Leseplätze im ehemaligen Kreuzgang des Predikherenklosters in Mechelen

Zwei Klöster aus dem 17. Jahrhundert, zwei Architekturbüros, zwei sehr unterschiedliche Ergebnisse: David Chipperfield Architects und Korteknie Stuhlmacher haben in Paderborn und Mechelen zwei Klosterkomplexe restauriert und umgenutzt.

Hinter der Fassade der ehemaligen Klosterkirche liegt der Eingangshof zum Jacoby-Forum in Paderborn. Im Vordergrund einer der neuen Büroflügel, Foto: Simon Menges
Kaum wiederzuerkennen: So sah der ehemalige Klosterkomplex während des Bauprozesses aus. Foto: Simon Menges

Eine Kirche wird zum Hof

Das 1628 gegründete Kapuzinerinnenkloster in Paderborn, hat ein bewegtes Schicksal erfahren: 1833 wurde das Klostergebäude samt Kirche zum Hospital umgewandelt, 1945 wurde es bei einem Bombenangriff bis auf die Grundmauernzerstört; bei der anschließenden Wiederherstellung als Krankenhaus blieb nicht viel mehr als die Fassade der Klosterkirche, der Ostflügel des Klostergebäudes sowie Reste des Kreuzganges und einige Mauerzüge im Kirchenbereich erhalten. Sie wurden in neue Bauteile miteinbezogen, so dass sich alter Bestand und nachträgliche Ergänzung nicht mehr unterscheiden ließen. 2012 wurde das Krankenhaus geschlossen und die Eigentümer, der Orden der Vinzentinerinnen, verkaufte das Gebäude an die Paderborner Unternehmerfamilie Jacoby.

Die Käufer verfolgten mit dem Erwerb zwei Absichten. Zum einen sollte hier die neue Verwaltung ihrer Unternehmensgruppe entstehen. Zum anderen sollte der Bau tiefgreifend und denkmalgerecht restauriert werden. Mit diesen Wünschen wandte sich die Familie Jacoby an David Chipperfield Architects in Berlin. Unter der Leitung von Frithjof Kahl und Alexander Schwarz entwickelte das Büro ein radikales Konzept, dass den völligen Rückbau der Ergänzungen aus den Fünfzigerjahren und eine Freilegung der erhaltenen Bestandteile des barocken Gründungsbaus vorsah. Anschließen sollten neue Bürotrakte eingefügt werden, die jedoch die Naht zwischen alt und neu deutlich sichtbar lassen. Die Eigentümer stimmten dem aufwendigen Plan zu und ließen in Abstimmung mit den Denkmalbehörden das Nachkriegsmauerwerk abtragen. Der eigentliche Baubeginn erfolgte dann im Jahr 2017.

Die delikateste Entscheidung des Entwurfs besteht darin, die ehemalige Klosterkirche zur Hoffläche umzuformen, den man durch das Portal in der barocken Kirchenfassade betritt. Vom Hof führt der Haupteingang in das Foyer des Gebäudes, das an der Stelle der vormaligen Sakristei liegt. Spannend ist der Umgang von Chipperfield Architects mit den historischen Mauerzügen im Bereich des ehemaligen Kreuzganges: Sie stellen die von nachträglichen Hinzufügungen befreiten Hoffassaden des Kreuzganges als dachlosen Raum in einen Innenhof, der von den ehemaligen Rückwänden des Kreuzganges gebildet wird. Beim Umgang mit den historischen Mauerzügen haben sich die Architekten für eine Vorgehensweise entschieden, die einerseits den Eindruck einer Ruinenarchitektur vermeidet, andererseits aber das Fragmentarische, Funktionslose überhöht.

Die Architekten erreichen dies durch die sehr dezenten, aber erkennbaren Ergänzungen, mit denen sie das Mauerwerk flickten und begradigten. Dafür verwendeten sie Ziegelmauerwerk, das auch bereit in vorangegangenen Bauphasen des 19. und 20. Jahrhunderts zur Reparatur von Schadstellen verwendet wurde. Anschließend trugen sie im Spritzgussverfahren eine Kalkschlemme auf – nicht zuletzt, um die Mörtelfugen im Bruchsteinmauerwerk zu fixieren. Anschließend wurde die Schlemme manuell wieder abgewaschen, so dass nur ein halbtransparenter Überzug zurückblieb, der nun die gesamten Mauerflächen einheitlich tönt. Im Innern stellen sie seidiggraue Betoneinbauten und -böden an die Seite der kunstvoll geflickten Wände. Beton ist auch das dominierende Baumaterial der klassisch modernen Bürotrakte, die David Chipperfield Architects um die freigelegten historischen Mauerzüge anordnen. Den Beton mildern am Außenbau große holzgerahmte Glasflächen, im Innern ein weißgeseifter Holzboden. Die Ruhe, die diese Materialauswahl vermittelt, trägt den Geist des Klösterlichen in sich – wenn es auch eine generöse Klösterlichkeit ist, die die bescheidenen Klostergebäude aus dem 17. Jahrhundert wohl nie besaßen.

