07.12.2017

Gewerbe

Gibt es neoliberale Architektur?

 

Wie sieht die Architektur im Zeitalter des Neoliberalismus aus? Unser Autor zeigt die großen Zusammenhänge auf: von Donald Trump über “Rechte Räume” bis hin zu Patrick Schumacher.

Die Große Regression1 der Gegenwart mit ihren neualten, an den Architekturdiskurs der „Konservativen Revolution” nahtlos anschliessenden „Rechten Räumen”, ist ohne eine Rekapitulation der architektonischen Produktion neoliberaler Ökonomien, ohne eine Rekapitulation dessen, was im Folgenden als „Neoliberalisierungsarchitekturen“ bezeichnet sei, nicht zu verstehen. Damit sind allgemein jene Architekturen gemeint, die sich dem Finanzialisierungsschub verdanken, der seit dem Aufstieg neoliberaler Politiken ab etwa 1973 die zunehmend globalisierte Welt der Architektur und Immobilienwirtschaft ergriffen hat und üblicherweise als Investoren-, Rendite- oder Spekulationsarchitektur bezeichnet wird. Zwei gleichermassen ver­glaste, aber dennoch anti­podische Typologien beziehungsweise Bauwerke verdienen in diesem Kontext besondere Aufmerksamkeit, da sie – Hypertrophien gleich – für allgemeinere Phänomene des Neoliberalismus
stehen: der Spiegelglasturm (des Trump Tower) und der Kristallpalast (der Biosphere 2). Beide, so wird im Folgenden dargelegt, repräsentieren eine ökonomische Destabilisierungslust des Neoli­beralismus, die, sofern sie nicht politisch eingehegt wird, am Imaginären der Gesellschaft wie der Architektur rüttelt: der Idee von Stabilität, von „arché”. Dieses Instabilitätsprojekt kulminiert im Parametrizismus Patrik Schumachers – insbesondere in dessen Zusammenarbeit mit dem Trump-Schwiegersohn Jared Kushner.

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Das Durchdrehen des Neoliberalismus

Neoliberalisierungsarchitekturen im Allgemeinen und der Trump Tower sowie die Biosphere 2 im Besonderen können als zwar absichtsvoll stabil gebaute, aber unbeabsichtigt  makroökonomische Gleichgewichtsstörungen hervorufende Artefakte betrachtet werden. Sie entstanden – bewusst oder unbewusst – im Kontext von neoklassischen und neoliberalen Wirtschaftsordnungen und sollten de iure an den Gleichgewichtszuständen von Märkten mitbauen, de facto aber trugen sie ihren Teil dazu bei, das ohnehin vorhandene ökonomische Ungleichgewicht zu verstärken. Ebendiese Ordnungen nahm Joseph Vogel 2010 in „Das Gespenst des Kapitals” ins Visier, als er Kritik an der unter vielen Ökonomen weit verbreiteten Auffassung übte, wonach Märkte „von sich aus“ auf einen optimalen Gleichgewichts­zustand von Angebot und Nachfrage zustrebten. Dagegen weist Vogl auf die lange kapitalistische Geschichte von Blasen, Crashs und Wirtschaftskrisen hin, an denen sich jegliche Vorstellungen einer „Idylle des Marktes“ blamieren.2 Die wirtschaftstheoretischen Ausführungen des Philosophen verdanken sich zum Großteil einer Rezeption der neokeynesianischen und anti-neoliberalen Theorien Hyman P. Minskys, der wiederholt die „Hypo­these finanzieller Instabilität“3  aufstellte und in einem berühmten Aufsatz aus dem Jahre 1982 konkludierte: „Eine wichtige Folgerung aus der Hypothese der finanziellen Instabilität besagt, dass die Politik in einer kapitalistischen Volkswirtschaft Grenzen und Mängel des Kapitalismus erkennen muss, wenn sie erfolgreich sein will.“4

