17.08.2017

Gewerbe

Gibt es genügend Experten für Sanierungsprojekte?

Modernisierungen boomen. Immer öfter werden Bestandsgebäude generalüberholt und runderneuert – bekanntlich hat dies inzwischen einen erheblichen Anteil am Baugeschehen in den größten deutschen Städten. Das klingt nach einem vielversprechenden Betätigungsfeld für Architekten und Planer, und es lässt sich auch an nüchternen Zahlen ablesen: Eine Recherche der Hochtief-Projektentwicklung hat ergeben, dass allein private Projektentwickler in diesem Jahr 690.000 Quadratmeter Bestandsfläche in den sogenannten Top-7-Standorten (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart) einer Generalüberholung unter-ziehen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist das ein erheblicher Zuwachs: 2015 und 2014 wurden noch zirka 550.000 beziehungsweise 340.000 Quadratmeter Bestandsflächen umfassend saniert. Und die Projekte von gemeinnützigen oder kommunalen Trägern sind dabei noch nicht einmal eingerechnet.

Die Sanierungsexperten unter den hiesigen Architekten und Planern sind jedoch weniger euphorisch. Die Modernisierungsraten im Gebäudebestand seien nach wie vor niedrig und gefährdeten somit auch die ambitionierten deutschen Klimaschutz-Ziele, meint etwa Ulrich Zink, Vorstandsvorsitzender des BAKA Bundesverband Altbauerneuerung mit Sitz in Berlin. Er sieht die Ursachen für diesen Sanierungsstau „zum einen im zunehmenden Fachkräftemangel, zum anderen in der oft nicht ausreichenden gewerkeübergreifenden Qualifizierung bei Planern und Ausführenden“. Das führe dazu, dass Eigentümer und Investoren nach wie vor zurückhaltend damit seien, ihre Gebäude aufwendig und für viel Geld umfassend sanieren zu lassen – und statt dessen lieber doch auf Abriss und Neubau setzen. Zinks Ansicht nach gibt es unter den Architekten derzeit noch viel zu wenig Experten für Altbau-sanierungen. Daran hätten nicht zuletzt die Hochschulen ihren Anteil: Themen wie Planen und Bauen im Bestand oder Energieeffizienz bei Bestandsimmobilien kämen zwar schon an einigen Hochschulen im Studienplan vor, „doch ist dieser meistens nicht so ausgebaut, wie es die Praxis derzeit und zukünftig erfordert. Zudem fehlt ausreichend Lehrpersonal in ganz Deutschland“, meint Zink. Der BAKA-Vorstandsvorsitzende fordert daher, einen speziellen Studiengang einzurichten, der sich intensiv mit Bestandsimmobilien auseinandersetzt. „Die Aus- und Weiterbildung im Bereich Bauen muss bis 2050 so ausgerichtet sein, dass in Deutschland viel mehr Experten für den Altbau zur Verfügung stehen.“

Immer mehr Umnutzungen

Sich in der Architektenausbildung vertieft mit Energieeffizienz und dem Werterhalt von Gebäudebestand auseinanderzusetzen, dürfte sich langfristig lohnen. Denn spricht man mit Vertretern der Immobilienwirtschaft, wird schnell klar: „Refurbishments“, wie das die Branche neudeutsch nennt, bleiben ein wichtiges Zukunftsthema. Mangels Alternativen gehen immer mehr professionelle Investoren dazu über, Immobilien zu erwerben, die auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiv erscheinen: Wohnsiedlungen mit Sanierungsstau und hohen Leerständen beispielsweise. Diese werden saniert und anschließend neu vermietet, was ein durchaus einträgliches Geschäft sein kann.

