02.06.2020

Öffentlich

Das neue Antlitz unserer Innenstädte


Einkaufsstraßen als 3-D-Werbeflächen

Der Online-Boom und die Corona-Pandemie lassen unsere Einkaufsstraßen veröden? Tristesse auf breiter Front ist keineswegs ausgemacht, kommentiert Wirtschaftsjournalist und Volkswirt Daniel Schönwitz. Welche Veränderungen sich anbahnen – und worauf Architekten hoffen dürfen. 

Sie waren eindrucksvolle Symbole des deutschen Wirtschaftswunders: In Warenhäusern wie Karstadt oder Kaufhof frönten die Menschen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren voller Inbrunst dem Konsum. Doch die goldenen Zeiten sind längst vorbei: Der Online-Handel hat den Platzhirschen in den Innenstädten stark zugesetzt. Und jetzt kommt auch noch die Corona-Krise.

Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hat deshalb bereits ein „Schutzschirmverfahren“ beantragt, bis zu 80 von 172 Läden sollen schließen. Auch anderswo haben es Kaufhaus-Betreiber angesichts sinkender Kundenfrequenzen schwer. In den USA sind die Aktienkurse von Shopping-Mall-Managern wie der Simon Property Group eingebrochen.

Diese Entwicklung wird das Antlitz der Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen tiefgreifend verändern. In sämtlichen Industrieländern drohen Leerstände ungeahnten Ausmaßes – schließlich dürften sich Immobilien-Eigentümer vielfach schwertun, neue Mieter zu finden. Wir würden unsere Innenstädte „im kommenden Jahr nicht mehr wiedererkennen“, warnt ein Vertreter der Immobilienwirtschaft.

Für einen Abgesang auf unsere Innenstädte ist es meines Erachtens aber zu früh; Tristesse auf breiter Front ist keineswegs ausgemacht. Denn jedes Ende ist zugleich ein Neuanfang, der Chancen auf etwas Neues, Besseres birgt.

Und seien wir ehrlich: Mehr Abwechslung würde vielen Einkaufsstraßen guttun. Überraschungen sind selten geworden, gerade in den Top-Lagen. Besucher treffen dort meist auf die üblichen Verdächtigen – Warenhäuser, Modefilialisten oder Parfümerie-Ketten.

Das ist angesichts rasant gestiegener Mieten, die sich nur wenige Unternehmen leisten können, kein Wunder. Zudem sinken die Kunden-Frequenzen und mit ihnen die Chance auf betriebswirtschaftlich erfolgreiche Laden-Konzepte. Die Corona-Pandemie wird deshalb weitere Händler vertreiben – aber zugleich neue Unternehmer anlocken, die weniger stark auf hohe Kundenzahlen angewiesen sind.

So dürften neue Flagship-Stores von Markenartiklern aus unterschiedlichen Branchen entstehen, denen es dort nicht vorrangig um den Umsatz geht, sondern vor allem um die Marke: Die Präsenz in Top-Lagen soll keine kurzfristigen Erträge liefern, sondern die langfristige Ertragskraft stärken. Investitionen werden deshalb aus dem Marketingbudget finanziert.

Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass es künftig verstärkt Autokonzerne, IT-Unternehmen oder Gartengeräte-Hersteller in die Stadtzentren zieht, die sich dort präsentieren wollen. Zugespitzt formuliert: Aus Einkaufsstraßen werden 3-D-Werbeflächen, vor allem in den Top-Lagen.

„Lebendigere Stadtkultur“

Die US-Soziologin Saskia Sassen hält es sogar für möglich, dass infolge von Handelsketten-Pleiten „eine sehr viel lebendigere Stadtkultur“ entsteht – „mit vielen winzigen Geschäften“, die dank niedriger Kosten krisenresistenter sind. Viele kleine könnten somit einen großen Mieter ablösen.

Warten wir’s ab. Aber noch ein weiterer Trend spricht für mehr Abwechslung: Frequenzorientierte Händler, die trotz Online-Boom und Corona-Pandemie bleiben wollen, müssen besser werden. Es gilt trotz allem, möglichst viele Kunden zu locken und den Umsatz pro Besucher zu erhöhen.

Etliche Ladenbetreiber arbeiten bereits mit Hochdruck an Konzepten, um den Einkauf zum Erlebnis zu machen – Wohlfühlatmosphäre und Überraschungen inklusive. Kunden werden deshalb in Zukunft immer öfter Produkte ausprobieren oder zusätzliche Angebote wahrnehmen können. Viele Läden werden vielfältiger und bunter.

Auch die traditionsreichen Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof? Ja, zumindest wenn es nach Arndt Geiwitz geht: Der Sanierer hat das Ziel ausgegeben, nach der Schließung unrentabler Standorte, innerhalb von zwei Jahren wieder Gewinn zu machen. Mit dem Geld sollen dann die verbleibenden Standorte „für mehrere Hundert Millionen Euro“ modernisiert werden.

Architekten dürfen sich damit auf lukrative Aufträge freuen. Ob die Häuser an glanzvolle Wirtschaftswunder-Zeiten anknüpfen können, bleibt dagegen offen.

Hier lesen Sie die letzte Kolumne von Daniel Schönwitz: Die neue Sehnsucht nach Nähe

Daniel Schönwitz ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist und Medientrainer. Der Volkswirt lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Diese Kolumne ist Teil des Homeoffice Spezial, in dem wir aus dem Blickwinkel der Architektur über die wichtigsten Neuigkeiten zur Corona-Pandemie berichten.

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