„Als Jugendlicher bin ich sehr gern nachts durch die Stadt gewandert, um die urbane Stadtlandschaft zu beobachten“, erzählt Ziegler. Dies hinterließ bei ihm einen nachhaltigen Eindruck, der einen Entwicklungsprozess entfachte. Nach dem Architekturstudium an der Pariser Universität La Défense (heute Paris Val de Seine) machte Ziegler 2003 seinen Abschluss an der ENSA in der Normandie (École Supérieure d’Architecture de Normandie) und arbeitete zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn in größeren Pariser Büros wie Paul Chemetov. Kurz darauf schloss er sich der Agentur CBA Architecture in der Normandie an, wo er mit gerade einmal 27 Jahren ganze Baustellen beaufsichtigte. Bald schon konnte er mehrere Auszeichnungen für die Entwürfe von Wohnhäusern und Bürogebäuden vorweisen. Doch dann überkam ihn die Abenteuerlust: 2007 zog er nach Kanada. In Montreal, wo er bei YH2 arbeitete, setzte sich sein beruflicher Erfolg fort. Geometry in Black, der Entwurf seines Teams für ein modernes Mehrfamilienhaus in den Wäldern der frankokanadischen Laurentinischen Berge, wurde 2011 mit einem Preis der Architektenkammer von Québec ausgezeichnet. „Ich genoss vor allem den kreativen Freiraum, der mir bei Wohnprojekten wie diesem zur Verfügung stand. Denn ich war der einzige Ansprechpartner des Bauherrn“, erklärt der Architekt. Damit verrät er indirekt, dass er lieber alleine arbeitet. Als ein Anruf von CBA Architecture kam, mit der Bitte eine neue Niederlassung für sie in Paris zu eröffnen, kehrte er nach Frankreich zurück.
Im Jahr 2012 gründete Antonin Ziegler dann sein eigenes Büro, um seine Freiheit zurückzuerlangen und sich ganz dem Bau von Privathäusern widmen zu können. Seitdem ist Autarkie das Leitmotiv seiner Arbeit geworden. „Nun nehme ich ein Projekt nur an, wenn ich die Entwürfe auch selbst bearbeiten kann.“ So entstand auch Le 107. „Ich sah es an einem Montag und am darauffolgenden Tag kaufte ich es“, erinnert sich Ziegler, der die ursprüngliche Gebäudestruktur sofort ins Herz schloss. Von 2015 bis 2017 verwandelte er das verfallene Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert in ein mehrstöckiges Wohnhaus. „Ich weiß noch, dass ich dachte: ‚Oh, was für ein Spaß!’ Das Haus ist eine totale Katastrophe. Das muss alles neu gebaut werden.“ Der schmale Grundriss – 4,5 x 25 Meter – machte die Sache nicht leichter. Doch solche Herausforderungne liegen Ziegler. „Meine Kreativität wird durch Einschränkungen beflügelt“, sagt er. „Man braucht Grenzen, um sich ausdrücken zu können.“ Er griff die unerbittlichen Restriktionen des schmalen Grundstücks auf und setzte sie in die Vertikale um. Nun ragt das dreistöckige Gebäude hinter dem Eingangstor hervor. Und obwohl es auffällt, fügt es sich dennoch harmonisch in das Mosaik der Ziegeldächer des Arbeiterviertels Asnières-sur-Seine ein, in dem Ziegler jetzt beheimatet ist. Ziegler macht sich die Umgebung auf architektonische Weise zu eigen, ganz gleich ob er im Stadtgebiet oder auf dem Land baut. Die Fassadenplatten von Le 107 zum Beispiel sind aus Kiefernholz, Beton, Zementgrundierung und Metallblech zusammengesetzt und beziehen sich so auf die Oberflächenmaterialien in der Umgebung. „Ich griff auf einfache Materialien zurück, die mit der Umgebung harmonieren. Außerdem mussten sie kostengünstig sein, damit ich mir die großen Erkerfenster leisten konnte. Die haben einen erheblichen Anteil des Budgets verschlungen“, erläutert Ziegler. „Ich mag grundsätzlich keine Materialien, die etwas imitieren oder verstecken. Soweit es möglich ist, benutzte ich die gleichen Materialen für den Innen- und Außenbereich eines Gebäudes.“
Fotograf, Künstler und Architekt in einem