17.02.2021

Wohnen

AR­CHI­TEK­TUR, DIE ET­WAS BE­WEGT: Einfamilienhaus in Ammerland

Die heutige Westansicht des Einfamilienhauses im Ammerland.

Um und in München sucht Academy-Gewinnerin Catherina Wagenstaller nach Projekten, die etwas bewegen. Sei es, da es ihre Leidenschaft für Architektur geweckt hat, ihr Inspiration schenkt oder nachhaltige Ansätze verfolgt. Wie das Einfamilienhaus in Ammerland, welches Ende der 1980er Jahre von Mechtild Friedrich-Schoenberger gebaut wurde. Catherina Wagenstaller besuchte sie in ihrem Zuhause, das sie mit teilweise unkonventionellen Methoden erbaute.

„Was passt hier her?“ Diese simple Frage sollte sich wieder öfter gestellt werden, wenn es darum geht Architektur zu gestalten, die ihre Prämissen über den Ort definiert und nicht ortsunabhängig überall gebaut werden könnte. Kultur und Natur spielen eine wesentliche Rolle im Erleben unserer Umwelt. Dazu zählt auch die gebaute Umwelt, die einen Ort maßgeblich prägt. Thema ist, ein sensibles Gespür für den jeweiligen Ort zu entwickeln und mit und durch ihn ein Konzept zu finden, das die jeweiligen Besonderheiten versteht und unterstreicht. Dabei hilft es die örtlichen Traditionen im Wesen zu erfassen und ihnen eine zeitgemäße Form zu geben. Eine Form, die Altbewährtes ehrt und ihren Ausdruck in einer bodenständigen und nachhaltigen Architektur findet.

Die heutige Westansicht des Einfamilienhauses in Ammerland. Bild: Catherina Wagenstaller

Das Zuhause der Architektin

„Elegant modern, aber doch an der Tradition orientiert, am liebsten ökologisch, aber nicht in dogmatischer Form.“, so Mechtild Friedrich-Schoenberger, Dipl. Ing. Architektin BDA auf ihrer Website. Sie sucht seit circa 2011 zusammen mit dem Wessobrunner Kreis e.V. anhand realisierter Beispiele südwestlich von München bis Garmisch nach guten Lösungsansätzen für das Bauen auf dem Land.
Mit dem Einfamilienhaus in Ammerland fand sie diesbezüglich bereits 1989 eine Antwort, die nach gut 30 Jahren noch immer zeitgemäß ist und damals einer Pionierarbeit glich. Dieses Projekt setzt für die Architektin inspirierende Dinge wie ein Mosaik zusammen und ist damit sehr mit ihrer Persönlichkeit verwoben – nicht zuletzt, da es das Zuhause ihrer sechsköpfigen Familie ist.

Internationale Einflüsse treffen ländlichen Raum

Der Bau befindet sich auf einem Grundstück mit Eichen, inmitten von Villen und ländlichen Bauobjekten, mit Blick auf den Starnberger See und das Schloss Ammerland. Der Entwurf ist auf den Ort angepasst und doch durch internationale Vorbilder geprägt, die die Architektin inspirierten – Beispielsweise das runde Fenster, die Grundrissaufteilung und Proportionswahl. Er ist mutig, zeitlos und durch sein revolutionäres Grundkonzept aktueller denn je.

Unkonventionelle Methoden

Beinahe lehnte der Bauausschuss das Einfamilienhaus als „Bahnhofshalle“ ab. Glücklicherweise verstand der damalige Kreisbaumeister, dass ein besonderer Ort nach Besonderem verlangt. 1993, wenige Jahre nach der Fertigstellung, war das Gebäude in Zeitschriften wie „Detail“ und im Architekturjahrbuch des „Deutschen Architekturmuseums“ veröffentlicht worden. Der Fokus lag darauf, ein gesundes, nachhaltiges Haus zu bauen. Dabei griff die Architektin auch auf eher unkonventionelle Methoden zurück: Der Grundriss richtet sich nach günstigen und weniger günstigen Energieadern auf dem Grundstück aus, die ein Wünschelrutengänger lokalisierte. Die Materialauswahl erfolgte durch ihre baubiologische Verträglichkeit. Ziel dabei war es, ein gutes Raumklima und ausreichend Schallschutz zu gewährleisten. Das Objekt ist daher eine Mischkonstruktion. Hinter einer offenporig lasierten, vertikalen Holzverschalung aus Fichte steht ein Mauerwerk, welches ganzheitlich mit Backkork gedämmt wurde. Innen ist das Haus in Holzskelettbauweise gehalten.