Alles bleibt

2012 sah sich das Rotterdamer Architekturbüro Korteknie Stuhlmacher mit einer dem Paderborner Projekt überraschend ähnlichen Ausgangslage konfrontiert, als sie sich 2012 am Wettbewerb zur Umgestaltung des Predikherenklooster, des ehemaligen Dominikanerklosters in Mechelen beteiligten. Auch hier stammte der Klosterbau im Kern aus dem 17. Jahrhundert und wie in Paderborn handelte es sich um eine relativ kleine innerstädtische Anlage, bei der der Kreuzgang in das Erdgeschoss eines vierflügligen, doppelstöckigen Klausurgebäudes integriert wurde. Auch das Predikherenklooster durchlebte ein bewegtes Schicksal: 1796 eroberten die französischen Revolutionsheere die Stadt und verjagten die Mönche. Die Kirche wurde zum Lagerhaus, die übrigen Klosterteile erst zu einem Altenheim, kurz danach zu einem Militärhospital. Im 20. Jahrhundert schließlich diente das Kloster als Kaserne bis es 1975 der Kommune übergeben wurde. Die wusste allerdings lange nichts mit dem historischen Gebäudekomplex anzufangen. Erst mehr als ein Vierteljahrhundert später fand man eine neue Aufgabe für den Bau – als Bibliothek. Zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude bereits weitgehend ruinös.


Kloster Mechelen1
Kloster Mechelen, Westfassade © Korteknie Stuhlmacher Architecten

Kloster Mechelen2
Kloster Mechelen, Grundriss © Korteknie Stuhlmacher Architecten

Kloster Mechelen4
Kloster Mechelen, Schnitt © Korteknie Stuhlmacher Architecten

Kloster Mechelen5
Kloster Mechelen, Schnitt © Korteknie Stuhlmacher Architecten

Kloster Mechelen7
Kloster Mechelen, Lageplan © Korteknie Stuhlmacher Architecten

 

Bei ihrem siegreichen Entwurf schlugen Korteknie Stuhlmacher in Zusammenarbeit mit Callebaut Architecten und Bureau Bouwtechniek einen signifikant anderen Weg ein als David Chipperfield Architects in Paderborn: Sie ließen alles was möglich war in situ, weil sie die Nutzungs- und Nichtnutzungsphasen des Komplexes – vom Kloster über die Kaserne bis hin zur Ruine – ohne Wertung gleichermaßen ablesbar lassen wollten. Kein bestimmter historischer Zustand sollte wiederhergestellt werden. Vielmehr sollte das was bei einer behutsamen Reinigung des vorgefundenen Baus von den Wänden abfiel – Farbe, Stuck, Ornamente – nicht wieder angebracht, alles Übrige dagegen fixiert und konserviert werden. Größere Fehlstellen im Mauerwerk wurden mit einem erkennbar neuen Ziegelstein geflickt. Nur an wenigen Stellen wichen die Architekten von dem Prinzip, den vorgefunden Zustand zu erhalten, ab, etwa im Kreuzgang, wo während der militärischen Nutzung die Fenster zum Innenhof verkleinert worden waren – eine Baumaßnahme, die sie rückgängig machten. Dort wo die Außenwände so marode waren, dass sie mehr oder minder vollkommen erneuert werden mussten, schufen sie zudem neue Fensteröffnungen.