Die Krise bauen

Als entscheidende Instabilitätslieferanten fungieren in Minskys Theorie Investitionsprojekte, vor allem Bauprojekte. Minsky ging sogar soweit, die Finanzierungsmodalitäten in der amerikanischen Baubranche – er schrieb dies bereits im Jahre 1982 – mit „Ponzi-Finanzierungen“ zu vergleichen, also mit Schneeballsystemen. 5 Damit etablierte der Wirtschaftstheoretiker einen Nexus, den Krisensensible nach ihm immer wieder betont haben: dass hinter den allermeisten Wirtschaftskrisen Immobilienkrisen stecken. Karl Heinz Roth etwa hat deutlich gemacht, dass bis auf jene des Jahres 1929 drei der vier globalen Wirtschaftskrisen – jene der Jahre 1857, 1873 und 2008 – mit einer Immobilienkrise begannen. 6 Auch bei der Japankrise ab 1991 spielte das Platzen von Immobilienblasen eine entscheidende Rolle, ebenso bei der Asienkrise 1997/1998. Entsprechend ordnet Vogl die US-amerikanische Sub­prime-Krise von 2006, aus der die Great Financial Crisis (GFC) der Jahre 2007 und 2008 erwuchs, als eine Art Minsky-Vorzeige-Krise ein, die Vieles dessen, was der 1996 verstorbene Wirtschaftswissenschaftler beschrieben hat, posthum zu bestätigen scheint: „Als (…) mit den ersten Zahlungsunfähigkeiten von Immobilienbesitzern die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen anwuchs, neue Investitionen ausblieben, Kreditlinien verschärft wurden, Rating-Agenturen einige Papiere deklassierten und Geldmarktzinsen stiegen, setzte ganz konsequent die umgekehrte Anpassungsbewegung, eine Anpassung an veränderte Erwartungshorizonte ein. Der Markt für verbriefte Immobilienanleihen stockte und brach ein, Vermögenswerte aller Art mussten zur Refinanzierung verkauft werden, Kapitalmärkte gerieten unter Druck und ließen Immobilienpreise weiter sinken. Der sich selbst verstärkende Preisverfall für Immobilien, Hypotheken und deren Derivate hinterließ die bekannten schwarzen Löcher der Liquidität.“ 7

Von liberal zu illiberal

Instabilitäten provozieren soziale Scheinsicherheiten, und so gehört es zu den ebenso erstaunlichsten wie unbemerkten kulturellen Phänomenen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, dass ein hoher Anteil von Rechtspopulisten und Rechtsextremen unter Immobilienunternehmern, -makler und –verwaltern zu vermerken ist. Man erinnere sich an den niederländischen Politiker Pim Fortuyn (1948-2002), dessen rechtspopulistische Partei Lijst Pim Fortuyn (LPF) in erster Linie vom Immobilienunternehmer Harry Mens und dessen Freundeskreis gefördert wurde. 8 Man erinnere sich an die österreichischen FPÖ-nahen Immobilienunternehmer wie Dieter Langer (1945-2002) und Ernst Karl Plech (geb. 1944) – letzterer stellte Anfang der 1990er Jahre dem Rechtsaußen Jörg Haider ein Penthouse im Wiener Pratercottage in der Leopoldstrasse zur Verfügung. Man erinnere sich an den deutschen Immobilienexperten und neurechten, geschichtsrevisionistischen Historiker Rainer Zitelmann (geb. 1957), dessen im Jahre 2000 gegründete Unternehmen Dr. Zitelmann PB.GmbH sich in den Folgejahren zum Marktführer für die Positionierungs- und Kommunikationsberatung von Immobilien- und Fondsgesellschaften entwickelte. 9 Diese Beispiele – viele andere wären zu ergänzen – summieren sich zu einem Muster, das in den letzten Jahren in vielen westlichen Ländern aufscheint: das Umkippen vieler wirtschaftsliberaler und vor allem libertärer Positionen ins Illiberale 10, nicht zuletzt unter Beteiligung von Immobilienkompetenzen. Vor allem in den USA steht die Präsidenten-Karriere des einstigen Immobilienmoguls Donald Trump für ein Durchdrehen „freiheitlicher“ Politikoptionen, die dann über national­liberale beziehungsweise libertäre Positionen zu einem Rassismus-bereiten Anti­liberalismus mutierten.

