27.02.2019

Wohnen

Korallen an die Wand?

Mit Farben ist das so eine Sache. Architekten, so die gängige Meinung, mögen sie grundsätzlich schon mal gar nicht. Die Baumeister jedweder Zeit ähneln darin laut allgemeiner Empfindung Hamburger Kapitänen. Letztere akzeptieren der norddeutschen Sage nach ja jede Farbe, so lange es Blau, Grau oder Blaugrau ist. Ersetze durch Blau Schwarz, und wir sind bei unseren Lesern, also Ihnen – so, wie gesagt, das Vor­urteil. Mitten in diese vermutete standesgemäße Farbenunlust platzen nun die Farbpropagandisten des US-Unternehmens Pantone mit der Meldung, es gebe eine „Farbe des Jahres“. (Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass Pantone die schon seit dem Jahr 2000 kürt, das war mir nur noch nicht bewusst.)

In diesem Jahr nun geht der Zuschlag an – Schwarz? Grau? Weit gefehlt. „Living Coral“ heißt die Glückliche. Oder, im strengen Pantone-Klassifikationssystem, „Pantone 16-1546 Living Coral“. „Das fröhliche, lebensbejahende Korallenrot mit goldenen Untertönen spendet Energie und belebt auf sanfte Art“, begründet Pantone die Entscheidung. Mich erinnert die Farbe an das Lachsfilet unseres Weihnachtsfondues. Das war lecker, insofern, liebe Pantone-Leute, ist diese Assoziation absolut positiv gemeint. Außerdem: „fröhlich“, „lebensbejahend“ – wer wollte da Kritik üben. Also ran mit Pantone 16-1546 an die Wände.

Wie, Sie meinen, so einfach ist das nicht? Jaja, da haben wir es wieder, ruft nun der immerkluge „Volksmund“ – Architekten wollen ja sowieso immer nur Weiß. Stimmt’s? Nein, nein, das stimmt natürlich nicht. Schon die Stuttgarter Weißenhofsiedlung war so weiß ja gar nicht. Und auch sonst arbeiten gute Büros auch jenseits von Sauerbruch Hutton durchaus bewusst mit Farbe und Textur. Was darauf schließen lässt, dass der Fetisch Weiß wohl eher Ausdruck eines, nun ja, etwas simplistischen Verständnisses von Reduziertheit oder Nüchternheit ist. Einer Philosophie, die mein Kollege Alexander Russ als „Sparkassenmoderne“ verspottet. Neben dem Bau neuer lokaler Finanzinstitute in unseren auch sonst eher mäßig fröhlichen und lebensbejahenden Fußgängerzonen gibt es noch ein weiteres Spielgebiet, in dem die Sparkassenmoderne voll zuschlägt: den Autokauf. Die ignoranten deutschen Autokäufer jedenfalls meiden die Pantone-Farbe des Jahres komplett. Ihr Preis geht immer an Grau, gefolgt von Schwarz und dem – laut Experten allerdings „im Kommen“ begriffenen – Weiß.

Ich weiß nicht, ob auch Ihr Saab oder 911er Porsche in Grau oder Weiß erstrahlt. Oder vielleicht doch in Pantone 16-1546? Nein, vermutlich noch nicht. Man kann ja auch nicht ständig sein Auto neu anpinseln. Ebenso wenig wie Gebäude. Letztlich ist es, ernsthaft gesprochen, ja diese Logik des nachträglichen Überströmens von exzessiver Buntheit an ehemals kargen Gebäuden, die Ihnen als Architekt unangenehm aufstößt. Sozial bewegte Politiker praktizieren das ja gern bei Sozialbauten, um „mehr Farbe ins Leben der Menschen“ zu bringen. Ob man es sich hier nicht vielleicht etwas leicht macht? Es ist das eine, wie Lacaton & Vassal aus schmucklosen Sozialbauten lebenswertere Biotope zu machen. Etwas anderes ist es, die ungezügelte Anwendung von Farbe mit zukunftsgerichteter Sozialpolitik zu verwechseln.

Zumal derlei Kurzfristaktivismen ja auch die Erkenntnisse der Farbstrategen von Pantone schmählich missachten. So wird das nichts. Dann schon lieber Sparkassenweiß (oder Pantone 11-0601, wie wir Experten sagen).

Die Kolumne stammt aus der Baumeister-Februarausgabe. 

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