08.03.2019

Portrait

Frauenpower in der Architektur

Frauen in der Architektur: Grete Schütte-Lihotzky

Grete Schütte-Lihotzky

Um 1900 trat eine Gruppe von Frauen in Deutschland erstmals der damaligen gesellschaftlichen Auffassung entgegen, dass sich die Arbeit eines Architekten nicht mit Weiblichkeit vertragen würde. Sie forderten das Recht auf eine universitäre Ausbildung ein und erreichten bis 1909, dass sämtliche technischen Universitäten in Deutschland auch Frauen zum Studium zuließen. Trotzdem blieb es schwierig, als Frau in der Architektur einen Arbeitsplatz zu finden. Weitverbreitete Vorurteile wie die, dass Frauen nicht mit Finanzen umgehen könnten und nicht in der Lage wären, Arbeiter auf einer Baustelle zu beaufsichtigen, führten dazu, dass Architektinnen sich auf Strategien verlegten, mit denen sie sich gesellschaftlichen Geschlechtervorstellungen entweder anpassten oder sie neu zu verhandeln suchten. Diese Situation blieb das gesamte 20. Jahrhundert über bestimmend und ist es zum Teil auch heute noch.

Grete Schütte-Lihotzky, erste Architektin am Hochbauamt der Stadt Frankfurt, gezeichnet von Lino Salini. 1927, Buntstift. Quelle: Historisches Museum Stadt Frankfurt

Anfänge

Es ist wenig überraschend, dass die ersten Architektinnen vor allem Projekte rea­lisierten, bei denen sie selbst oder jemand aus ihrer Fami­lie der Bauherr war. Therese Mogger erwarb um 1911 Grundstücke im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim, für  die sie dann Mehrfamilienhäuser entwarf. Elisabeth von Knobelsdorff und Prin­zessin Victoria von Bentheim- Steinfurt, beide frühe Ab­solventinnen der TH Berlin, entwarfen Wohnungen und soziale Einrichtungen, die auf Ländereien ihrer Familie errichtet wurden. In den 1920er-Jahren war es ein üb­licher Weg für Architektinnen, mit einem männlichen Partner zusammenzuarbeiten, um an bedeutenden öffent­lichen Projekten arbeiten zu können: Ein Besucher der Weißenhofsiedlung in Stuttgart im Jahr 1927 hätte dort Lilly Reich und Mies van der Rohe, Marlene Moeschke-Poelzig und Hans Poelzig oder Else Oppler-Legband und Peter Behrens angetroffen. Diese Frauen hatten in der Regel Kunstgewerbe oder bildende Künste studiert. Ihre Entwurfsbeiträge betrafen vor allem das Mobiliar und die Innenausstattung – Bereiche, die als weniger prestigeträchtig angesehen wurden. Studierte Frauen hatten auch die Möglichkeit, eine Position im öffentlichen Dienst anzustreben. Allerdings mussten sie unverheiratet bleiben, um ihre Stelle nicht zu ver­lieren. Die Österreicherin Margarete Lihotzky war in den 1920er- Jahren unter Ernst May im Frankfurter Hochbauamt be­schäftigt. Als sie ihren Berufskollegen Wilhelm Schütte heiratete, musste sie ihr Anstellungsverhältnis aufgeben und konnte fortan nur noch als freie Mitarbei­terin tätig sein. Ihr Mann war derartigen Beschrän­kungen nicht unterworfen. Die Zeit des deutschen Nationalsozialismus bedeu­tete für eine Reihe vielversprechender jüdischer Architektinnen das abrupte Ende ihrer Karriere. Darunter waren die Bauhaus-Schülerinnen Friedl Dicker und Zsuzsa Bánki sowie Ilse Bloch (geb. Cats), die an der TH Berlin ihren Abschluss gemacht hatte. Alle drei Frauen wurden in Auschwitz ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Frauen in Deutschland, unabhängig davon, ob sie in der DDR oder in der BRD arbeiteten, größere Chancen, wenn sie sich auf Baupro­jekte mit sozialer Ausrichtung konzentrierten wie etwa Wohnungsbau, Einrichtungen für Kinder und Jugend­liche sowie Innen­einrichtungen. Nachdem sie aus dem amerikanischen Exil zurückkehrt war, entwarf beispielsweise Karola Bloch in den 1950er-Jahren Standardtypologien für Kinder­tagesstätten für die Deutsche Bauakademie.