Trump Tower

Der 58 Stockwerke hoch in den Himmel ragende Spiegelglasturm 11 namens Trump Tower, den Donald Trump zwischen 1980 und 1983 durch den Architekten Der Scutt in Manhattan errichten liess, gehört zu den populärsten und zugleich kulturtheoretisch unterschätztesten Touristenattraktionen in New York City. Nirgendwo sonst lässt sich es sich wohl so deutlich zeigen wie an der Fifth Avenue, Ecke 56th Street, was „Finanzarchitektur“ im engeren Sinne des Wortes, was „Wert“ unter neoliberalen Bedingungen bedeuten könnte. Die Konsolidierung dieser Bedingungen findet üblicherweise ihre Urknall-Szene im Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973, also der nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffenen, von Wechselkursbandbreiten reglementierten internationalen Währungsordnung, die vom Gold-hinterlegten US-Dollar als Ankerwährung gedeckt wurde. Mit der Implosion dieser Ordnung begann nicht nur die global bis heute anhaltende systematische Währungsspekulation und die Dominanz der Finanzmärkte 12, sondern auch das ultimative Ende des Goldstandards. Darauf regierte Trump – den „richtigen Riecher“ kann man ihm wohl kaum absprechen – mit Goldarchitekturen: In goldenen Lettern prangt über dem Haupteingang zur Fifth Avenue der Name „Trump Tower”; die Spiegelglasfassade ist mit einem besonders teuren, golden schimmernden Bronzeton eingefärbt 1314 und einer Verkleidung aus Breccia-Perniche-Marmor auf, einer seltenen Gesteinsart mit einer exquisit anmutenden Farbmischung in den Tönen Rosé, Pfirsichgelb, Pink und – Gold.15 Auch im Penthouse-Apartment, das sich über die obersten drei Stockwerke erstreckt und von Trump und seiner Familie genutzt wird, prunkt das Gold eines irgendwie „versaillig“ anmutenden Diktatorenschicks. Die „wertige“ Anmutung des Gebäudes überdeckt nur die Tatsache, dass fast die gesamten Baukosten in Höhe von rund 200 Millionen Dollar durch einen 1980 bewilligten Kredit der Chase Manhattan Bank finanziert wurden. 16

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Biosphere 2

Rund zehn Jahre nach der Errichtung des Trump Tower – 1991, also kurz nach dem von neoliberaler Seite als „Ende der Geschichte” 17 beschriebenen Fall des Eisernen Vorhangs – entstand die zweite architektonische Hypertrophie des Neoliberalismus: das Biosphere 2-Projekt, ein ökologisches Großexperiment, das in Oracle im US-Bundesstaat Arizona errichtet wurde. Der texanische Milliardär Edward Bass investierte rund 300 Millionen US-Dollar in den Bau eines 1,6 Hektar großen Gebäudekomplexes, das die Komplexität der Biosphere 1, also der Erde, im Kleinen wiederholen sollte: Im Inneren des Gebäudekomplexes, der bewusst Anleihen beim 1851 errichteten Londoner Crystal Palace macht, findet sich ein geschlossenes Ökosystem mit Savanne, Ozean, tropischem Regenwald, Mangrovensumpf, einer Wüste und einer Fläche, die der intensiven Landwirtschaft gewindet ist. Die verschiedenen Biotope von Biosphere 2 wurden auch von zwei Menschengruppen belebt, die sich als „Missionen“ verstanden. Der erste Versuch fand 1991 bis 1993 statt – acht Teilnehmer lebten genau zwei Jahre und 20 Minuten in den geschlossenen Räumen mit dem Ziel, vollständig von allen Außenkontakten (Luft- und Materialaustausch) abgeschlossen zu sein, außer vom natürlichen Sonnenlicht und zugeführter elektrischer Energie. Der zweite Versuch fand 1994 statt – diesmal lebten sieben Teilnehmer mehr als sechs Monate in der Biosphere 2. Zwischen diese beiden Mission fällt eine inhaltliche Um­orientierung des Projektes, bei der eine spätere Schlüsselfigur der Trump-Präsidentschaft eine zentrale Rolle spielte: Steve Bannon. Der ehemalige Investmentbanker fungierte zwei Jahre lang, von 1993 bis 1995, als Acting Director der Biosphere 2  – und setzte durch, dass nicht mehr, wie ursprünglich geplant, die Lebensbedingungen für einen Exodus ins All wissenschaftlich zu er­forschen sind, sondern fortan irdischere Themen wie Umweltverschmutzung und globale Erwärmung auf der Agenda stehen.

