19.11.2024

Architektur Öffentlich

Kinderspital von Herzog & de Meuron in Zürich

Die geschwungene, dreigeschossige Fassade mit den markanten Holzhäuschen im Obergeschoss des Kinderspitals strahlt eine einladende Atmosphäre aus. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis

„Like a sylvan spa!“, titelte der Guardian und nennt es im nächsten Atemzug atemberaubend und revolutionär.: das Universitäts-Kinderspital von Herzog & de Meuron, das am 02. November diesen Jahres in Zürich eröffnet wurde. Alles zu dem spektakulären Neubau lesen Sie hier.

Am Fuß des Burghölzli Hügels in Zürich-Lengg in unmittelbarer Nachbarschaft von weiteren Spitalbauten gelegen umfasst der Neubau zwei Gebäude. Zum Einen das Akutspital und zum Anderen das Gebäude für Forschung und Lehre. Mit der Fertigstellung wird es das größte Spital für Kinder und Jugendliche in der Schweiz sein. Doch beeindruckend ist nicht nur die Größe, sondern vor allem die einladende Architektur von Herzog & de Meuron. Durch visuelle und haptische Reize, den geschickten Einsatz verschiedener Materialien, Licht und Pflanzen entsteht eine warme Atmosphäre – für Krankenhausbauten ungewöhnlich.

 

Architekt Jacques Herzog betont, dass Spitäler oft zu den unattraktivsten Orten gehören, auch in der Schweiz. Dabei sollten gerade sie eine heilende Umgebung schaffen. Das Universitäts-Kinderspital unterstreicht, dass Kinder in traumatischen Situationen neben bester medizinischer Versorgung auch eine besondere Atmosphäre mit viel Wärme und Geborgenheit zur Genesung bräuchten. Herzog & de Meuron beschäftigen sich seit 20 Jahren intensiv mit dieser Thematik. Sie seien „[…] überzeugt davon, dass Architektur hier ganz konkret zu einer Verbesserung beitragen kann“, sagt Herzog und weiter: „Hier am Kispi kann man das nun selbst erfahren.“ Den Zuschlag für das Kispi – die Kurzform für das Kinderspital – erhielten Herzog & de Meuron bereits nach einem Wettbewerb in den Jahren 2011 bis 2012. Die Realisierung des Projektes erfolgte dann von 2014 bis 2024.


Akutspital wird über grüne Hauptstraße erschlossen

In den letzten zehn Jahren entstand auf dem Südareal ein neues Akutspital, eingebettet in ein Wohnquartier mit Obstwiesen. Der dreigeschossige Betonskelettbau mit filigranen Holzfassaden und einer konkaven Eingangswölbung fügt sich harmonisch in seine Umgebung ein. Das Eingangsportal liegt genau gegenüber der denkmalgeschützten Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) von 1869, dem sogenannten „Burghölzli“. Durch die Bauweise entsteht ein gemeinsamer Vorplatz für beide Einrichtungen. Vom Eingang führt der Weg zu einem begrünten Innenhof, der direkt mit der Eingangshalle und dem Restaurant verbunden ist.

Der Innenhof ist einer von mehreren, die sich entlang einer „Hauptstraße“ erstrecken, die auf allen drei Etagen das Gebäude durchzieht. Diese zentrale Achse weitet und verengt sich entlang der Höfe, was nicht nur eine intuitive Wegführung ermöglicht, sondern auch viel Tageslicht und Grün in das Gebäude bringt. Zur Integration der Landschaft wurden beispielsweise über 250 Bäume gepflanzt, und im Untergrund vorgefundene Findlinge in und um die Bauten herum platziert. Als Inspiration für die Hauptstraße nennen die Architekt*innen die Niederdorf-Hauptstrasse in der mittelalterlichen Altstadt von Zürich. So erklärt Pierre de Meuron: „Das Akutspital ist angelegt wie eine Stadt – mit Höfen, Strassen, Gassen und Plätzen.“

Das Gebäude für Forschung und Lehre steht als als zylindrischer, weisser Bau auf einer Anhöhe. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis
Die Beziehung zwischen Innen und Außen spielt eine besondere Rolle in der Architektur von Herzog & de Meuron. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis
Die tragenden Betonstruktur, die Erdgeschoss und erstes Obergeschoss verbindet, variiert in Tiefe und Füllung der Fassade. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Michael Schmidt

