Wiener Würstelstände

Sechs Monate ist Natalie nun in Wien. Neben ihrem Praktikum bei Delugan Meissl hat sie die Architektur der Stadt für uns erkundet. Jenseits der bekannten Klassiker stellte sie zum Beispiel die Stadt des Kindes oder den Wohnpark Erlaa vor. Häufig lief sie auf ihren Erkundungstouren an den typischen Wiener Wurstständen vorbei. Zeit die kuriosesten Exemplare vorzustellen.

Im Wiener Stadtbild ist eine Mikro-Architektur fest verankert: der Würstelstand. Die kleinen Häuschen sind zum Klassiker avanciert. Kein Wunder, denn die Stände erweisen sich bereits seit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie als zuverlässige Nahversorger. Damals wie heute erfreuen sich fleischessende Tag- und Nachtschwärmer an dem Anblick und dem Duft. Zurzeit gibt es in der österreichischen Hauptstadt 274 Würstelstände, die sich vielfältig und bunt präsentieren und so manche Eigenheiten mitbringen. Ich habe die schönsten, skurrilsten und eigenartigsten herausgesucht.

Der Beste: Der Alt-Wiener Würstelstand zählt schon seit jeher zu den beliebtesten seiner Art. Direkt neben dem Volkstheater kann man laut einer Umfrage den besten Käsekrainer der Stadt genießen.
Der Älteste: Der seit 1928 bestehende Würstelstand Leo am Währender Gürtel ist laut eigener Aussage der älteste noch existierende Kiosk - und bis heute in Familienhand. Besonders gefragt ist hier die „Big Mama“: ein Riesenkäsekrainer für ein bis vier Personen.
Der Internationale: Viele Stände, wie jener an der U6-Station Josefstädter Straße bieten neben Würsteln auch Kebab, Falafel und Dürüm an. Nicht selten fühlen sich die Betreiber der traditionellen Stände durch die internationale Konkurrenz in ihrer Existenz bedroht.
Der Gestaltete: Zwischen Albertina und Oper reizt dieser Stand sowohl in gastronomischer als auch gestalterischer Sicht. Dessen Architektur war für den Staatspreis für Design nominiert. Eine weitere Besonderheit: Zu dem Würstel kann man sich Champagner servieren lassen.
Der Verlassene: Leere Buden gehören ebenso ins Stadtbild. Strenge Auflagen behindern oft den Betrieb oder die Eröffnung eines Standes. Wer sich entschließt, zukünftig hinter dem Grill Kunden zu bedienen, zahlt zwischen 60- und 110-Tausend Euro für einen Kiosk.

Typisch Wien

Die Anfänge der kleinen Kioske am Gehsteig liegen im 19. Jahrhundert in der Zeit der Doppelmonarchie. Mit den einst fahrenden Verkaufsständen sicherten sich insbesondere Kriegsinvaliden ihr Einkommen. Die Zielgruppe waren Arbeiter, die nachts auf ihrem Nachhauseweg eine warme Mahlzeit zu sich nehmen wollten. Erst seit den 1960er Jahren sind die fest installierten und tagsüber geöffneten Würstelstände zugelassen. Der Name ist Programm, denn fleischlose Alternativen sind rar. Das traditionelle Angebot reicht von Frankfurtern und Käsekrainern über Bratwürste bis hin zu Hot Dogs. Bestellen die Einheimischen einen „Eitriger mit an Bugl“, wünschen sie einen Käsekrainer mit einem Brotendstück. Übrigens: Der Käsekrainer ist eine österreichische Erfindung. Beim Würstelstand begegnen sich Wiener Schmäh und Reisende, Alt und Jung sowie Arm und Reich: Als Treffpunkt für jedermann ist er – ähnlich wie das Kaffeehaus oder der Heurige – Ausdruck der Wiener Geselligkeit.

Kulinarisches Wahrzeichen

Authentische Alltagsgeschichten am Würstelstand schaffen es regelmäßig in Film, Musik und Literatur. „Eh Wurscht“ – zum Beispiel – ist der Titel eines Theaterstückes, in dem die Protagonisten am Würstelstand über das Leben und die Liebe sinnieren. Das zeigt, dass der fleischlastige Kiosk ebenso zu Wien gehört, wie andere kulinarische Einrichtungen. Für Touristen gehört er zum Pflichtprogramm: Der Wiener Würstelstand als Sehenswürdigkeit bietet eine einzigartige echt-wienerische Verköstigung.

Alle Bilder von Natalie Burkhart

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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