08.08.2018

Öffentlich

Lichter Trost

Das zweite Obergeschoss bildet mit seinen intimen Sitznischen und dem Dachgarten den räumlichen Höhepunkt des Gebäudes.


Trost in schwerer Zeit

Das Saint-Bartholomews-Hospital ist das älteste Krankenhaus in London. Gegründet im 12. Jahrhundert, residiert es mittlerweile in einem Gebäude aus viktorianischer Zeit. Neue Haus- und Medizintechnik wurde im Verlauf der Zeit mehr schlecht als recht hineingebastelt, was man dem verwinkelten Gebäude heute an vielen Ecken und Enden auch ansieht. Jetzt hat das altehrwürdige Haus einen Anbau erhalten, der, von außen betrachtet, fast ohne Technik auszukommen scheint.

 

Das sogenannte „Maggie’s Cancer Care Centre“ steht auf dem Krankenhausareal in der Ecke eines quadratischen Innenhofs und dockt hier direkt an ein Bestandsgebäude aus dem 18. Jahrhundert an: den berühmten Nordflügel von James Gibbs mit seinem Festsaal und dem eindrucksvoll ausgemaltem Treppenhaus.

Im Vergleich zu diesem strengen und im Innern reich ornamentierten Bau verschwimmt der angeschlossene Neubau in seinen Konturen, ein heller, abstrakter Turm mit transluzenten Glasscheiben. Ähnlich wie das Raster der Steinquader beim Altbau wird die moderne Glasfassade hier in querliegende Profilformate unterteilt. Sie verlaufen an der Nordostseite sogar schräg, orientieren sich an der Treppensteigung im Innern und winden sich nach oben, als wickelten sie sich um die Fassade.

Die Krebshilfe-Organisation Maggie’s Centre, die hier residiert, ist Auskunfts- und Anlaufstelle, Aufenthaltsraum und Treffpunkt für Patienten mit Krebsdiagnose. Wie bei allen Standorten der Institution war es auch in London das Ziel, einen freundlichen Ort zu schaffen, der den größtmöglichen Gegensatz zu den langen und tristen Fluren der Krankenhäuser bilden sollte – ein Anliegen, das mehr als gelungen ist: Mit Spendengeldern wurde hier ein Ort geschaffen, wo Ruhe, Rat und Trost zu finden ist. Die Angebote reichen von Gruppentherapien über Ernährungsberatung und Stressbewältigung bis zur Unterstützung bei Sozialhilfeanträgen.

Wohnlicher Kokon

Dazu wurde wie bei jedem Maggie Centre ein weltweit bekanntes Architekturbüro engagiert. Das 23. seiner Art stammt nun vom Amerikaner Steven Holl, der einen einfachen und kontemplativen Ort geschaffen hat: Das Innere besteht aus einem einzigen, hellen Raum – hier entfaltet sich ein Kokon aus Bambusholz mit einer dreigeschossigen Mitte und einem offenen Treppenaufgang, der sich parallel zu den Fassadenprofilen entlang nach oben windet. Zwischen Kokon und Fassade bilden schräge, verzweigte Betonpfeiler das Tragwerk. Überall sind wohnliche, intime Sitzgelegenheiten zu finden, Nischen mit losen Sesseln und Beistelltischen oder Bänken.

 

Viel Licht im Inneren

Die Glasfassade besteht aus einer Sandwichkonstruktion – eine äußere Scheibe mit geätztem Glas und eine innere transparente Scheibe. Die teilweise schräg angeordneten Glasplatten mussten in einer Vielzahl von Sonderformen angefertigt werden: Verbaut wurden plane, gebogene und sogar J-förmige Isoliergläser, die so noch nie zuvor hergestellt wurden. Hinzu kamen zartfarbige Muster, die das Nebelgrau der Außenhaut weniger düster erscheinen lassen und die dem Gebäude etwas Spielerisches verleihen.

Eine Besonderheit der Fassade ist die verwendete Dämmung: Zwischen den Scheiben befinden sich mattweiße, transluzente Okalux-Kapillare. Ihnen ist die helle, freundliche und gleichzeitig intime Atmosphäre im Inneren zu verdanken: viel Licht fällt herein, aber niemand kann hineinsehen.


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Gebogene Glasscheiben ermöglichen …

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… die außergewöhnliche Architektur des Maggie’s Centre.

Alle Fotos: Iwan Baan.

 

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