Fender Katsalidis Architekten in Kombination mit einem senkrechten roten Fassadenelement an das Blutvergießen der Eureka-Stockade, einem bewaffneten Aufstand der Goldsucher im Jahre 1854, erinnern. Doch in der Stadt sind noch zahlreiche anderer solcher Symboliken zu finden – wenn zum Teil auch nicht besonders gelungene. Ein Bild von einem Gebäude, das mehr wie ein Goldbarren anmutet als ein Bauwerk, soll den Lesern an dieser Stelle erspart bleiben. Zum Thema Australian Ugliness gibt es sowieso einiges zu erzählen. Aber dazu mehr im nächsten Bericht!

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