31.01.2022

Event

DAM-Preis 2022 für SUMMACUMFEMMER und Büro Juliane Greb

München
Gewinner des DAM-Preises 2022: das Wohnhaus San Riemo in München. Foto: Petter Krag
Gewinner des DAM-Preises 2022: das Wohnhaus San Riemo in München. Foto: Petter Krag

Nachdem in den Vorjahren dreimal Leuchtturmprojekte internationaler Großbüros ausgezeichnet wurden, geht einer der wichtigsten deutschen Architekturpreise im Jahr 2022 an eine junge Architekten-Arbeitsgemeinschaft. Sie hat für eine Münchner Genossenschaft „San Riemo“ errichtet – ein Wohnhaus, das sich mit seinen Bewohnern verändern kann.

Es hätte wohl niemanden verwundert, wenn am Ende OMA den DAM-Preis 2022 mit nach Hause genommen hätte. In den letzten Jahren hatte sich die Jury durchgängig für die „big names“ entschieden: 2019 Gerkan, Marg und Partner, 2020 David Chipperfield Architects, 2021 MVRDV. Nun also die Büros SUMMACUMFEMMER und Juliane Greb. Ihr Mehrfamilienwohnhaus „San Riemo“ in München setzte sich in der letzten Runde gegen die bildschöne John Cranko-Schule von Burger Rudacs Architekten in Stuttgart (Baumeister 9/2020), Florian Naglers vieldiskutierte Forschungshäuser zum Thema „Einfach Bauen“ in Bad Aibling (Baumeister 12/2020) und eben OMAs Neubau für den Axel Springer-Verlag in Berlin (Baumeister 1/2021) durch. Mit dem Wohnhaus im neuen Stadtteil auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Riem hat die Jury das jüngste Architektenteam im Finale ausgezeichnet.

Foto: Florian Summa
Außenansicht des Hauses. Fotos: Florian Summa
Foto: Florian Summa

Einfluss der flandrischen Avantgarde

Anne Femmer und Juliane Greb haben beide mehrere Jahre im Genter Büro De Vylder Vinck Taillieu gearbeitet. Der Einfluss der flandrischen Avantgarde auf ihren Entwurf ist unübersehbar. Zwischen Kolonnen weißgestrichener Putzbauten sticht „San Riemo“ mit seiner ungewöhnlichen Materialität und Farbigkeit klar heraus. Die Architektinnen und Architekten haben ihr Gebäude mit einer gewellten Polykarbonatfassade verkleidet. Diese ist an drei Seiten weiß, während sie den Balkonen an der Westseite als transparente Haut vorgeblendet wurde. Dadurch entstehen dort Wintergarten-ähnliche Freisitze, die sich in Teilen öffnen lassen.

Foto: Petter Krag
„San Riemo“ sticht durch seine Materialität und Farbigkeit hervor. Foto: Petter Krag

„San Riemo“ wächst und schrumpft mit seinen Bewohnern

Das Spiel mit ungewohnten Fassadenfarben ist Erbgut von De Vylder Vinck Taillieu, auch wenn sich die Arbeitsgemeinschaft SUMMACOMFEMMER/Greb bei „San Riemo“ für Türkis, anstatt des für das Genter Büro so typischen Grüns entschieden haben. Auch die an manchen Stellen geradezu irritierende Detaillierung verrät die Nähe zu den Belgiern. Etwa wenn die jungen Architektinnen und Architekten die Eingangsbeleuchtung in den Türausschnitt ragen lassen, so dass der Eindruck entsteht, man könne nur gebückt darunter hindurchgehen. Die weißen Fliesen, mit denen SUMMACOMFEMMER und Juliane Greb den Sockel des Baus verkleidet haben, sind ebenfalls eine nicht alltägliche Wahl. Spannend wird sein, wie die Materialien altern.

Foto: Florian Summa
Die türkisenen Akzente tauchen immer wieder auf. Foto: Florian Summa

Nutzungsneutrale Zimmer

Das Urteil der Jury stellt aber nicht auf die äußere Gestaltung des „San Riemo“ ab. Stattdessen hebt sie die durchdachte Grundrissgliederung und die daraus resultierende Flexibilität und Anpassbarkeit des sechsstöckigen Wohnhauses hervor. Die Architektinnen und Architekten haben die Stockwerke um einen Erschließungskern organisiert, der den Bau auf der Längsachse teilt. Er nimmt sowohl die beiden Treppenhäuser als auch Bäder und Küchen auf. Zu beiden Seiten des Kerns sind Zimmer mit offener Nutzung angeordnet. Durch die Konfiguration sind sowohl durchgesteckte als auch nur einseitig ausgerichtete Wohnungsgrundrisse möglich. Die Erschließung der Wohnungen erfolgt über die zentralen Küchenräume. Je nach Nutzung kann eine unterschiedliche Anzahl der nutzungsneutralen Zimmer einer Wohnung zugeordnet werden. So soll es möglich sein, Wohnungen passgenau auf die Nutzererfordernisse zuzuschneiden – etwa für Familien, Wohngemeinschaften, Paare und Singles. Gleichzeitig können Wohnungen wachsen oder schrumpfen und sich so einer neuen Lebenssituation anpassen.

