09.07.2024

Architektur

Übung, Feedback, Wissensvermittlung. Die Reise eines Studienplans

Daniel Stockhammer leitet die Fachgruppe „Bauerbe & Upcycling“ an der Universität Liechtenstein. Foto: Ethan Oelman
Daniel Stockhammer leitet die Fachgruppe „Bauerbe & Upcycling“ an der Universität Liechtenstein. Foto: Ethan Oelman

„Radikal nachhaltig!“ Die Liechtenstein School of Architecture hat sich neu aufgestellt und richtet ihre Angebote an den Prinzipen der Nachhaltigkeit aus. Mit dabei ist nun neben Upcycling, zirkulärem Bauen und Lebenszyklusanalyse auch Ethik – immerhin stehen die Lehrenden in der Verantwortung der Studierenden. Unsere Fragen beantwortete Daniel Stockhammer.


Die LSA

BAUMEISTER: Bitte stellen Sie sich kurz vor.

LIECHTENSTEIN SCHOOL OF ARCHITECTURE: Wir sind das Team der Liechtenstein School of Architecture (LSA) an der Universität Liechtenstein in Vaduz. Uns liegt am Herzen, das Entwerfen und Bauen in sozialer, ökologischer, wirtschaftlicher und kultureller Verantwortung zu lehren und zu erforschen. Angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der Fragen eines verantwortungsvollen Energie-, Flächen- und Materialverbrauchs haben wir dieses Jahr unsere Studiengänge neu ausgerichtet und einen radikalen Nachhaltigkeitskurs eingeschlagen. In Forschung und Lehre beschäftigen wir uns mit den drängendsten Fragen und Herausforderungen, mit denen Architektur und Raumentwicklung konfrontiert sind: von der Klimakrise über Ressourcenknappheit und Urbanisierungsprozesse bis hin zur Entwicklung nachhaltiger Baumaterialien wie Lehm oder innovativer Holzanwendungen. Alle unsere Studiengänge sind vom Royal Institute of British Architects (RIBA) akkreditiert. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Partner:innen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis sind wir das führende Forschungs- und Kompetenzzentrum für nachhaltige Architektur und Raumentwicklung für Liechtenstein, das Alpenrheintal und die deutschsprachige Vierländerregion. Wir verstehen uns als weltoffenen Thinktank für kritisches und kreatives Diskutieren und Handeln. Dabei verknüpfen wir globale Fragen und Antworten mit regionalen Herausforderungen.


Die Zukunft gestalten

B : Womit beschäftigen Sie sich an der LSA?

L S A : Gemeinsam mit unseren Studierenden wollen wir herausfinden, wie die gebaute Umwelt entsteht, warum sie so gestaltet ist und wie sie in Zukunft gestaltet werden soll. Dabei setzen wir auf Interdisziplinarität und Internationalität, um auch Vergleiche mit anderen Baukulturen, Disziplinen und Methoden zu ermöglichen.

„Wir rüsten Architekt:innen mit den Fähigkeiten aus, globalen und lokalen Herausforderungen mit innovativen und robusten Lösungen zu begegnen.“

Die Modellbauwerkstatt wurde von Studierenden entworfen und gebaut. Foto: Bruno Klomfar
Foto: Bruno Klomfar
Die Modellbauwerkstatt wurde von Studierenden entworfen und gebaut.
Der Hochschulcampus ist in den renovierten Anlagen der ehemaligen Textilfabrik Spoerry in Vaduz untergebracht. Foto: Stephanie Büchel
Foto: Stephanie Büchel
Der Hochschulcampus ist in den renovierten Anlagen der ehemaligen Textilfabrik Spoerry in Vaduz untergebracht.

Die 3 Wege der LSA

B : Wie gehen Sie die Aufgabe praktisch an?

LSA: Auf drei Wegen:
1. Um aktuelle Forschungsthemen effektiver anzugehen und den Nachwuchs thematisch besser einzubinden, haben wir unsere Kompetenzen in interdisziplinären Fachgruppen (Units) gebündelt. So können wir schnell und flexibel auf gesellschaftliche Bedürfnisse eingehen. In der Unit „Urbanismus, Architektur & Gesellschaft“ geht es uns um die Verbindungen zwischen Menschen und Raum und wie dieses Wissen Instrumente zur Bewältigung dringender gesellschaftlicher Herausforderungen liefert. Unsere Unit „Städtebau & Raumentwicklung“ untersucht, wie emissionsarme, an den Klimawandel angepasste, biodiverse und integrative Stadtlandschaften sowie widerstandsfähige Siedlungsstrukturen  geschaffen werden können. Mit der Unit „Nachhaltiges Bauen“ leisten wir Pionierarbeit für eine nachhaltige Zukunft, indem fortschrittliche grüne Technologien und ganzheitliche Ansätze eingesetzt und architektonische Praktiken mit den planetaren Grenzen der Erde in Einklang gebracht werden, um die globale und lokale Lebensqualität zu verbessern. In der Unit „Bauerbe & Upcycling“ untersuchen wir die materiellen und immateriellen Ressourcen der gebauten Umwelt und entwickeln Strategien für ihre Erhaltung, Wiederverwendung und den Übergang zu Kreislaufwirtschaften, wobei sowohl historische Werte als auch zukünftige Bestrebungen berücksichtigt werden. Und – last but not least – beschäftigt sich die Unit „Handwerk & Struktur” mit dem Zusammenhang von Material, Konstruktion und Struktur im Hinblick auf eine nachhaltig gebaute und tektonisch gefügte Architektur.