Utopie und Dystopie

Die beiden antipodischen Typologien Spiegelglasturm (konkret: Trump Tower) und Kristallpalast (konkret: Biosphere 2) repräsentieren seither die Hypertrophien des Neoliberalismus: Während Ersterer für den utopielosen Pragmatismus eines real existierenden „Höher, schneller und weiter“ steht, dessen von außen undurchsichtige Fassaden einer üblicherweise zu kurz gekommenen Umgebung den gold schimmernden Spiegel vorhalten, steht Zweiterer – deutlich blickdurchlässiger – für die einzige Utopie, die seit dem Ende des Bretton Woods-Abkommens größere Unterstützung fand: die ökologisch inspirierte. 18 Beide stehen auch für den Instabilitätsdrang des Neoliberalismus und bieten kompensierende Bilder der Solidität beziehungsweise der kosmisch-terrestrischen Kontrollierbarkeit an: Während der Trump Tower dem Ende des Goldstandards ein goldenes Denkmal zu setzen scheint, versucht sich die Biosphere 2 an der Steuerbarkeit des Raumschiffs Erde. Dass ausgerechnet Steve Bannon, der nach dem Aussscheiden beim Biosphere 2-Projekt zunehmend reaktionäre Fimprojekte à la “In the Face of Evil: Reagan’s War in Word and Deed” (2004) oder “Generation: Zero” (2010) produzierte, anschliessend beim rechtskonservativen Medienunternehmer Andrew Breitbart einstieg um ihn nach dessen Tod im Jahre 2012 zu beerben, im August 2016  Chefberater im Team Trump wurde um, nur wenige Tage nach Trumps Inauguration  in den Nationalen Sicherheitsrat befördertert zu werden…; dass ausgerechnet jener Steve „Biosphere 2“ Bannon dann auch noch zum Mastermind der (Anti-)Klimapolitik der Trump-Administration wurde, ist mehr als nur eine Ironie der Geschichte. Jedenfalls war aus dem einstigen Kämpfer gegen Treib­hausgase 19 ein ultrarechter White-Supremacy-Ideologe und selbsternannter „Wirtschafts-Nationalist” geworden, als dessen grösster politischer Triumph der von Trump am 1. Juni 2017 verkündete Ausstieg aus dem Pariser Klimabkommen gelten darf.20

