Baumeister-Academy Gewinnerin Natalie hat sich jeden Monat ein Gebäude vorgenommen. Sie hat sich dabei Bauten ausgesucht, die sich von den üblichen Klassikern absetzten. Nach dem BEAM von Delugan Meissl und der Wiener Stadthalle von Roland Rainer setzt Natalie ihre Reihe mit dem Wohnpark Alt Erlaa fort. 

Wien rühmt sich mit einer kontinuierlichen sozialen Wohnbaupolitik. Aus einer Studie der Stadt über Zufriedenheit im geförderten Wohnbau geht ein Sieger hervor, der auf den ersten Blick eher einer Betonburg ähnelt: die 1985 fertig gestellte Satellitenstadt Alt Erlaa im 23. Bezirk. Diese stellt in vielerlei Hinsicht ihre artgleichen Zeitgenossen in den Schatten. Und das, obwohl die Wohnmaschinen der Spätmoderne schon in den 1970er Jahren als unmenschlich galten.

Von der gleichnamigen U-Bahn-Station aus sieht man die Wohnsilos in die Luft ragen.
Das Grün der Parkanlagen setzt sich in der Vertikalen fort. Ein Meter breite Pflanztröge gehören zur Ausstattung jeder Terrasse.
Terrassen bis zur 12. Etage gliedern die Baukörper horizontal. Die Loggien in den oberen Geschossen sind zur optimalen Besonnung leicht gedreht angeordnet.

„Wohnen wie die Reichen“

Die parabolische Form der sechs höhengestaffelten Wohntürme geht auf das Konzept des Architekten zurück. Harry Glück kombiniert mit den Etagenweisen versetzten Terrassen den Garten eines Einfamilienhauses mit der Dichte eines Hochhauses. Die Mieter ab der vierzehnten Etage genießen auf besonnten Loggien den Blick auf Wien. In den 3.200 eins- bis Fünfzimmerwohnungen leben rund 10.000 Menschen. Glücks Credo „Wohnen wie die Reichen“ gipfelt wortwörtlich auf den Dächern: Dort bieten Schwimmbäder in 70 Meter Höhe den Bewohnern laut deren Aussage Urlaubsersatz. Auch für den Besuch des Arztes, des Supermarktes oder der Schule muss niemand das Gelände verlassen. Die großzügigen autofreien Grünflächen mit pavillonartigen Bauten erklären, wieso Alt Erlaa Wohnpark genannt wird.

Parkanlagen zwischen den Wohntürmen dienen als Naherholungsgebiet. Spielplätze, eine Kirche und weitere Gemeinschaftseinrichtungen sind dort ansässig.
Rationalität und Individualität schließen sich beim Anblick der großzügigen Terrassen nicht aus.
Die Assoziation zu einem Kreuzfahrtschiff ist vor allem auf der Dachterrasse naheliegend.

Identifikationsfaktor

Alle Bilder von Natalie Burkhart

Bauträger ist die Gesiba, die „Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft“, die Eigentum der Stadt Wien ist. Lange bevor Partizipation im Wohnbau thematisiert wurde, dachte die Firma Strukturen zur Mitbestimmung an. Mit jeder Einheit ist auch eine Aktie der Eigentümergesellschaft verbunden. Dadurch steigt die Bereitschaft der Mieter, sich in dort ansässigen Vereinen und Beiräten zu engagieren. Die Fernsehsendung „Wohnpark-TV“ von, über und für Anwohner zeigt, wie sie sich mit Alt Erlaa identifizieren.

Nicht unumstritten – und dennoch ein Vorbild

Zwar sprechen die langen Wartezeiten auf freie Wohnung für die Beliebtheit der Anlage. Dennoch bleibt die Satellitenstadt umstritten – auch wenn die Kritik an Harry Glücks vermeintlicher „Luxusausstattung“ über die Jahre verstummt sein mag. Die Bauweise sei zu sparsam, die Architektursprache zu nüchtern, die Wohnungszugänge zu dunkel. Trotzdem bleibt Alt Erlaa auch nach 40 Jahren ein beispielhaftes Projekt. Der Erfolg beruht nicht nur auf architektonischen Ansätzen. Vielmehr entstand er durch die Symbiose aus Planern, Auftraggebern, der Stadt Wien und schließlich der Ansässigen selbst.

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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