18.07.2018

Wohnen

Es war einmal ein Haus

Das Haus am Schedlberg außen …


Mehr tot als lebendig

Es gibt Geschichten, die muss man erfinden. Und es gibt Geschichten, die sind schon da. Man muss sie nur sehen können. Oder spüren. Das Austragshäusl am Schedlberg bei Arnbruck ist so eine Geschichte, die schon da war. Wann hat sie begonnen? 1820, als das Haus gebaut wurde? Nein, viel früher. Irgendwann vor 320 bis 350 Millionen Jahren, als flüssiges Magma durch Risse in der Erdkruste nach oben stieg, steckenblieb und langsam erkaltete.

Damals hatte dieser Landstrich noch keinen Namen, heute heißt er Bayerischer Wald, und auch wenn mittlerweile viel Granit abgebaut und verkauft wurde, findet man ihn immer noch überall. Wild-schöne Felsformationen, loses Gestein und leergeräumte Steinbrüche. Wer hier sesshaft werden wollte, der baute mit dem, was es gab: Stein und Holz.


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Das Haus am Schedlberg außen …

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… und innen. Fotos: Edward Beierle.

 

Beides gibt es am Schedlberg. Steht man in dem hinteren und neuen Teil des Hauses, der früher Stall und Scheune war, und blickt nach Norden in den nahen Wald, dann sieht man ein paar zufällig gestapelte Granitbrocken, die dort aus der Erde geholt und gleich an Ort und Stelle zu Blöcken bearbeitet wurden. Diese waren wohl übrig und blieben liegen. Mit der Zeit sind die Steine wieder ein Stück in die Erde zurückgesunken, dann kam das Moos. Der Wald hat sie sich zurückgeholt. Anfang der 1960er-Jahre, als hier niemand mehr wohnte, beschloss er, sich das ganze Haus zu holen. Und weil sich die Zeiten gründlich geändert hatten und man die Armut des einfachen Landlebens oder gleich die ganze Vergangenheit vergessen wollte, ließ man ihn gewähren. Sonne, Regen, Wind und Schnee – alle halfen mit, so gut sie konnten. Und als Peter Haimerl das Austragshäusl 2009 zum ersten Mal sah, war nicht mehr viel übrig.

Das Dach sah aus wie ein Blatt Papier, das ein zorniges Kind zerrissen hatte. Dunkle Fensterhöhlen stierten ins Leere. An einer Seitenwand klaffte ein großes Loch, durch das man in den morschen Bauch blicken konnte. Der hintere Teil war fast völlig eingefallen, der vordere ehemalige Wohnbereich stand noch, weil sich die Hauswand mit letzter Kraft aufrecht hielt und die Firstpfette trug. Schon streckten die nahen Tannen ihre Arme aus, und Farne wucherten sich ihren Weg ins Innere. Das Haus war mehr tot als lebendig – und Haimerl mochte es sofort. Eben weil es so zerrissen war, weil es sich auflöste und anfing, „leicht zu werden“. So beschreibt er das. Ihn interessiert genau dieser Zwischenzustand, den will er erhalten und herausarbeiten: „Das Haus entmaterialisiert sich, lässt los. Alles ist offen, nichts ist selbstverständlich.“ Wo andere Verfall sehen, sieht er eine Geschichte, die er weitererzählen möchte. Mit neuen Materialien, mit Gegensätzen, mit Licht. Das ist die poetische Seite.

Aber Peter Haimerl hat auch eine handfest zupackende. Er will seine Heimat, den Bayerischen Wald reanimieren, und zwar mit Architektur, die das Alte schätzt und das Neue wagt. Aber viel Altes ist nicht mehr da. Das meiste wurde abgerissen und der Rest sich selbst überlassen. „Der Bezug ist weg“, sagt Haimerl. Und kümmern will sich auch keiner. Schon gar nicht die Besitzer. Die können es oft gar nicht erwarten, endlich eine Garage zu bauen. Oder noch ein weiteres gesichtsloses neobajuvarisches Einfamilienhaus.

 

Das Amt für Denkmalpflege dokumentiert zwar fleißig den Verfall und berät engagiert, hat aber letztlich nicht viel zu sagen. Das letzte Wort haben die zuständigen Landratsämter, und die entscheiden sehr oft sehr populistisch und kurzsichtig. Also reißt man die alte Metzgerei in der Ortsmitte ab, um einen Parkplatz anzulegen. Die Leute wollen es so, heißt es. Und der Ortskern? Ist dann halt platt planiert und gehört den Autos statt den Menschen. „Die Zerstörungswut ist größer, als ich vermutet hatte“, erzählt Haimerl. So richtig bewusst wurde ihm das, als er im Sommer 2009 mit einer Liste des Amts für Denkmalschutz wochenlang durch den Bayerischen Wald fuhr, auf der Suche nach alten Häusern, die man retten kann. Mittlerweile gibt es nur noch knapp über 200 der Waldlerhäuser, die einst den bayerischen Wald geprägt haben.