Der Eingangsbereich mit westlicher Ausrichtung. Bild: Catherina Wagenstaller

Ein Blick in das Einfamilienhaus

Das Holz für die Konstruktion stammt aus der Jachenau. Es wurde mondzyklisch günstig bei Frost und tausend Meter Höhe geschlagen und kernfrei geschnitten. Traditionellerweise wurde das Holz früher nach diesen Kriterien geschlagen, da langsam gewachsenen Holz, mit wenig Feuchtigkeitsgehalt nach dem Verbauen ruhiger arbeitet – heute dürfte diesbezüglich Erwin Thoma ein Begriff sein. Das verwendete Holz blieb bis heute rissfrei. Ein Erker aus Holz hebt sich mit horizontaler Fassadenverkleidung ab und reicht bis zum Dach. Dieses übermittelt durch die flache Neigung das Gefühl von Leichtigkeit. Das Regenwasser wird für die WC -Spülung und den Garten in einer Zisterne gesammelt.

Beim Betreten des Hauses erfasst der Besucher dank Blickachsen sofort das gesamte Bauwerk. In den Obergeschossen sind Haupträume, wie Kinderzimmer, Arbeitszimmer, Elternschlafzimmer verortet und westlich zum See hin orientiert. Große Fensteröffnungen und Verglasungen über Eck ermöglichen lichtdurchflutete freundliche Räumlichkeiten im Erker. Die Nebenzimmer sind an der Hausrückseite verteilt. Eine schmale Treppe führt in das Atelier der Architektin, welches als Dachlaterne aus der Dachkonstruktion herausragt. Das Herz des Gebäudes bildet eine offene Küche im Erdgeschoss – übrigens das Lieblingsdetail der Architektin – welche sich an einen großzügigen Ess- und Wohnbereich angliedert. Dieser Gebäudeteil erfährt durch eine Absenkung des Bodens eine besondere Weiträumigkeit. Die Küche wurde von einem örtlichen Schreiner nach traditionellen Methoden gefertigt. Das Holz dafür stammt von einem Ahornbaum aus dem eigenen Grundstück, der für den Neubau weichen musste. Die Schränke wurden mit Linoleum beschichtet, was sie heute noch wie neu aussehen lässt. Inzwischen ist das Haus mit Lampen bestückt, die die Architektin selbst entworfen hat.

Das Arbeitszimmer der Architektin befindet sich in der Dachlaterne und ist zum See ausgerichtet. Bild: Hajo Willig

Grundsätzlich erfährt das Gebäude durch seine nachhaltige Materialwahl eine gesunde Patina, die es in seinem architektonischen Wert nicht schmälert. Vielmehr stellt es unter Beweis, dass sich die Anwendung von altbewährtem Wissen lohnt. Friedrich-Schoenberger plante ganzheitlich bis ins letzte Detail mit einem hohen Anspruch an nachhaltiger Architektur, klugem, zeitlosem und ortsspezifischem Design, sowie einer Philosophie, die heute wie damals topaktuell ist.

Die Architektin Mechtild Friedrich-Schoenberger vor ihrem Wohnhaus. Bild: Catherina Wagenstaller

Architektur + Innenarchitektur:
Mechtild Schoenberger
Mitarbeit:
Brigitte Schahn
Heino Flache

Tragwerksplanung:
Dr. Kurt Stepan – Bürogemeinschaft Sailer, Stepan, Bloos

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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