Im Zuge von großen Sanierungsmaßnahmen werden die Gebäude oftmals auch ganz anders genutzt – meist werden leerstehende Büros zu Wohnraum. „Die Umnutzung ist angesichts der Wohnungsknappheit in den Top 7 mittlerweile ein wichtiges Standbein beim Refurbishment“, beobachtet auch Gordon Gorski, Geschäftsführer der Hochtief-Projektentwicklung. Zwar hält nach wie vor eine erhebliche Zahl an Investoren derartige Projekte für unrentablen Unsinn. Einer verglich eine Umnutzung gar mit einer Achterbahnfahrt im Dunkeln: Man weiß am Anfang nicht, welche böse Überraschungen einen erwarten, und dass es Freude macht, steht auch nicht unbedingt fest.

Beispielhaft: Frankfurt, Köln und Düsseldorf

Dennoch gibt es bundesweit inzwischen einige Projekte, die eine Trendwende erahnen lassen: In Frankfurt am Main unternehmen private Investoren und die öffentliche Hand schon seit einigen Jahren Anstrengungen, um aus der Bürostadt Niederrad ein attraktives Wohngebiet zu machen. Bürogebäude werden zu Wohnhäusern, zusätzlich entstehen Neubauten. In der Frankfurter Stadtverwaltung sieht man in dem neuen Viertel ein Potenzial von 4.000 Wohnungen. In Kölns nördlichem Stadtteil Nippes werden derzeit die ehemaligen Produktionsstätten der Gummi-fabrik Clouth zu einem Quartier mit 1.000 Wohnungen umgebaut. Ein Highlight der Siedlung dürfte die „Halle 17“ werden: Der Projektentwickler Formart will die 125 Meter lange und 35 Meter breite Industriehalle zu einem Wohnkomplex mit rund 50 Einheiten umbauen. Deutschlands größtes Umnutzungsprojekt befindet sich indes in Kölns Nachbarstadt Düsseldorf. An der Grafenberger Allee verwandelten Catella und Bauwert das ehemalige Thyssen Trade Center in eine Siedlung namens „Living Circle“. Das markante, halbrunde Bürogebäude stammt aus dem Jahr 1991 und stand seit dem Umzug des Thyssen-Konzerns nach Essen im Jahre 2009 leer. Die fast 40.000 Quadratmeter große Immobilie wurde entkernt und nach Plänen von Konrath und Wennemar zu einem Komplex mit 340 Mietwohnungen, einer Kita und Geschäften umgebaut.

Einzelfälle sind die Projekte nicht: In den Immobilienhochburgen werden derzeit in großem Ausmaß Büros zu Wohnungen umgenutzt, haben die Hochtief-Projektentwickler um Gorski ermittelt. Spitzenreiter ist die Bundeshauptstadt Berlin mit 176.000 Quadratmeter Wohnfläche allein in diesem Jahr. Die Marktbeobachter gehen davon aus, dass die in vielen Städten geplante oder bereits zunehmende Verdichtung in Kombination mit geschlossenen Baulücken das Thema Refurbishment weiter befeuern wird.

Abgesehen vom ökonomischen Nutzen für die Investoren gibt es noch andere gute Gründe, sich vermehrt mit Umnutzungsprojekten zu befassen: Büroleerstände werden abgebaut und die freiwerdenden Flächen dem wachsenden Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt. Die Erneuerung von Haustechnik, Fassaden und Dächern unter Einhaltung der EnEV-Anforderungen spart Energie,
bestehende Bausubstanz bleibt erhalten, und alte Baumaterialien werden recycelt – was wiederum Ressourcen schont. Der BAKA fordert wohl nicht zuletzt deshalb, dass die Aufgaben der Gebäudebestandspflege weitaus breiter angegangen werden müssen: Ökonomie, Ökologie und der durchgängige Erhalt der Wertschöpfungskette im Gebäudebestand müssen stärker berücksichtigt werden. Und für diesen „Spagat zwischen Investition, Wertsteigerung, Werterhaltung sowie der Optimierung der Nutzung“, wie Verbandschef Ulrich Zink es ausdrückt, braucht es nun einmal gut ausgebildete Experten.

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