28.11.2024

Architektur Öffentlich

Feierliches Leuchten – Glasfenster von Sean Scully

Kirche
Sean Scully gilt heute als einer der bedeutendsten abstrakten Maler der Gegenwart. Hier zu sehen sein Werk in der Landshuter Martinskirche. Foto: EOM/Achim Bunz

Kaum einer weiß, dass der bekannte irisch-amerikanische Maler Sean Scully gelegentlich auch in einem Atelier bei Bad Tölz arbeitet. Denn er hat zwischen 2002 und 2007 an der Kunstakademie München gelehrt und sich mit Oberbayern angefreundet. So kam es, dass er 2009 eine Ausstellung des italienischen Bildhauers Giuseppe Spagnulo in der Landshuter Stadtresidenz besuchte. Bei einem Blick in die St. Martins-Kirche stellte er fest: „Hier fehlt Farbe.“ Die Fensterscheiben in der spätgotischen Hallenkirche sind nach mehreren Zerstörungen im Laufe der Jahrhunderte zumeist transparent. – Jetzt, 16 Jahre später, ist sein Wunsch in einer der Seitenkapellen der Kirche umgesetzt worden.


Der Ort

Der gotische Backsteinbau der Martinskirche, fertiggestellt um 1500, hat schon viel überstanden – schwere Schäden, die wohl bis zu den Plünderungen der Stadt um 1634 zurückreichen. Zum Ende des 17. Jahrhunderts wurden im Kirchenraum transparente Butzenglasscheiben eingesetzt. Erneuerte farbige Fenster aus dem 19. Jahrhundert gingen im Zweiten Weltkrieg zu Bruch. Nach 1947 erhielt St. Martin einen Zyklus bunter Glasfenster in den Seitenkapellen, deren aufwendige Sanierung allerdings nun schon viele Jahre andauert. Die kritischen Punkte bei ihrer Erneuerung sind dort, wo die Steinelemente der Streben aufeinandersitzen und das Quereisen einbinden. So wurde 2017 im Kirchenraum ein Gerüst eingezogen und jedes alte Fenster mit Holzklammern befestigt.

 

Moderne Glaskunst des 20. und 21. Jahrhunderts findet sich heute auch in der Magdalenen- und Aschkapelle an der Nordseite des Chors. So reiht sich Sean Scullys Arbeit für die sogenannte Altdorfer-Kapelle in diese künstlerische Tradition der Glasbildkunst ein. Dieser zweigeschossige Kapellenanbau sticht durch sein filigranes Gewölbe heraus. Sein Name geht auf Georg Altdorfer zurück, den Bischof von Chiemsee und Spross einer Landshuter Patrizierfamilie, der Ende des 15. Jahrhunderts die Ausstattung der Kapelle stiftete. Sein Grab, geschmückt mit einem Rotmarmorepitaph, ist ebenfalls in der Kapelle zu finden. Zentrales Kunstwerk im Raum ist aber die barocke Kreuzigungsgruppe mit der lebensgroßen, silbernen Christusfigur.

Möglich war die Übersetzung von Sean Scullys Entwürfen auf Papier in die herrlichen Fenster vor allem durch die Fertigkeiten und Erfahrungen mit Glaskunst der Mayer’schen Hofkunstanstalt. Foto: EOM/Achim Bunz
Die bisher verschlossene Kapelle steht ab jetzt allen Besucherinnen und Besuchern offen. Foto: EOM/Achim Bunz
Sean Scully hat, unentgeltlich, vier neue Kirchenfenster für die Altdorfer-Kapelle entworfen. Foto: EOM/Achim Bunz

Der Maler

Sean Scully gilt heute als einer der bedeutendsten abstrakten Maler der Gegenwart. Sein eigener Stil besteht vorwiegend aus frei aufgetragenen, rechtwinkligen Farbrastern in anziehenden Tönungen. Geboren wird er 1945 in Dublin und wächst unter prekären Verhältnissen hauptsächlich in London auf. Erste Erfolge mit seiner Kunst kann er bereits mit 28 Jahren verzeichnen. 1978 zieht er nach New York, wo er endgültig seine eigene Handschrift findet, und wird zusätzlich amerikanischer Staatsbürger. Seine Ausstellungen finden bald weltweit statt. Heute lebt und arbeitet er in New York, Barcelona und eben in Mooseurach bei Bad Tölz.

 

Sean Scully gestaltete die Fenster am Computer, und nach seinen Anweisungen musste ihre Wirkung in zwei Richtungen gedacht werden: Nachts, von innen beleuchtet, strahlen sie nach draußen in die Landshuter Fußgängerzone; tagsüber tauchen sie die sakralen Kunstwerke in irisierendes Licht und unterstreichen die Bedeutung der Kapelle als Grablege der Landshuter Stiftspröpste.


Die Umsetzung

Möglich war die Übersetzung von Sean Scullys Entwürfen auf Papier in die herrlichen Fenster vor allem durch die Fertigkeiten und Erfahrungen mit Glaskunst der Mayer’schen Hofkunstanstalt. In der Münchner Seidlstraße wird schon seit 1847 in fünfter Generation an Glaskunstwerken gearbeitet. Sogar schon an Fenstern für die Landshuter Martinskirche, die nach 1945 Ersatz für die kriegszerstörten Fenster benötigte. Auch mit Sean Scully hat das Unternehmen schon zusammengearbeitet, unter anderem bei Projekten in Barcelona, Valencia, Venedig und Varese. Dennoch ist die Übertragung seiner Entwürfe in Bleiglasfenster auch immer wieder eine Herausforderung für die Fachleute, vorallem was die genauen Farbtöne betrifft.

 

Sean Scully hat, unentgeltlich, vier neue Kirchenfenster für die Altdorfer-Kapelle entworfen. Sie stellen zeitgenössische Neuinterpretationen mittelalterlicher Fenster dar. Doch nur durch großzügige Stifter war es möglich, dass sein Wunsch nach farbigen Fenstern in Landshut in Erfüllung ging. In der Mayer’schen Hofkunstanstalt fügte man durchgefärbtes Glas mittels Bleiruten auf traditionelle Weise zu einem vielteiligen Bleinetz. Die Schönheit liegt in der sichtbaren Handwerklichkeit, der Unregelmäßigkeit der mundgeblasenen Echtantikgläser, der schillernden Farbverläufe, die Scullys pastoser Pinselführung entsprechen. Drei der spitzbogigen Maßwerkfenster sind mit blauen, gelben und roten Rastern durchsetzt, nur die Scheiben des vierten Fensters ganz am Eingang der Kapelle leuchten in einem tiefen Blau. Das Farbspiel spiegeln sich wunderbar in der silbernen Christusfigur aus dem 18. Jahrhundert in der Raummitte. Stiftspropst Franz Joseph Baur hat die Fenster in Anwesenheit des Künstlers Ende September im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes gesegnet. Die bisher verschlossene Kapelle steht ab jetzt allen Besucherinnen und Besuchern offen.

Eine sehenswerte Ausstellung kann man an den Wochenenden im Landshuter Rathaus besuchen. Dort finden auch Vorträge zum Kunstwerk statt, und es liegt ein informatives Büchlein dazu aus.

 

Lesen sie auch mehr über die Erneuerung der Veitskrypta, der mittelalterlichen Pfarrkirche St. Jodok in Landshut.

 

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