2. Mit Pro-Bono-Projekten: Im Modul „Pro Bono“ arbeiten wir fachübergreifend an konkreten Projekten zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 und der 17 Sustainable Development Goals. Die Studierenden suchen sich Partner:innen aus der Praxis, mit denen sie Projekte für das Gemeinwohl planen und durchführen – und damit einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im regionalen und internationalen Kontext leisten. Das Bewusstsein für die soziale, politische, ökologische, ökonomische und kulturelle Relevanz der Projekte ist uns dabei besonders wichtig. Dadurch vermitteln wir Fähigkeiten, die über den normalen Rahmen der Architekturausbildung hinausgehen und rüsten Architekt:innen mit den Fähigkeiten aus, globalen und lokalen Herausforderungen mit innovativen und robusten Lösungen zu begegnen.

3. Mit „Hands on“ auf dem Campus: Im Laufe der letzten Jahre haben sich unsere Studierenden immer wieder mit ihrer Campusumgebung auseinandergesetzt und beispielsweise einen Seminarraum für ungewöhnliche Lehr- und Lernformen selbst umgebaut. Die Modellbauwerkstatt sowie die Innenraumgestaltung des neuesten Universitätsgebäudes wurden ebenfalls von Studierenden entworfen und mitgebaut. Und auch das „Solar-Baum“-Wahrzeichen vor dem Spoerry-Areal samt Photovoltaikanlagen oder der „Alpine Tower“ gehen auf Entwürfe von Studierenden zurück.

Das engagierte Team der Forschenden und Lehrenden an der Liechtenstein School of Architecture setzt sich gemeinsam dafür ein, den Studierenden eine umfassende und zukunftsorientierte Ausbildung zu ermöglichen und die Universität im internationalen Forschungsdiskurs zu positionieren. Foto: Fabio Schober
Foto: Fabio Schober
Das engagierte Team der Forschenden und Lehrenden an der Liechtenstein School of Architecture setzt sich gemeinsam dafür ein, den Studierenden eine umfassende und zukunftsorientierte Ausbildung zu ermöglichen und die Universität im internationalen Forschungsdiskurs zu positionieren.

Den Bestand mit Potenzial verstehen

B : Werden Sie mit Vorurteilen konfrontiert?

L S A : In letzter Zeit wird oft gesagt, dass Architekt:innen und Planer:innen noch immer so ausgebildet werden, dass sie viele bestehende Gebäude abreißen und durch nicht nachhaltige oder zu extravagante Neubauten ersetzen und damit maßgeblich zur Klima-, Ressourcen- und sozialen Krise beitragen. Dieser Eindruck entspricht, zumindest an unserer Universität, aber schon längst nicht mehr der Realität in Forschung und Lehre. Wir haben unsere Studiengänge bereits konsequent darauf ausgerichtet, dass die Studierenden zunächst lernen, den Bestand mit seinen Potenzialen und Defiziten zu verstehen. Darauf aufbauend entwickeln, testen und untersuchen wir dann gemeinsam gesamtheitliche Entwürfe für eine nachhaltige Weiterentwicklung.


Neue Fächer im Studiengang

B: Was war denn ein Aha-Effekt in Ihrer Forschungstätigkeit?

LSA: Vor fünf Jahren haben wir unsere Studiengänge das letzte Mal gesamthaft überarbeitet. Damals haben wir das Studium stark projektzentriert ausgerichtet. Viele Nebenfächer wurden dazu direkt in die Entwurfsstudios integriert. Dieser Lehransatz war damals hoch im Kurs. Doch das Konzept hatte auch seine Tücken. Schon bald haben sich die Studierenden wieder mehr Vorlesungen, Prüfungen und eine umfangreichere und generellere Wissensvermittlung gewünscht. Das hat uns etwas überrascht, aber wir haben uns die Kritik zu Herzen genommen. Diesen Herbst starten wir nun mit einem komplett überarbeiteten Bachelorstudiengang, der diesem und auch vielen anderen Wünschen gerecht wird. Vor allem in den ersten vier Semestern ist der Studiengang wieder stärker durch Grundlagenvorlesungen geprägt. Die Entwurfsstudios sind aufeinander aufbauend konzipiert, außerdem gibt es viele neue Fächer: Zirkuläres Bauen, Lebenszyklusanalysen, Upcycling, urbane Transformation oder auch Ethik und Umwelttheorie gehören in Zukunft ebenso zur Grundausbildung. Unseren Masterstudiengang betrachten wir weiterhin als „Labor‘“ Hier können die Studierenden aus einem breiten Angebot an Entwurfsstudios, Seminaren und individuellen Wahlfächern auswählen, um ihr Studium auf die eigenen Interessen abzustimmen und thematisch vertiefen zu können. Dabei legen wir Wert darauf, dass sie auch mit unseren Forschungsgruppen in Kontakt kommen. Die angebotenen Vertiefungsrichtungen entsprechen thematisch den Fachgruppen. Nach dem Abschluss des Masterstudiums besteht die Möglichkeit, einen PhD­Studiengang bei einer der Fachgruppen zu absolvieren.

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