Die Geschichte weitererzählen

Auch das Austragshäusl auf dem Schedlberg stand auf der Liste. Die Besitzer hatten längst den nahe gelegenen Hof ausgebaut und brauchten das alleinstehende Haus am Waldesrand nicht mehr. Trotz Denkmalschutz war es zum Abriss freigegeben. Was soll man auch sonst machen mit dem „oiden Glump“? „Herrichten“, sagt Haimerl. Und wurde erst einmal ziemlich verständnislos angeschaut. Den kaputten Haufen? Wozu? Verkaufen wollte
der Besitzer dann aber doch nicht, und so einigte man sich auf 35 Jahre geschenkt gepachtet. Und Haimerl fing an nachzudenken, wie man die Geschichte des Hauses weitererzählen kann, ohne das Geheimnis des Verfalls kaputt zu restaurieren: „Mein Ziel ist es, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Substanz zu erhalten und dem Ganzen einen neuen Aspekt hinzufügen.“

Das erste Bauernhaus, das er mit diesem Anspruch von den Toten aufgeweckt hat und das gleich für internationales Aufsehen sorgte, war das der Bäuerin Cilli Sigl, in der Nähe von Viechtach. Ganz in der Nähe ist Peter Haimerl aufgewachsen. Er kennt alle Kammern und Gerüche des Hauses seit Kindheitstagen, und als die Bäuerin 1974 starb, übernahm seine Familie das Haus und damit die Verantwortung. Jahrelang stand es leer. Bis sich Haimerl gemeinsam mit seiner Frau Jutta Görlich 2008 daran machte, das Alte zu retten, indem er es mit neuem Leben und mit Leichtbeton füllte.

Zeitgemäße Transformation

Von außen hat sich das Haus in Viechtach nahezu nicht verändert und altert weiter. Gut, ein paar morsche Balkonbalken wurden ausgetauscht, aber das Gesicht des Hauses, die Fassade mitsamt Fenstern ist geblieben. Und zwar in dem Verfallszu- stand, in dem es war. Was man nur von innen sieht: Kuben aus grauem Beton, die direkt in die Bausubstanz gegossen wurden, ein stützendes Korsett, das Räume definiert.

Ein Haus im Haus. Durch große Öffnungen an den Wänden blieb auch innen die Vergangenheit sichtbar: gemauerte Steine, verschieden farbige Schichten von Putz, angestückeltes Holz. Wenn das Wort „authentisch“ nicht schon lange tot wäre, hier wäre es richtig. Dieses alte Haus tief im Bayerischen Wald war Peter Haimerls Durchbruch. Und ein Aufbruch. Es gab Preise, Aufmerksamkeit, und das Landesamt für Denkmalpflege lobte den neuen Umgang mit alter Bausubstanz. Bis heute bekommt der Münchner Architekt Anfragen von Menschen aus aller Welt, die das Haus sehen wollen.

Was damals bei der Cilli begann, wird jetzt am Schedlberg weitergedacht. Keine folkloristische Restaurierung. Keine museale Mumifizierung. Keine Kompromisse. Stattdessen eine zeitgemäße Transformation, die immer konkret vom Ort ausgeht. Hier waren es die bemoosten Gesteinsbrocken vor der Haustür, die Peter Haimerl inspi- rierten. Er griff die geometrische Form auf, mathematisierte und materialisierte sie. Das Ergebnis waren 43 mal 43 Zentimeter dicke Barren aus Leichtbeton, die überall dort eingefügt wurden, wo das Haus Löcher hatte und stabilisiert werden musste. Im Gegensatz zur Cilli kann man diesen Eingriff am Schedlberg von außen sehen. Überhaupt musste hier viel mehr gemacht werden, das Haus war auch deutlich kaputter. Der eingefallene Teil wurde vom Boden bis zum Dach neu aufgebaut, mit einer Kombination von tragenden Betonbarren und Glas, die leicht wirkt und sich bei aller Präsenz aber angenehm zurücknimmt. (…)

Den kompletten Beitrag zu Peter Haimerls Haus am Schedlberg finden Sie in unserem Bayern-Heft B04/18. Hier geht’s zum Shop.

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