27.10.2017

Öffentlich

Identität bauen

 

Hoch oben auf einem Hügel inmitten der steinigen Landschaft im palästinensischen Westjordanland, rund 25 Kilometer nördlich von Jerusalem, sitzt ein flaches, polygonales Gebäude, das fast ein bisschen an ein Zelt erinnert – wäre da nicht seine Verkleidung aus einem für die Region typischen weißen Kalkstein. Es ist das erste Palästinensische Museum, ein neues Prestigeprojekt der Palästinenser im Städtchen Birzeit in der Nähe von Ramallah. Entworfen hat es das irische Büro Heneghan Peng Architects, der Auftrag geht auf einen Wettbewerbsgewinn zurück. Dort oben auf dem Hügel, angestrahlt von der Mittagssonne des Nahen Ostens, wirkt es, als wolle es palästinensische Präsenz demonstrieren und damit jegliche Zweifel an der Existenz eines palästinensischen Volkes aus dem Weg räumen.

Das Museum

Die Palästinenser, die seit 1967 unter israelischer Besatzung leben und in zwei blutigen Aufständen, den Intifadas, dagegen gewaltsam zu kämpfen versuchten, wollen schon lange einen eigenen Staat. Nun haben sie zumindest ein nationales Museum, das erste seiner Art, das zeigen soll, wer sie sind, und damit auch eine starke politische Botschaft hat: „Es ist eine Botschaft an den Rest der Welt: Wir sind hier, wir werden hier bleiben und in diesem Land leben, dessen Ureinwohner wir sind. Wir haben eine lebendige Kultur, die wir zeigen wollen“, erklärt Mahmud Hawari, seit vergangenem Jahr Direktor des Museums, ein kleiner Mann mit dunklen, kurzen Locken, der nahezu perfektes britisches Englisch spricht – schließlich hat der 
Archäologe zuvor in Oxford gelehrt und am Britischen Museum gearbeitet. Für die neue Arbeit ist er in seine alte Heimat 
zurückgekehrt und hat sein Büro im Gebäude.
Hawaris Telefon klingelt, es sind hektische Zeiten, gerade hat die erste Ausstellung eröffnet: „Jerusalem Lives“, kuratiert von Reem Fadda, zeigt die palästinensische Perspektive auf die umstrittene Stadt und das arabische Leben dort: Israel hat den arabischen Ostteil im Sechstagekrieg 1967 erobert, später annektiert und beansprucht heute ganz Jerusalem als Hauptstadt für sich. Die Palästinenser wollen Jerusalem hingegen als Hauptstadt ihres zukünftigen Staates, schließlich ist es für die Muslime die drittheiligste Stadt. Deshalb befasst sich ein Teil der Ausstellung mit Werken, die den Felsendom zeigen, der auf dem Jerusalemer Tempelberg steht – mit seiner golden-leuchtenden Kuppel ist er ein Wahrzeichen der Stadt. „Jerusalem Lives“ zeigt unter anderem auch Fotografien der von Israel errichteten Sicherheitsmauer und eine abstrakte Installation aus kleinen Seifenblöcken mit roten Punkten, die auf die vielen Grenzen in Jerusalem hinweisen sollen. Werke von 48 palästinensischen und internationalen Künstlern sind zu sehen, die zusammen das Bild eines unterdrückten, eines kämpferischen und hochpolitischen Volkes ergeben, das sich vor allem entlang des Nahostkonflikts definiert. Aber ist es das, was die palästinensische Identität ausmacht?

Die Ausstellung

„Jerusalem Lives“ ist zwar nur eine temporäre Ausstellung, die noch bis Mitte Dezember zu sehen ist, zeigt also lediglich einen Teil dessen, was palästinensische Kunst ausmacht, doch eine Dauerausstellung fehlt bis heute und ist längst noch nicht in Planung. Und so stellen sich die Fragen, wer die Palästinenser denn nun eigentlich sind: Was ist ihre Geschichte, was ihre Kultur? Fragen, die wohl auch die Palästinenser gar nicht so leicht beantworten können. Die Architekten von Heneghan Peng nahmen das Meer als Bezugsquelle für ihren Entwurf: Das Gebäude schaut mit seinen großen Glasfronten nach Westen und bietet einen Blick bis hin zum Mittelmeer, ein Sehnsuchtsort vieler Palästinenser, die dort nur noch mit israelischer Erlaubnis hinfahren können. Israel vergibt aus Sicherheitsgründen wenige Einreisegenehmigungen, da in den vergangenen Jahren immer wieder Terroranschläge gegen Israelis verübt wurden.

Fotos: Iwan Baan

 

Mehr dazu finden Sie im Baumeister 11/2017

 

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