Bibliothek im Dachstuhl

Wie aber konnte das Raumprogramm für eine öffentliche Bibliothek mit dem Ziel, das Gebäude in seinem Erscheinungsbild möglichst unbeeinträchtigt zu lassen, in Einklang gebracht werden? Wie sollte insbesondere Platz für einen ausgedehnten Freihandbereich geschaffen werden? Konkurrenzprojekte im Wettbewerb hatten hierfür vorgeschlagen, den Innenhof zu überdachen oder die Buchbestände in der Klosterkirche unterzubringen. Korteknie Stuhlmacher schlugen dagegen vor, den Freihandsaal im gewaltigen und praktisch unverändert erhaltenen Dachstuhl des Gebäudes zu platzieren. Dadurch konnten die Architekten einerseits die vorgefundenen Raumstruktur weitgehend beibehalten und andererseits beeindruckende neue Räume in und unter dem jahrhundertealten Balkenwerk der Dachkonstruktion schaffen. Der Freihandbereich bildet nun, nach Fertigstellung, einen Höhepunkt der neuen Bibliothek. Die öffentlichen Bereiche der Bibliothek – Foyer, Ausleihe und Information, ein Restaurant, Vortrags- und Konferenzräume – fanden problemlos im Erdgeschoss des ehemaligen Klausurgebäudes Platz. Der Kreuzgang konnte unverändert erhalten bleiben und dient der Erschließung des Stockwerks. Das erste Geschoss, in dem sich auch der Saal der ehemaligen Klosterbibliothek befindet, nimmt nun Lesesäle, Besprechungszimmer und Verwaltungsräume auf. Die ehemalige Klosterkirche, deren Restaurierung in den kommenden Jahren, nach Fertigstellung des übrigen Klosterkomplexes, in Angriff genommen wird, soll zukünftig als „Agora“ dienen. Die Sanierung soll dabei auf das strukturell notwendigste begrenzt werden, so dass die Nutzungs- und Verfallsphasen so ablesbar wie möglich bleiben.

Als Gegengewicht zu den Wänden und Decken, die durch ihre Fragmenthaftigkeit und im wahrsten Sinne Vielschichtigkeit an vielen Stellen Unruhe in die Räume bringen, haben die Architekten Einbauten, Verkleidungen, Fenster und Mobiliar als gediegene Holzarbeiten ausführen lassen. Sie verleihen den Räumen eine luxuriöse Handwerklichkeit, die erst verdeutlicht, dass der Bau in seiner Form als bautechnisch gesicherte Ruine ein Exponat in sich selbst darstellt. Zugleich ermöglichen sie erst seine Nutzbarkeit, nehmen ihm seine Rauheit und verleihen ihm eine Wärme, die die gesamte Bibliothek und insbesondere den großen Freihandbereich unter dem Dach zu einem wohnlichen Aufenthaltsort machen.

Kloster Paderborn, Ansicht vorne © David Chipperfield Architects Berlin
Kloster Paderborn, Ansicht hinten © David Chipperfield Architects Berlin
Kloster Paderborn, Ansicht seitlich © David Chipperfield Architects Berlin
Kloster Paderborn, Grundriss © David Chipperfield Architects Berlin
Kloster Paderborn, Lageplan © David Chipperfield Architects Berlin
Kloster Paderborn, Schwarzplan © David Chipperfield Architects Berlin

Das Fragment als Ausgangspunkt

Sowohl David Chipperfield Architects als auch Korteknie Stuhlmacher liefern mit ihren Umbauten spannende Reflektionen über den Umgang mit dem Fragmentarischen, Verfallenen, Zerstörten. Und beide Büros präsentieren eine ganz eigene Interpretation des „Weiterbauens“ als konservatorischem Ansatz. Fraglos riskanter ist die Herangehendweise von Chipperfield Architects, die sehr mutig zwischen ‘erhaltenswert’ und ‘entbehrlich‘ gewertet und anschließend die freigelegten Mauern des 17. Jahrhunderts zum Raumkunstwerk überhöht haben. Zugleich stellen sie den historischen Fragmenten eine industrielle Architektur an die Seite, deren Modernität sich zum Alten klarstmöglich abgrenzt. Wie wird diese wohl in 20 oder 30 Jahren beurteilt werden? Vielleicht ist aber auch zu viel Bescheidenheit gegenüber dem Bestand gar angezeigt. Nicht unwahrscheinlich, dass es in Zukunft die Ergänzungen von David Chipperfield Architects seien werden, die einen Erhalt des Ensembles erst rechtfertigen werden. Ist es umgekehrt denkmalpflegerisch wirklich notwendig, jede historische Zeitschicht des Predikherenklosters in Mechelen zu konservieren, wie es Korteknie Stuhlmacher tun, oder begibt man sich hier nicht schon in den Bereich des L’art pour l’art? Die Antwort liefert auch hier die bestechende ästhetische Qualität des Ergebnisses. Beide Architekturbüros ringen dem Vorgefundenen eine künstlerische Dimension ab, die erst die Ruinen und Fragmente aus dem Blickwinkel des heutigen Betrachters zu einer Sehenswürdigkeit macht.

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