08.01.2020

Öffentlich

Deutsch-französische Architektur: Langwellensender Europe 1


Radio für Europa

Für die ehemalige Baumeister Academy Gewinnerin Alexandra ging es von Rotterdam zurück nach Saarbrücken. Von dort aus berichtet sie nun über Architektur im Saarland. Und da das Saarland lange Zeit Schauplatz der deutsch-französischen Beziehungen war, stellt Alexandra Gebäude vor, die diese Beziehungen widerspiegeln. Nach der ehemaligen Botschaft in Saarbrücken stellt Alexandra dieses Mal den Langwellensender „Europe 1“ in Berus vor. 

Am 31. Dezember 2019 ist der Langwellensendervon Europe 1 in Berus im Landkreis Saarlouis abgeschaltet worden. In Kürze werden die Sendemasten rund um die Sendehalle abgebaut. Den Radiosender Europe 1 kann man selbstverständlich auch weiterhin hören, die Wellen werden nunüber Ultrakurzwellenübertragen. Und auch der Langwellensender der Architekten Jean-François Guédy undBernardLaffailleund des Bauingenieurs Eugène Freyssinet kann weiterhin, im deutsch-französischen Grenzland, bewundert werden. Denn der Bau steht unter Denkmalschutz.

Die europäischen Länder bauten in den 1950er Jahren die staatlichen Rundfunksender auf und nur wenige mussten dafür auf private Investoren zurückgreifen. In Monaco, Luxemburg und auch im Saarland entstanden private Radiosender. So wurde im Saarland 1955 ein Langwellenradiosender nur 700 Meter von der französischen Grenze, errichtet. Die Gemeinde Berus wurde der Standort des mehrsprachigen Senders „Europe 1“.
Ziel war ein komplexes, avantgardistisch anmutendes Sendezentrum zu schaffen, das sowohl Radiosendungen als auch ein Fernsehprogramm verbreiten sollte. Das Herzstück des Ensembles bildet die herzförmige Sendehalle mit geschwungenem Dach, flankiert von Fernsehstudios, Büros, Sozialräumen und einem Fernsehturm. Viel zu groß für den Zweck, sehr extravagant für die Zeit.  Die Halle öffnet sich zur Landschaft, die Glasfassade sorgt für maximale Transparenz. Entwurf und Konstruktion sind für die Zeit gewagt und innovativ. Die Architektur symbolisiert Offenheit und Aufschwung, sinnbildlich für das neue Europa und die Zusammenarbeit der europäischen Länder.

Wiedererkennungswert: das Dach

Doch die Entstehung des Baus verlief kompliziert: Der erste Entwurf von 1954 stammte von dem französischen Architekten Jean-François Guédy. Und für die komplexe Dachstruktur beauftragte man den renommierten französischen Ingenieur Bernard Lafaille. Der Entwurf sah ein dünnes Hängedach in Form eines hyperbolischen Paraboloids vor, also einer doppelt-gekrümmten Fläche. Die Dachhaut sollte nur fünf Zentimeter stark sein und sich dank einer minimalen Bewehrung über einem Ringanker selbst tragen. Doch das Verfahren war unerprobt und der Bau sollte schnell fertiggestellt werden. Daher änderte man die Konstruktion der Dachhaut kurzfristig auf ein Spannbetonverfahren um. Hierfür konnte der Erfinder des Spannbetons selbst, der französische Bauingenieur Eugène Freyssinet in den Prozess einbezogen werden. Letztendlich musste die Statik des Gebäudes tiefgreifend verändert werden, um die von Guédy und Laffaille entwickelten Raumfigur ermöglichen zu können. Dies gelang 1955 und wurde mit der ersten Langwelle, die von Europe 1 ausging, zelebriert.

Die Sendehalle heute

Der Fernsehturm liegt neben der Sendehalle.

Heute wird die Halle zu besonderen, meist kulturellen Anlässen, genutzt und trägt viele Namen: Jakobsmuschel, schwangere Auster, Kathedrale der Wellen. Die langen Wellen des Radios mögen aus der Mode gekommen sein, doch die großartige Architektur beugt sich zum Glück nicht den Modeerscheinungen.

Alle Bilder und Illustrationen von Alexandra Tishchenko

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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