Strategien

Anhand der Biografien von Architektinnen lassen sich Erfolgsstrategien identifizieren, die über individuelle persönliche Umstände und Konstellationen hinausweisen. In der Regel sind Architektinnen sehr mobil und auch bereit, auszuwandern oder weite Reisen in Kauf zu nehmen, um ihre Berufschancen zu verbessern. Gertrud Schille fuhr für ihre Planetarien nicht nur ins westdeutsche Wolfsburg, sondern reiste auch nach Bagdad und ins lybische Tripolis. Ferner profi­tieren erfolgreiche Architektinnen häufig von der materiellen und intellektuellen Unter­stützung durch Kolleginnen im gleichen Berufsfeld und bieten derartige Unterstützung auch selbst an. Marie Frommer gab 1936 ein florierendes Büro in Berlin auf und ging ins Exil nach New York. Kontakte mit dortigen Berufsverbänden von und für Frauen halfen ihr, sich neu zu etablieren. Deshalb war sie schon bald in der Lage, ein Büro zu eröffnen, das sich auf die Innenausstattungen von Wohnungen und Geschäften spezialisierte – ein Geschäftszweig, in dem Frauen als Inhaberinnen selten waren, aber dennoch eher Akzeptanz fanden als anderswo. Heutzutage ist zwar die Hälfte aller Architektuerstudenten in Europa weiblich – was den beruflichen Erfolg anbetrifft, hinken Frauen aber nach wie vor den Männern hinterher. Strukturell sind die Stra­tegien von Architektinnen daher weiterhin ähnlich, sie haben sich lediglich in ihren kon­kreten Formen den heutigen Umständen angepasst. Auch wenn selten darüber gesprochen wird: Wer als Frau über zusätzliche mate­rielle Ressourcen verfügt, sei es für die Aufnahme eines Kredits bei der Bürogründung oder für die Finanzierung von Kinder­betreuung, hat deutlich höhere Chancen, trotz gesellschaftlicher Benachteiligung und Doppelbelastung durch Beruf und Fa­milie erfolgreich zu sein.

Büropartnerschaften

Partnerschaften mit Männern geben Architektinnen weiterhin einen für ihre berufliche Entfaltung förderlichen Rahmen – zu­mal die Aufteilung der Verantwortlichkeiten und die traditio­nellen Geschlechtergrenzen nicht mehr so eindeutig markiert sind wie in der Vergangenheit. Zu den bekannten Beispielen zählen Sauerbruch Hutton, Barkow Leibinger, Grüntuch-Ernst, und Bolles + Wilson in Deutschland; Helen & Hard in Nor­wegen; Lacaton & Vassal in Frankreich

Wettbewerbe

Der offene Wettbewerb bleibt aber nach wie vor die wichtigste Möglichkeit für Architektinnen, um an große öffentliche Aufträge zu kommen. 1983 erregte Zaha Hadid internationales Auf­sehen, als sie einen visionären Entwurf für den Wett­bewerb zum Freizeit- und Erholungspark „The Peak Leisure Club“ in Hongkong einreichte. In Deutschland konnte Gesine Wein­miller 1999 den Neubau für das Bundes­arbeitsgericht in Erfurt realisieren, Ursula Wilms vom Büro Heinle, Wischer und Partner das Gebäude zur Topografie des Terrors in Berlin (2010) und Gabriele Glöckner den Erweiterungsbau zur Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig (2011). In allen Fällen hatten die Architektinnen den jeweiligen Wettbewerb gewonnen. Die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts sind für Frauen in der Architektur eine Zeit des Übergangs. Von einer vollen Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen sind sie noch immer weit entfernt, dennoch sind hinsichtlich der Zahl beschäftigter Architektinnen und der Vielfalt an Rollen­modellen, die Frauen in diesem Berufsfeld zur Verfügung stehen, deutliche Verbesserungen zu verzeichnen. Es wird die Aufgabe der zahlreichen jungen Frauen sein, die heute Architektur studieren und in die entsprechenden Berufe drängen, neue Strategien zu entwickeln, die ihnen einen Platz in der Welt der Architektur sichern – Strategien, so ist zu hoffen, die sich nicht mehr auf den Kampf gegen überholte Geschlechtervorstellungen und deren Umgehung konzentrieren, sondern die es ihnen erlauben, ihr kreatives Potenzial ohne Behinderung durch Diskriminierung voll zu entfalten.

Dieser Beitrag erschien in unserer Baumeisterinnen Ausgabe im August 2017. Neugierig geworden auf mehr spannende Frauen in der Architektur? Zum Heft geht des hier. 

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