Eine Stadt im Kleinen

Die „Stadt im Kleinen“ verteilt sich auf drei Ebenen. Im Erdgeschoss befinden sich Therapiebereiche mit eigenen Gärten sowie stark frequentierte Bereiche wie Bilddiagnostik, Chirurgische Tagesklinik und die Notfallstation, die am Ende des Hauptkorridors liegt und auch direkt von außen zugänglich ist. Im ersten Obergeschoss befinden sich entlang der Hauptstraße weitere Polikliniken, die Spitalschule, eine Apotheke und gemeinschaftlich genutzte Räume. Die Büros mit etwa 600 Arbeitsplätzen für medizinisches und administratives Personal sind zur Außenseite hin orientiert. Das Dachgeschoss unterscheidet sich: Hier gibt es 114 Zimmer für Patient*innen, die einen längeren Aufenthalt haben, jeweils als kleine, private Holzhäuser gestaltet. Zudem befinden sich hier vier interdisziplinäre Behandlungszentren für Kinder und Jugendliche.


Herzog & de Meuron entwirft ausgefallene Fassade

Die Fassade des Spitals besteht aus einer tragenden Betonstruktur, die Erdgeschoss und erstes Obergeschoss verbindet. Die Tiefe und Füllung der Fassade – aus Holz, Glas, Stoff oder Pflanzen – variiert je nach Ausrichtung und Funktion des dahinterliegenden Raums. Während Stützen und Erschließungskerne aus Beton sind, wurde der Rest in Leichtbauweise errichtet, was eine flexible Raumaufteilung ermöglicht. Das zurückversetzte Dachgeschoss der Bettenstationen bildet mit den gestaffelten Zimmern und den unterschiedlich geneigten Dächern den krönenden Abschluss des Akutspitals. «Die geschwungene, dreigeschossige Strassenfassade mit ihren markanten Holzhäuschen samt unterschiedlich geneigten Pultdächern bereitet jungen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen einen freundlichen und warmen Empfang“, schwärmt auch Pierre de Meuron.

Eine besondere Attraktion des Kinderspitals ist der „Skyspace Kispi“ – ein begehbarer Zylinder über zwei Etagen mit einer Kuppelöffnung zum Himmel. Gemeinsam mit dem renommierten Lichtkünstler James Turrell wurde ein Lichtkonzept mit wechselnden Farben entwickelt, das einen Rückzugsort für Mitarbeitende und Patient*innen schafft.

Patientenzimmer für die Kleinen. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis
Dachterrasse im Spital. Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis
Copyright: Herzog & de Meuron, Fotograf: Maris Mezulis
Der Innenraum im neuen Kinderspital.

Gebäude für Forschung und Lehre

Das Gebäude für Forschung und Lehre auf dem Nordareal hat eine ganz andere Anmutung. Während sich der horizontale, langgestreckte Baukörper des Akutspitals in die flache Landschaft eingliedert, steht das Gebäude für Forschung und Lehre als Solitär auf einer kleinen Anhöhe inmitten einer Obstbaumwiese. Es ragt als zylindrischer, weisser Bau mit einem offenen, fünfgeschossigen Atrium in die Höhe. Herzog & de Meuron setzen einen Fokus auf klare Geometrie und wenige Materialien. Um das Zentrum sind die individuellen Bereiche der Forschungsgruppen angeordnet. Offene Arbeitsplätze säumen das Atrium im Innern und erlauben geschossübergreifende Blickbeziehungen. Nach außen hin liegen die Forschungs- und Diagnostiklabore sowie dazugehörige Büros mit ständigen Arbeitsplätzen. Darüberhinaus beinhalte das Gebäude drei Hörsäle die sich in das natürlich abfallende Gelände einbetten. Auch hier wird Flexibilität groß geschrieben. So ermöglicht es der der Einsatz von beweglichen Trennwände, verschiedene Bereiche zusammenzuschalten und im Ausnahmefall eine Agora für 670 Zuschauende mit einer Bühne entstehen zu lassen.


Kinderspital als zukunftsweisende Architektur

Herzog & de Meuron entschieden sich bewusst für die kontrastierende Architektur der beiden Gebäude: „Im Akutspital stehen das Individuum, jeder einzelne Patient und sein Heilungsverlauf ebenso im Zentrum wie das Wohlergehen der Angehörigen und Mitarbeitenden. Das Gebäude für Forschung und Lehre ist auf den Austausch und die Zusammenarbeit unter Wissenschaftlern und Studierenden ausgelegt, ohne die keine zukunftsweisende Forschung stattfinden kann.“ Zukunftsweisend ist jedoch das gesamte Projekt. Mit der Eröffnung am 02. November wird sich zeigen, wie die Patient*innen und Mitarbeiter*innen des Kinderspitals auf die heilende Umgebung reagieren.

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