Neoliberalismus und Bankarchitekturen

Dass neoliberale Geld- und Währungspolitiken Einfluss auf kulturelle und damit auch architektonische Artefakte hatten und haben, ist im ausgehenden 20. Jahrhunderts am deutlichsten von neomarxistischen Theoretikern ausgeführt worden, vor allem vom Geographen David Harvey. In „The Condition of Postmodernity“ stellt er – gewissermassen als Echo der alten marxistischen Unterscheidung von Bau und Überbau – die Postmoderne als die kulturelle Logik des postfordistischen Spätkapitalismus vor 21, welche auf die ökonomischen Stabilitäts­verluste, die durch das Ende von „Bretton Woods“ entstanden, mit kompensatorischen Scheinstabilitäten reagierte. Bewusst oder unbewusst, so Harvey, fingen mit dem Beginn einer systematisierten Währungsspekulation viele einflussreiche Architekten wie Robert Venturi, Denise Scott Brown und später auch Philip Johnson an, vergangenheitsbezogener und auch geschichtsfiktionaler zu
entwerfen. Hinter den Kulissen historisierender Granitfassaden der späten 1970er und 1980er Jahre, so Harvey, war Schulden-finanziertes Kapital am Werk: „It is, perhaps, appropriate that the postmodernist developer building, as solid as the pink granite of Philip Johnson’s AT&T building, should be dept-financed, built on the basis of ficticious capital, and architecturally conceived of, at least on the outside, more in the spirit of fiction than of function.“ 22 Gerade der letzte Satz, mit dem an die vielen Geschichtsandeutungen des AT&T Building angespielt wird – das Palladio-Motiv der unteren Stützenstellung oder das Chippendale-Motiv des Gebäudeabschlusses –, lässt sich 1:1 auf den ungefähr zeitgleich erbauten Trump Tower übertragen, mit dem Unterschied, dass Trump beziehungsweise sein Architekt Stabilitätssuggestion nicht in der Geschichte, sondern in der Illusion von Materialwert, in der Goldoptik anboten. Doch die von Harvey insinuierte Kompensation von ökonomischen Instabilitäten durch Scheinstabilitäten ist selbst Geschichte geworden. So haben Ana Jeinić und Anselm Wagner in ihrem Buch “Is There (Anti-)Neoliberal
Architecture?” (2013) deutlich gemacht, dass in neo­liberalen Kontexten jegliches Formenspiel appropriiert werden kann: „Like a big sponge, neoliberalism has absorbed all leftist emancipatory tendencies toward freedom, autonomy, and self-determination, and all critique of governmental suppression and paternalism formulated in the sixties, fusing them with neoconservative ideas of free (but in fact highly protected) market, low taxes (for companies), and no boundaries (for the free flux of goods, capital, and manpower).“ 23 Entsprechend stellen Jeinić und Wagner jegliche Vorstellungen einer neoliberalen Architektur-Ästhetik in Abrede: „Given the capacity of capitalism to absorb and actively (re-)produce cultural difference, it is highly questionable if any common aesthetic characteristics can be traced within contemporary global architectural production and identified as exclusively neoliberal.“ 24 Die beiden bringen es auf den Punkt: „(…) there is no neoliberal architecture, but there are neoliberal architectures.“ 25

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Dekonstruktivismus und Bankenkrise

