12.07.2021

Öffentlich

Verschlusssache Museum

noAarchitecten haben das Gruuthuse-Museum, die stadtgeschichtliche Sammlung von Brügge, renoviert und erweitert. Dabei wählten sie für den Innen- und den Außenraum des spätgotischen Ensembles unterschiedliche Strategien.

 

Foto: Karin Borghouts

 

Es gibt einfachere Aufgaben, als mitten im Weltkulturerbe der Altstadt von Brügge zu bauen. Letztendlich steht hier jeder Architekt vor der Entscheidung: Anpassung oder Kontrast? Brügges Stadtbaumeister Louis Delacenserie entschied sich bei der Restaurierung des spätmittelalterlichen Stadtpalast der Herren von Gruuthuse am Ende des 19. Jahrhunderts scheinbar für die erste der beiden Lösungen. Doch was heute wie ein spätgotisches Gesamtkunstwerk aus dem Bilderbuch aussieht, entsprang in großen Teilen der historistischen Gestaltungslust des Architekten. Er schuf eine pittoreske Komposition mit Türmen, Lukanen, Giebeln und reichem Maßwerkschmuck. Der Gruthuuse-Palast sollte zum perfekten Ausdruck für die Pracht und den Reichtum Brügges in seiner goldenen Zeit sein. Fraglos fand Delacenserie dies höchst angemessen, für ein Bauwerk, das als Museum Besuchern die Stadtgeschichte anschaulich machen sollte: Das Gebäude wurde selbst zum Exponat.

 

Foto: Karin Borghouts

 

2015 erhielten noAarchitecten den Auftrag, das Gruuthuse-Museum zu renovieren. Dabei begriffen sie das Haus mit all seinen Entstehungsphasen als Teil der Szenografie. Objekte und Ausstellungsräume bilden eine Einheit. Insgesamt schaffen die Architekten mit ihren Eingriffen, ein ausgesprochen wohnliches Ambiente, dass das Dekorative an den ausgestellten Kunstwerken betont. Die Renovierung atmet in vielen Details, etwa der Farbgebung der Wände und den buntgefliesten Böden, unübersehbar den Geist des Historismus und führt damit den Besuchern diese wichtige historische Schicht im Bestandsbau vor Augen. Dabei verschleiern noAarchitecten allerdings nicht, welche Zutaten zeitgenössisch sind. Vielmehr liefern sie mit ihrem Umbau ihre Interpretation historistischer Ausstellungsarchitektur, so wie Louis Delacenserie mit seinem Umbau seine Interpretation des spätgotischen flämischen Stadtpalastes lieferte.

 

Foto: Karin Borghouts
Foto: Karin Borghouts

Neue Giebel für das Gruuthuse-Palais

 

Weiter als in den Innenräumen des Bestandsbau gehen noAarchitecten bei dem kleinen Anbau, den sie an das Haupthaus angefügt haben. Hier mussten sie nicht nur auf das Gruuthuse-Palais selbst Rücksicht nehmen, sondern auch noch auf den unmittelbar angrenzenden Chor der Liebfrauenkirche, des neben der Kathedrale bedeutendsten Sakralbaus der Stadt. Dennoch haben sich die Architekten zu dem mutigen Schritt entschlossen, mit ihrem kleinen Pavillon den Hof des Stadtpalastes gegen den Kirchhof zu schließen – auch wenn eine hohes und breites Torportal die Grenze zwischen den beiden Außenräumen fließend hält. Der Bau ist nicht ohne Vorgänger: Erst bei den Umbauten und Renovierungsarbeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde der Innenhof durch den Abriss von Nebengebäuden geöffnet.

 

Foto: Karin Borghouts

 

Der Neubau formuliert nun einen funktionalen und verschließbaren Zugang zum Innenhof des Gruuthuse-Museums. Aus dem überdachten Durchgang heraus gelangt man nicht nur in den Hof, sondern auch in den Kassenraum. Dieser nimmt einen Großteil der Fläche des kleinen Gebäudes ein. noAarchitecten haben ihrem Bau aus einer Reihe von fünf Giebeln gebildet. Der höchste, der den breiten Durchgang überfängt, ist dabei der am weitesten vom Hauptgebäude entfernt liegende. Die filigrane, vielfach geknickte Dachkonstruktion besteht aus Metall, die Wandflächen sind dagegen weitgehend in Glasflächen aufgelöst.

 

Foto: Karin Borghouts
Foto: Karin Borghouts

 

Wie harmonisch sich der Neubau in den historischen Bestand einfügt, liegt ein wenig im Auge des Betrachters. Die Betonung der Giebel verleiht dem kleinen Gebäude einigen Reiz. Ob dadurch ein solch schwerwiegender Eingriff in das nun in dieser Form auch bereits mehr als ein Jahrhundert alte Ensemble zu rechtfertigen ist, bleibt fraglich. Vom Geist des Projektes von Louis Delacenserie haben sich die Architekten hier jedenfalls deutlich weiter entfernt als in den Innenräumen.

 

Foto: Karin Borghouts

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