08.12.2016

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Kerez über eine Verbrennungsanlage

Kehricht Verbrennungsanlage

Christian Kerez,
Kehricht Verbrennungsanlage,
1990 n. Chr.

In ihrem Buch „Reminiscence“ porträtieren Benedict Esche und Benedikt Hartl die besondere Beziehung zwischen Bauwerk und Architekt. Dort kommen wegweisende Architekten zu Wort, die über ihre architektonische Prägung und deren Einfluss auf die eigene Arbeit schreiben. Hier erzählt Christian Kerez von der monumentalen Kraft einer Müllverbrennungsanlage:

Kehricht Verbrennungsanlage

 

„Vor langer Zeit einmal waren die größten Gebäude auch die wichtigsten Gebäude ihrer Zeit. Die gesellschaftliche Bedeutung der mittelalterlichen Kathedrale spiegelte sich in ihrer monumentalen Größe wieder. Die Größten Gebäudeanlagen unserer Zeit sind Infrastrukturbauten wie Staudämme, Autobahnen, Kraftwerke oder Industriebauten. Diese Bauten der Energie und des Verkehrs sind reine Zweckbauten. Ihre Größe leitet sich aus einer rein technischen und wirtschaftlichen Notwendigkeit ab. Sie drückt keinen architektonischen, keinen gesellschaftlichen Anspruch aus. Ihr Maßstab bezieht sich auf Maschinen, nicht auf den Menschen. Eine gesellschaftliche Akzeptanz erfahren sie meist erst im nostalgischen Gewand, als Zeugen der Geschichte kaum je als Manifestation der Gegenwart. Die Architekten unserer Zeit, die berühmten Gebäude der 90er Jahre, hatten kaum je einen so prägenden Einfluss auf die Landschaft oder die Stadt wie beispielsweise Staumauern und Autobahnen. In diesem Sinne hat sich die Architektur jener Zeit von der Gestaltung der Landschaft auf die Gestaltung einzelner, eher kleiner Objekte zurückgezogen, gleichgültig ob diese städtebaulich hergeleitet waren oder nicht.

Die fotografischen Arbeiten, welche ich in den 90er Jahren als Zeitschriften- und Buchbeiträge publizierte, waren eine Therapie gegen die viel diskutierte Gegenwartsarchitektur, welche etwas theorielastig und beinahe körperlos den Charakter von Anschauungsmodellen besaß und weniger durch physische Präsenz beeindruckte. Meine Beschäftigung mit Befestigungsanlagen, Kraftwerken, unterirdischen Druckstollen und Staumauern war ein Versuch, den unbewussten, verborgenen, gebauten physischen Körper der aktuellen Architektur sichtbar werden zu lassen. Diese fotografischen Arbeiten waren ein Versuch, die theorielastige Gegenwartsarchitektur mit den unreflektierten, nackten Körper der grössten architektonischen Monumente unserer Zeit zu konfrontieren. Auf die Sprache zu verzichten bedeutete auch den Versuch, das Bild von seinem illustrativen Verwendungszweck zu emanzipieren.“

Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier

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