07.10.2020

Gewerbe

Sustainable Hedonism: “Copenhill” von BIG

Foto: Rasmus Hjortshoj


Hedonistic Sustainability

Eine Müllverbrennungsanlage mit Skipiste – geht so etwas? Der von BIG entworfene „Copenhill“ macht es vor und propagiert dabei eine Hedonistic Sustainability. Ist ein Hybrid, der eine Mischnutzung, eine Kombination von Freizeit und Industrie, hier in Form einer Waste-to-Energy-Anlage, zulässt, ein architektonisches Zukunftsmodell?

Wendet man die von Le Corbusier propagierte Funktionstrennung in der „Ville Contemporaine“ auf das Projekt an, wird schnell deutlich, dass das Gebäude eine Art „Ville Mélange“ ist, in der typologisch alles möglich zu sein scheint. Autor und Architekt Alexander Russ wirft einen kritischen Blick auf Amager Bakke in Kopenhagen.

 

Was ergibt die Kreuzung aus Skipiste und Müllverbrennungsanlage? Ein Projekt von BIG. Genauer gesagt das gerade fertig gestellte Amager Resource Centre (ARC), ein Müllheizkraftwerk in Kopenhagen, das eines der Größten seiner Art ist. Das „Copenhill“ genannte Projekt befindet sich etwa vier Kilometer östlich der Innenstadt an der Grenze zum Stadtteil Christianhavn. Es ersetzt einen 45 Jahre alten Vorgänger, produziert Strom für 30.000 Haushalte, Fernwärme für 72.000 Haushalte und wird von einem Beteiligungsunternehmen im Besitz von fünf Kommunen betrieben. So viel zu den Zahlen. Der Copenhill ist aber weit mehr als das: Er soll auch zum Ausflugsziel werden, indem er eine künstliche und ganzjährig nutzbare Skipiste mit Liftanlage inklusive Gastronomie fürs Après-Ski auf seinem Dach anbietet.

 

Dass es da keine herkömmliche Industriearchitektur tut, versteht sich von selbst. Schließlich stammt das hybride Nutzungskonzept, das auf einen 2010 durchgeführten Wettbewerb zurückgeht, von den Bigstern um Bjarke Ingels. Die entwarfen einen Gebäudekomplex, der sich aus unterschiedlich hohen, aneinandergereihten Quadern zusammensetzt und von einer geschwungenen Aluminiumfassade umhüllt wird. Die volumetrische Höhenstaffelung ergibt sich laut BIG aus den Abläufen innerhalb der Anlage, die teilweise eine Abwicklung von unten nach oben erfordern. Der Weg zur Skipiste war für die Dänen damit vorgezeichnet. Das wollen auch die scheinbar selbsterklärenden Entwurfsdiagramme zeigen, für die das Büro bekannt ist.

Das Projekt ist paradigmatisch für Ingels Ansatz einer „Hedonistic Sustainability“. Dabei geht es darum, bei der Nachhaltigkeit auch ein bisschen Spaß zu haben. Anstatt umweltbewusstes Entwerfen als Bremsklotz für herausragende Architektur zu begreifen, fordert der dänische Architekt stattdessen einen kreativen Umgang mit den daraus resultierenden Vorgaben ein: „…sustainability doesn’t have to be some kind of a compromise – it can even be the element that drives the aesthetics. It can create its own language if you find ways of using the forces of the environment to produce shapes or forms.“

 

Zukunft Müllverbrennung?

Da stellt sich natürlich die Frage, wie es bei einer Müllverbrennungsanlage um die Nachhaltigkeit bestellt ist. Die ersten Anlagen gehen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, genau genommen auf das Jahr 1874. Damals nahm die englische Stadt Nottingham eine Abfallverbrennungsanlage mit dem passenden Namen „Destructor“ in Betrieb, die bereits Wärme abgab. In der Folge entwickelte sich die Technik immer weiter, weshalb die Anlagen heutzutage auch Strom erzeugen. Hinzu kommt die Verwendung der bei der Verbrennung anfallenden Schlacke für den Straßenbau und der Flugasche als Füllmaterial für Decken und Wände. Das gilt auch für das Amager Resource Centre, das Strom und Heißwasser für drei verschiedene Fernwärmenetze liefert. Außerdem können 15 bis 20 Prozent der angelieferten Abfälle im Straßenbau wiederverwendet werden. Trotz des teilweise vorhandenen Recyling-Gedankens bleibt die Frage offen, ob es sich hier nicht um eine Technologie handelt, die eher in die Vergangenheit als in die Zukunft weist. Schließlich steht am Ende der Kette immer die Verbrennung statt der Rückführung in einen Kreislauf.

Dabei sind die Dänen im europäischen Vergleich besonders eifrig in der Müllverbrennung, was dazu führt, dass mitunter zu wenig Müll vorhanden ist. Im Fall der neuen Müllverbrennungsanlage wird er deshalb teilweise aus Deutschland, Italien, Großbritannien, Irland und den Niederlanden importiert, um die Anlage auszulasten. Gerade im Hinblick auf die ehrgeizigen Klimaziele Kopenhagens, die vorsehen, bis 2025 zur ersten CO2-neutralen Hauptstadt der Welt zu werden und eine Recyclingquote von 70 Prozent zu erreichen, erscheint das Nachhaltigkeitskonzept des Projekts deshalb wenig visionär. Die Anlage punktet stattdessen durch ihre neue Technologie, die geringere Instandhaltungskosten, eine höhere Energieeffizienz und bessere Gesundheits- und Sicherheitsstandards als ihr Vorgänger bietet.