Dazu gehören auch die Architekturen der Schein-Instabilitäten, die seit der Heraufkunft des neoliberalen Zeitalters, insbesondere in den 1990er Jahren, vor allem in Gestalt dekonstruktivistischer Architekturen materialisiert wurden, und zwar erstaunlicherweise vor allem im Kontext von Bankarchitek­turen. So stellten die New Yorker Architekten Philip Johnson und John Burgee 1996 die beiden einander schief zugeneigten Puerta-de-Europa-Hochhäuser an der Plaza de Castilla in Madrid fertig. Von der Sparkasse Caja Madrid, der Bankia-Gruppe und dem Immobilienunternehmen Realia genutzt, sind die beiden einst für wirtschaftlichen Aufbruch stehenden Bauten, mit dem Platzen der Immobilienblase im Jahre 2008 zum Symbol
für die Schieflage der spanischen Wirtschaft geworden. Das zweite Beispiel findet sich in Klagenfurt. Dort errichtete der kalifornische Architekt Thom Mayne im Jahr 2000 die Zentrale der Hypo-Alpe-Adria-Bank, mit dynamisch aufsteigenden Schrägen und gekrümmten Trakten, die durch Bruchlinien fragmentiert sind. Auch hier wurde die Architektur, die eigentlich für Offenheit und Wagemut stehen sollte, zur “Architecture parlante” ganz anderer Art, als 2009 die Bank nicht mehr über das zur Bilanzierung nötige Eigenkapital verfügte und Insolvenzgefahr bestand, welche nur durch ein Notverstaatlichungsverfahren abgewendet werden konnte. Als letztes Beispiel sei die Architektur des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main erwähnt, die zwischen 2010 und 2013 vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au erbaut wurde. Ein Gebäudekomplex aus zwei polygonalen Zwillingstürmen ist entstanden, die einmal mehr mit den
Insignien des Dekonstruktivismus hantieren: gekrümmte Oberflächen, schräge Stützen, schiefwinklige Treppen. Nie war Bankarchitektur so stabilitätsvergessen wie heute. Eine Anti-Austeritäts-Ästhetik hat sich Bahn ge­brochen, die zur gegenwärtig dominanten Politik des Euroraumes quer steht. Während die Instabilitätsästhetiken der erwähnten Bankgebäude und die Stabilitätsästhetiken der von Harvey untersuchten Architekturen beziehungsweise der Biosphere 2 und des Trump Tower als unbewusste Reaktionen auf den Neoliberalismus betrachtet werden können, gilt der Parametrismus Patrik Schumachers als einzig bewusstes Stilangebot eines prominenten, sich seit geraumer Zeit zum Libertarianismus bekennenden Architekten an (nicht nur) neoliberal verfasste Gesellschaften. Einst auf der Architekturbiennale Venedig 2008 manifestös ausgerufen,26 kann der Parametrismus als ein von gekrümmten und gekurvten Oberflächen geprägter Architekturstil beschreiben werden, der die zunächst emanzipatorisch gemeinten, dann neoliberal gewendeten „models of self-organization, ermergence and complexity“ 27 in Architektur zu übertragen versucht – und dem auf dem Weg, glaubt man Schumacher, nur die Great Financial Crisis 2008/9  in die Quere kam: „Wäre die Finanzkrise nicht gewesen, dann hätte der Parametrismus mittlerweile eine Hegemonial­position innerhalb der Architektur inne, ähnlich wie die Moderne.“ 28 Um seine neuesten politisch-ökonomischen Überzeugungen macht der Principal von Zaha Hadid Architects kein Geheimnis: „Neoliberalismus ist auf jeden Fall besser als Sozialismus oder eine staatliche Regulierung. Die neunziger und frühen nuller Jahre waren meiner Meinung nach nicht liberal genug. Die Wirtschaftskrise hatte ihre Ur­sache nicht in der Deregulierung, sondern in einer falschen politischen Weichenstellung. Deshalb bezeichne ich mich als libertär und sympathisiere mit dem Anarcho-Kapitalismus, der Staatlichkeit und Zwangssolidarität in Frage stellt. Ich bin auch dafür, dass die EU wieder in kleinere Staaten zerfällt. Das gleiche gilt für Großbritannien und Deutschland – dann funktioniert Politik vielleicht auch wieder besser. Mich stören diese riesigen Staatsbürokratien.” 29

Schumacher, der sich in dieser Weise öffentlich politisch äussert sagt, überträgt andererseits in “The Autopoiesis of Architecture” den Niklas Luhmann’schen Kosmos moderner Funktionssysteme auf den Architekturdiskurs, ruft die Existenz eines „Architektursystems“ aus, welches sich zu den bereits bekannten Luhamnnschen Systemen – nämlich dem Erziehungssystem, der Kunst, den Medien, der Politik, dem Recht, der Religion, der Wirtschaft und der Wissenschaft – dazu gesellen solle. Doch was Schumacher damit aus der Architektur ausschliessen will – die Politik etwa oder die Wirtschaft – kommt wie ein Bumerang zurück. So sprach er sich während des World Architecture Festivals im November 2016 in Berlin für eine Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus, für die Privatisierung von öffentlichen Plätzen und für die Bebauung von 80 Prozent des Hyde Parks aus – und erntete den bis dato wohl grössten Shitstorm der Architekturgeschichte. In der Folge gab es sogar Proteste von linken Aktivisten vor dem Büro von Zaha Hadid Architects. Wenngleich einige der Pla­kate sicherlich über das Ziel hinaus schossen – auf einem stand etwa in schwarz-rot-goldenen Lettern zu lesen: „Arbeit macht Frei – Patrik Schumacher – Architect of Fascism“ – so sollte spätestens dann auch Schumacher klar geworden sein: Die Architektur bildet sicherlich kein Luhmann’sches funktional geschlossenes Funktionssystem.

