Ausgehend von der immensen Zerstörung Berlins im zweiten Weltkrieg, über die Teilung der Stadt durch den Eisernen Vorhang, bis hin zum Aufschwung zu einer Metropole in den 90er Jah-ren, ist die einzige Konstante der jüngsten Zeitgeschichte Berlins wohl der Wandel. Ein Wandel, herbeigeführt durch seine politische Einzigartigkeit, in der durch Zerstörung und Resituierung des Zentrums ein städtebaulicher Einzelfall entstanden ist. Gebaut wurde immer, der Wiederaufbau nach dem Krieg, der soziale Wohnungsbau in den 60ern und die großen Bauvorhaben nach dem Mauerfall, wie der Potsdamer Platz. Anstatt jedoch von oft publizierten Berliner Ikonen zu berichten möchte ich Licht auf ein kleines aber feines Projekt in Berlin Kreuzberg richten, in dem ein historischer auf einen zeitgenössischen Berliner Architekten trifft: Der Restaurierung der St. Agnes Kirche und Umnutzung zur Galerie König.

Inmitten einer Wohnbausiedlung der 60er Jahre liegt die vom Architekt Werner Düttmann entworfene St. Agnes Kirche, umgeben von achtstöckigen Plattenbauten. Das 1964-67 entstandene Gemeindezentrum, sollte die im Krieg zerstörte Kirche ersetzen. Als Senats-Baudirektor der Stadt Berlin realisierte Düttmann, der ehemalig Schüler Hans Sharouns, einen Kirchenbau mit Kapelle, Turm und einem anschließenden, um einen quadratischen Innenhof angeordneten Annexbau. Im Stiel des Brutalismus wurde das Gebäude teils in ausgefachter Stahlbetonskelttbauweise, teils in Ziegel-Massivbauweise konstruiert. Außen und Innen wurden die Wände einheitlich mit einer Schicht Zement-Spritzputz überzogen und ihrer rauen Erscheinung belassen. Der kubische Kirchenraum wird durch zwei vertikale raumhohe Fensterschlitze, sowie durch teilweise hinter einer hölzernen Abhangdecke verborgenen Fensterbändern so geschickt belichtet, dass der ganze Raum durch diffuses Licht erhellt und die Orientierung des Raums nach oben gelenkt wird.

Die ursprüngliche Funktion als Kirche sollte allerdings keine 45 Jahre aufrecht erhalten bleiben. Als das Erzbistum 2012 einen neuen Pächter für das Anwesen suchte, wurde der Berliner Archi-tekt Arno Brandlhuber auf das Objekt aufmerksam und machte es sich gemeinsam mit dem Galeristen Johann König und dem ausführenden Architekten Roger Riewe zum Ziel, das unter Denkmalschutz gestellte Gebäude zur Galerie umzunutzen. Im Sinne des neuen Brutalismus sah sich Brandelhuber bestätigt, dass der raue und kahle Raum viel weniger die Funktion einer Kirche vorgibt, als von ihrem Benutzer erst zu einer bestimmten Funktion bestimmt und angeeignet werden kann. Als einzige bauliche Maßnahme wurde somit neben der Sanierung ein Ebene als multifunktionaler Betontisch in den hohen Kirchenraum gestellt. Dieser hatte einerseits zum Ziel dem Raum seine sakrale vertikale Orientierung zu nehmen und andererseits die Galerie in Ausstellungsraum im Ober- und ein Schaulager im Erdgeschoss zu teilen. Eine Betonkernaktivierung erfüllt die an eine öffentliche Galerie gestellten klimatische Anforderungen – ohne das Gestaltungsprinzip durch zusätzliche Heizelement zu durchbrechen.

Hört man von Galerien, die in umgenutzte Altbauten in Kreuzberg ziehen, ist wohl der Aufschrei nach Gentrifizierung nicht weit. Im Fall St. Agnes ist dies trotz der relativen Nähe zum Jüdischen Museum, der Berlinischen Galerie und der zentralen Lage doch eher unzutreffend, ist ihre unmittelbare Umgebung doch mit sozialistischen Plattenbauten gespickt, die wohl so schnell keine Aufwertung zulassen.

Was macht also eine Galerie mitten im Wohngebiet? Als ursprüngliches Gemeindezentrum scheint eine Kunstinstitution nun die Kirche zu ersetzen. Die Funktion als Zentrums- und Anlaufstelle für Anrainer soll durch die Umnutzung allerdings nicht geschmälert werden, immerhin befinden sich ja neben der König-Galerie im Hauptgebäude noch eine Cafeteria, kleinere Galerien und Ateliers für Workshops in den Nebengebäuden.

Meine bisherigen Besuche des Ausstellungsraums seit der Eröffnung im Mai ließen zwei Eindrücke zurück, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bedingt durch verschiedene Ausstellungen konnte ich die Wandelbarkeit des kahlen Innenraumes miterleben, in der ich Bestätigung für das minimale Konzept der Renovierung sehe: Zum einen die großformatigen farbkräftigen Bilder von Katharina Große verbunden mit dem weichen durch die Deckenöffnungen strömenden Licht, was in einem warme angenehmen Raumeindruck resultiert. Zum anderen das sechsstündige repetitive Musikvideo von Ragnar Kjartansson & The National, projiziert an eine Wand des komplett abgedunkelten Galerieraums, in dem Film und dessen Reflexion im glatt geschliffenen Estrichboden zum raumbestimmenden Element werden. In seiner Offenheit gibt der Raum nicht vor, engt nicht ein, definiert nicht, viel mehr bietet er Möglichkeit für Kuratoren und Künstler selbst zu gestalten. Ein Faktor der in mich mit Faszination und Spannung auf weiter Ausstellung blicken lässt.

Die Baumeister Academy wird unterstützt von Graphisoft und der BAU 2017

Mehr zur St. Agnes Kirche finden Sie ab 3. August im Baumeister 8/2015

Vorheriger Artikel

Nächster Artikel

das könnte Ihnen auch gefallen

Scroll to Top