Foto: Florian Summa
Durch die transparente Fassade entstehen Wintergartenähnliche Freisitze. Foto: Florian Summa

Eine junge Genossenschaft als Bauherr

Bauherr des Projektes ist die 2015 gegründete Wohnbaugenossenschaft „Kooperative Grossstadt“, die mit „San Riemo“ ihr erstes Bauprojekt umsetzen konnte. Für den Neubau hat die junge Genossenschaft eigens einen Wettbewerb ausgeschrieben – ein Grundsatz bei Bauvorhaben der Gemeinschaft. Die „Kooperative Grossstadt“ hat sich zudem sehr weitreichend dem Prinzip der Partizipation verschrieben. Bei „San Riemo“ etwa konnten die zukünftigen Bewohner die Lage der Türen zwischen den Räumen festlegen. Dadurch können auch Zimmer gemeinschaftlich von mehreren Wohnungen genutzt werden. Auch Zwischenwände in Trockenbauweise für ihre Wohnungen konnten die Bewohner planen.

Foto: Florian Summa
Wohnung im „San Riemo“. Foto: Florian Summa

Zudem hat man sich bei der Genossenschaft das Ziel gesetzt, nicht nur für die Mitglieder, sondern auch für die Stadtgesellschaft zu bauen. Im „San Riemo“ etwa ist im Erdgeschoss ein Lernraum für die Schülerinnen und Schüler des Quartiers untergebracht. Daneben befindet sich dort die sogenannte Promenade, eine Abfolge von Gemeinschafträumen für die Bewohner. Weitere Co-Nutzungs-Angebote entstanden in Kooperation mit den beiden angrenzenden Nachbarprojekten, die ebenfalls von Genossenschaften realisiert wurden. Dadurch stehen den Bewohnern aller drei Häuser nun Gästeapartments und eine Mobilitätszentrale zur Verfügung.

Foto: Petter Krag
Manche Zimmer können gemeinschaftlich genutzt werden. Fotos: Petter Krag
Foto: Petter Krag

Idealismus statt großer Geste

Mit der Entscheidung für „San Riemo“ hat die Jury wohl auch ein politisches Zeichen in Zeiten explodierender Mieten und Immobilienkaufpreise setzen wollen. Damit wird nun auch bei diesem bedeutenden deutschen Architekturpreis eine Tendenz greifbar, die sich bereits bei anderen Wettbewerben abgezeichnet hat – etwa den „Wohnbauten des Jahres“. Dort errangen 2020 und 2021 ebenfalls genossenschaftliche und stark gemeinwohlorientierte Mehrfamilienhäuser den Sieg. Wahrscheinlich sind diese Entscheidungen ein Zeichen allgemeinen Unwohlseins mit dem Gros der gegenwärtigen Architekturproduktion.

Foto: Petter Krag
Dachgarten mit Hochbeeten. Foto: Petter Krag

Das erklärt vielleicht auch, warum sich die Jury des DAM-Preises gegen innovativere Neubauten – denn hier kommt man nicht an OMAs Springer-Neubau oder auch Naglers Forschungshäusern vorbei – und für ein idealistisches und durchdachtes aber eigentlich nicht herausragendes Projekt entschieden hat. Ähnliche Konzepte existieren bereits etwa in Zürich, Berlin oder Wien und sind sogar schon zu musealen Ehren gelangt. Vielleicht sollten sich die Ausrichter beim Deutschen Architekturmuseum und anderswo zukünftig die Frage stellen, ob Preise, die so vorbehaltlos das Neubauen feiern, überhaupt noch in die Zeit passen. Nach wie vor sind umgebaute Bestandsarchitekturen – nicht nur – beim DAM-Preis die Ausnahme statt die Regel. Es wäre an der Zeit, dies zu ändern.

Foto: Petter Krag
Gemeinschaftsräume sind wichtiger Teil des Konzepts. Foto: Petter Krag

Der Preisträger, die drei Finalisten sowie die weiteren Projekte der Shortlist werden ausführlich im Deutschen Architektur Jahrbuch 2022 vorgestellt.

Der DAM Preis für Architektur 2021 ging an MVRDV zusammen mit N-V-O Nuyken von Oefele Architekten für ihr WERK12 im Münchner Osten. Wir haben mit Jacob van Rijs, Mitbegründer von MVRDV und verantwortlicher Architekt für das WERK12, gesprochen. 

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