Der mit dem Trump Tower begonnene Kreis von Architekturen eines durchdrehenden Neoliberalismus schliesst sich wieder an der Fifth Avenue, und zwar diesmal an der Hausnummer 666. Dort steht das so genannte Tishman Building, ein 40-stöckiges, vor 60 Jahren errichtetes Gebäude nahe des Rocke­feller Centers, in dem das Immobilienunternehmen Kushner Companies ihren Hauptsitz hat. Allerdings nicht mehr lange, wenn es nach Jared Kushner geht, dem Ehemann von Ivanka Trump, der bis vor kurzem das Unternehmen mitgeleitet hat und dessen Unternehmensanteile aus politischen Gründen an seinen Vater Charles Kushner verkauft werden mussten – zumindest offiziell. Jared Kushner beauftragte Patrik Schumacher mit dem Entwurf für einen neuen, 427 Meter hohen und 7,5 Milliarden Dollar teuren Supertower, der mit einem Mix aus Geschäften, Büros, Hotelräumen und ultraluxuriösen Apartments punkten soll. Derweil positioniert sich Schumacher immer deutlicher auf Trump-Linie, etwa indem er mit dem ultrakonservativen, rechtsliber­tären Pro-Trump-Publizisten Thomas E. Woods fraternisiert – und diesem etwa auf Twitter bescheinigt, dass er nur aufgrund von Woods’ Buch “Meltdown” (2009) zum Anhänger der neoliberalen Österreichen Schule bekehrt wurde. Diese berüchtigte
Publikation nahm die Immobilien- und Finanzkrise 2008/9 zum Anlass, nicht etwa für weniger, sondern für mehr Markt zu plädieren. Woods’ Texte erscheinen auf Deutsch eigentlich nur im rechtsextrem-libertären Lichtschlag-Verlag und der dazu ge­hörenden Monatszeitschrift „eigentümlich frei“. Kushners und Schumachers 666-Fifth-Avenue-Projekt kam kürzlich arg ins Schlingern: zahllose Investoren sprangen ab – mit Konsequenzen, die die gesamte Existenz von Kushner Companies bedrohen könnten. 30  Nun will man die „teuflische Zahl“ 666 loswerden, auch die „Zahl des Antichisten“ genannt: Das neue Gebäude soll die harmlosere, des Okkultismus völlig unverdächtige Adresse „660 Fifth Avenue“ bekommen.

 

 

1: Vgl. Heinrich Geisel­berger (Hrsg.): Die große Regression. Ein internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin: Suhrkamp, 2017.

2: Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, Zürich: diaphanes, 2010, S. 52.

3: Hyman Minsky: „Die Hypothese der finanziellen Instabilität: Kapitalistische Prozesse und das Verhalten der Wirtschaft“ (1982), in (ders.): Instabilität und Kapitalismus, Zürich: diaphanes, 2011, S. 21f.

4: Minsky, „Die Hypothese der finanziellen Instabilität“ (1982), .a.a.O., S. 65.

5: Vgl. Minsky, „Die Hypothese der finanziellen Instabilität“ (1982), .a.a.O., S. 65.

6: Vgl. Karl Heinz Roth: Die globale Krise, Hamburg: VSA, 2009, S. 327.

7: Joseph Vogl: „Vorbemerkung“, in: Hyman Minsky: Instabilität und Kapitalismus, Zürich: diaphanes, 2011, S. 16f.

8: Vgl. Bart Lootsma: „Die Paradoxien des modernen Populismus“ (2007), in (ders.): Reality Bytes. Ausgewählte Schriften 1995-2015, Basel: Birkhäuser, 2016.

9: Zitelmann publizierte neben Ernst-Nolte-nahen Analysen zur NS-Zeit auch Bücher à la Reich werden mit Immobilien (2002), Vermögen bilden mit Immobilien (2004) oder Reich werden und bleiben: Ihr Wegweiser zur finanziellen Freiheit (2015); er verkaufte seine Firma im Jahre 2016.