Foto: Rasmus Hjortshoj

Sustainable Hedonism

 

Und wie ist es um den Spaßfaktor der Architektur bestellt? Da ist zunächst mal die 370 Meter lange und kostenpflichtige Skipiste, die verschiedene Schwierigkeitsgrade mit unterschiedlichen Steigungen anbietet. Außerdem gibt es kostenlose Angebote wie eine 670 Meter lange Treppenanlage und einen Wanderweg, der eine Bergbesteigung simulieren soll. Für weniger Sportbegeisterte bleibt der verglaste Fahrstuhl mit Blick in den Bauch des Gebäudes. Der stellt sich als beindruckende Kathedrale aus Turbinen, Silos, Öfen und mit Gitterosten belegten Stegen zur Erschließung dar, die in ein komplex anmutendes Stahltragwerk eingebettet sind. Auf 75 Metern Höhe erwartet einen dann eine Dachterrasse mit Café und ganz oben auf 82 Metern schließlich der finale Aussichtspunkt. Dort gibt es einen unverstellten Blick aufs dänische Flachland und die umliegenden Industrieanlagen, was den artifiziellen Charakter des Projekts noch mal unterstreicht.

Womit man bei der Begrünung des Hügels wäre. Die wurde von den dänischen Landschaftsarchitekten von SLA geplant, die den Aufstieg in eine künstliche Gebirgslandschaft mit Felsen, Bäumen und Sträuchern einbetteten. Der Wanderweg nach oben wird dabei immer wieder von Schornsteinen unterbrochen, die an die eigentliche Nutzung erinnern. Dabei stellte das steile Dach und dessen Verwendung eine Herausforderung bezüglich der Pflanzenwahl dar. Entsprechend entschieden sich SLA nach ausgiebiger Recherche und mehreren Testläufen für eine Vegetation, wie sie in bestimmten Bergregionen zu finden ist. Angestrebt wurde eine möglichst hohe Biodiversität inklusive Wärmeabsorption, Luftfilterung und einer Versickerungsfläche für Regenwasser. Die Bepflanzung ist dabei so platziert, dass sich beim Aufstieg immer wieder neue Ausblicke auf das Terrain ergeben und die Bäume als Windschutz dienen.

 

Wirkung und Wirklichkeit

Ein Markenzeichen des Copenhill ist seine für BIG-Projekte typische Außenwirkung. Das Spektakel des ungewöhnlichen Hybrids soll schließlich ablesbar sein. Deshalb sind die aneinander gereihten Kisten der einzelnen Nutzungen mit einer schachbrettartigen Aluminiumfassade verkleidet, deren Füllungen abwechselnd mit Acrylglasscheiben oder Aluminiumkästen bestückt sind. Erstere bringt Licht ins Innere der Anlage. Sie dient aber auch als Notfallventil im Falle einer unkontrollierten Expansion des bei der Müllverbrennung erzeugten Hochdruckdampfes. Die Aluminiumkästen sind als Pflanzentröge gedacht, um noch mal klar zu machen, dass es hier grün und nachhaltig zugehen soll. Allerdings sind sie momentan noch nicht bestückt und die Umsetzung offen.

Ein anderes symbolträchtiges Element sind die vom Berliner Büro realities:united geplanten Dampfringe. Die sollten ursprünglich bei jeder von der Anlage produzierten Tonne CO2 als Mahnmal mit einem Durchmesser von 30 Metern in die Luft geblasen werden. Allerdings war die dafür notwendige Menge an Dampf nicht mit dem Nachhaltigkeitsgedanken des Projekts in Einklang zu bringen, weshalb auch dieses Spektakel entfallen muss. Bleibt zum Schluss die Form des Gebäudes, die – wie bei Ingels üblich – entsprechend instagramtauglich ausfällt, bei ihrer Umsetzung dann aber doch einen konstruktiven Mehraufwand erzeugte. Gerade beim Stahltragwerk für die Einhausung des Prozessbereichs mit seinen geschweißten Sonderlösungen stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Schlussendlich konterkariert das Ergebnis die Forderung des dänischen Architekten nach einem Entwurfsansatz, der die „forces of the environment to produce shapes or forms“ nutzt.

 

Hybrid als Zukunftsmodell

Ist der Copenhill demnach eher „Sustainable Hedonism“ als „Hedonistic Sustainability“? Wer das Konzept auf die Nutzung und das architektonische Bling-Bling reduziert, wird ihm jedenfalls nicht gerecht. Dem Projekt wohnt eine visionäre Kraft inne, die vor allem mit der gänzlich unwahrscheinlichen Kreuzung aus Müllheizkraftwerk und Freizeitpark zu tun hat. Das dürfte auch das starke mediale Echo auf das Wettbewerbsergebnis erklären. Ein größerer Gegensatz zur Ideologie der Funktionstrennung, wie sie der moderne Städtebau zu Beginn des 20. Jahrhunderts propagierte, ist jedenfalls kaum vorstellbar. Statt Le Corbusiers „Ville Contemporaine“ gibt es hier eine Art „Ville Mélange“, in der typologisch alles möglich ist. Ob das Konzept funktioniert, wird die Entwicklung des Stadtteils Amager zeigen. Der wird größtenteils von Industrie- und Gewerbebauten dominiert. Es gibt dort aber auch Wohnungsbau, der sich teilweise in der Nachbarschaft der Müllverbrennungsanlage befindet. Der Copenhill liefert deshalb auch einen interessanten Beitrag zu Themen wie Mischnutzung, Gestaltung des öffentlichen Raums, Industriearchitektur und Nutzung der fünften Fassade. Dass es dafür ein bisschen Spektakel braucht, geht dann schon in Ordnung.

 

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