10: Hierfür stehen in Deutschland beispielsweise auch die einst neoliberalen und heute zunehmend rechtsnationalistischen Wirtschafts-Publizisten André F. Lichtschlag (eigentümlich frei) und Roland Tichy (Tichys Einblick). Auch die Kontroversen um die Mitgliedschaft von AfD-PolitikerInnen wie Beatrix von Storch, Alice Weidel und Peter Boehringer in der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

11: Zum Thema Spiegelglasturm und Neoliberalismus hat Reinhold Martin einige lesenswerte Gedanken in folgendem Aufsatz beigetragen: „Spiegelglas – Widerspiegelungen“, in: ARCH+ 191/192: Schwellenatlas, März 2009.

12: Vgl. David Harvey: Kleine Geschichte des Neoliberalismus, Zürich: Rotpunktverlag, 2007 (2005), S. 45.13: Vgl. Donald J. Trump: Trump. Die Kunst des Erfolges, München: Heyne, 1988 (1987), S. 71.

14: Vgl. Trump, Trump. Die Kunst des Erfolges, a.a.O., S. 146.

15: Ebd.

16: Vgl. Trump, Trump. Die Kunst des Erfolges, a.a.O., S. 143.

17: Vgl. Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München: Kindler, 1992.

18: Vgl. Ana Jeinić: „Neoliberalism and the Crisis of the Project… In Architecture and Beyond“, in: Ana Jeinić, Anselm Wagner (Hrsg.): Is There (Anti-)Neoliberal Architecture?, Berlin: Jovis, 2013, S. 70.

19: In einer TV-Dokumentation des Senders C-Span wird Bannon 1995 mit folgenden Sätzen zitiert: „A lot of the scientists who are studying global change and studying the effects of greenhouse gases, many of them feel that the Earth‘s atmosphere in 100 years is what Biosphere 2’s atmosphere is today. We have extraordinarily high CO2, we have very high nitrous oxide, we have high methane. And we have lower oxygen content. So the power of this place is allowing those scientists who are really involved in the study of global change, and which, in the outside world or Biosphere 1, really have to work with just computer simulation, this actually allows them to study and monitor the impact of enhanced CO2 and other greenhouse gases on humans, plants, and animals.“ – Zit. nach Samantha Cole: „The Strange History of Steve Bannon and the Biosphere 2 Experiment“, in: Motherboard, 15. November 2016 (https://motherboard.vice.com/en_us/article/the-strange-history-of-steve-bannon-and-the-biosphere-2-experiment ( zuletzt abgerufen am 14. Februar 2017).

20: Auch nach seiner Ablösung als Chefberater Trumps am 18. August 2017 ist von einer weiterhin engen Zusammenarbeit auszugehen, da Trump im wahrscheinlichen Falle einer erneuten Präsidentschafts-Kandidatur stark von Breitbart News abhängig ist, für die Bannon nun wieder arbeitet.

21: Vgl. David Harvey: The Condition of Postmodernity, Cambridge, Mass./Oxford: Blackwell, 1990, S. 63.

22: Ebd.

23: Jeinić, Wagner, „Introduction“, a.a.O., S. 7.

24: Jeinić, Wagner, „Introduction“, a.a.O., S. 9.

25: Ebd.

26: Patrik Schumacher: „Parametricism as Style  –  Parametricist Manifesto“ (2008; http://www.patrikschumacher.com/Texts/Parametricism%20as%20Style.htm; zuletzt abgerufen am 1. September 2017).

27: Douglas Spencer: The Architecture of Neoliberalism. How Contemporary Architecture Became an Instrument of Control and Compliance, New York: Bloomsbury Academic, 2016, S. 4.

28: Patrik Schumacher, zit. nach „Der Anecker. Patrik Schumacher im Gespräch mit Alexander Russ (2017; https://www.baumeister.de/der-anecker/; zuletzt abgerufen am
1. September 2017).

29: Ebd.

30: David Kocieniewski, Caleb Melby: „Kushners’ China Deal Flop Was Part of Much Bigger Hunt for Cash“ (2017; https://www.bloomberg.com/graphics/2017-kushners-china-deal-flop-was-part-of-much-bigger-hunt-for-cash/; zuletzt abgerufen am 1. September 2017).

 

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